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Ein Pfarrer verlässt sein Amt wegen der großen Liebe

Ein Pfarrer verlässt sein Amt wegen der großen Liebe

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20160414ak-funke19~86316df1-f481-4465-933f-02cb33f7502d.jpg Foto: Alex Kraus
Stefan Hartmann war Priester, wollte einmal Bischof werden. Doch dann kam die Liebe und vieles war anders, vor allem komplizierter.

Bamberg/Berlin. 

Stefan Hartmann und Sandra Dorn sitzen am Morgen, nach dem ersten Kaffee, zusammen und sagen gleichzeitig: „Herr, öffne meine Lippen. Damit mein Mund dein Lob verkünde.“ Es ist der Beginn des „Morgenlobs“, die Einleitung zum täglichen Stundengebet, dem „Te Deum“, das vom Kloster Maria Laach für das ganze Jahr herausgegeben wird. Es ist ein Gebet, das von vielen Gläubigen morgens gebetet wird, an diesem Tag enthält es die schönen Zeilen: „Christus, Verbindung mit Gott, Verbindung mit dem Menschen, Leben für mich.“ Das Beten ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil in Stefan Hartmanns Leben. „Mein Glaube ist davon überhaupt nicht berührt“, sagt er und ergänzt: „Nicht im Geringsten.“

Wenn er „davon“ sagt, dann meint er, dass er 33 Jahre lang katholischer Priester war und dieses Leben jetzt hinter sich gelassen hat, die Kirche als Arbeitgeber. Er hat sich in Sandra Dorn verliebt und sein Amt aufgegeben, weil beides eben nicht geht. Der Zölibat verbietet katholischen Geistlichen eine Beziehung zu einer Frau. Dass er sich daran nicht immer gehalten hat, wurde schon einmal deutlich: als er sich vor zwei Jahren zu seiner Tochter bekannte, öffentlichkeitswirksam im Fernsehen. Da begann es kompliziert zu werden in seinem Leben. Doch Stefan Hartmann hielt an der Kirche fest und die Kirche an ihm. Dieses Bekenntnis zur Tochter war auch der Anfang von der Abkehr vom Zölibat, der zu seinem Leben gehört hatte – seit dem 10. Juli 1982. An jenem Tag wurde er vom Bischof in Trier zum Priester geweiht. Er hatte den Frauen, so kann man sagen, in diesem Moment abgeschworen.

Er bereut fast nichts – außer die Jahre ohne die Tochter

Aber Stefan Hartmann ist das wichtig: „Der Zölibat ist kein Schwur oder Gelöbnis“, sagt er, „es ist ein Versprechen.“ Er hat es gebrochen, das wisse er. „Aber“, fügt er an, „man müsse den Zölibat aus der Kirchengeschichte heraus interpretieren.“ Er sei in einer Zeit eingeführt worden, als Rom auf dem Höhepunkt seiner Macht gewesen sei. Über Jahrhunderte war diese Regel unumstößlich für die Kirche – und auch für ihn hat das lange gut funktioniert. „Ich wollte schließlich Karriere machen, selbst Bischof werden.“

Als er eine Tochter gezeugt hatte, geschah das noch ohne Konsequenzen. Er brach damals den Kontakt zur Mutter ab und sah sein Kind nie. Heute sagt er: „Das sind Jahre, die ich in ihrem Leben nie wieder aufholen werde.“ Das ist vielleicht eine der wenigen Dinge, die er wirklich bereut. Denn sowohl sein Leben als Pfarrer als auch das Verlassen des Priesteramts sind für ihn nach wie vor richtige Entscheidungen.

Hermanns Lebensweg ist kein Einzelfall

Womit er damals nicht gerechnet hatte, war der starke Wille seiner Tochter. Ohne der Mutter etwas davon zu sagen, schrieb sie ihm eines Tages einen Brief. Da war sie 15 Jahre alt. „Hallo, ich bin Katharina, Deine Tochter“, begann sie ihren Brief, das Papier hat er noch immer. Nach all den alten Schriften der Gelehrten, die er gelesen hatte, war es der Brief einer 15-Jährigen, das die Fragen ins Rollen brachte, ob er so weiterleben wollte. Wie im Gebet Kloster Maria Laach: „Verbindung mit Gott, Leben für mich.“

Er kennt genug Beispiele von anderen Priestern, die mit ihren Haushälterinnen eheähnlich leben, oder ins Bordell gehen oder – oft wenig auffällig – mit einem Mann zusammenleben. Die Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen (VKPF) geht davon aus, dass ungefähr jeder fünfte Priester weltweit vom Dienst suspendiert ist – die meisten von ihnen aufgrund von Beziehungen zu Frauen. Das Bistum Bamberg teilt auf Anfrage allerdings mit, dass Hermanns Fall extrem selten sei, er sei einer von zwei Fällen in den letzten zehn Jahren.

Die Dunkelziffer bleibt auch deshalb weiter dunkel, weil eben viele um den Schein zu wahren, den Zölibat nach weiter vehement verteidigen. „Ich habe mich nach außen fast fundamentalistisch daran gehalten“, sagt er. Manchmal bekomme das Dorf dieses Verhalten mit, es lässt sich schwer verheimlichen – und oft genug wird es toleriert. Nur die Bischöfe dürfen von den Situationen nichts erfahren. Stefan Hartmann nennt diese Situationen „Kuddelmuddelverhältnisse“. Er wollte das für sich nicht. Aber die Zweifel wuchsen über die Jahre, dass es immer so weitergehen kann.

Erkenntnis kommt am Jahrestag der Priesterweihe

Die endgültige Erkenntnis, dass er sein Leben als Priester nicht weiterführen könne, kommt ihm ausgerechnet am 10. Juli 2015, auf den Tag genau 33 Jahre nach seiner Priesterweihe. Da besucht ihn Sandra Dorn, eine gläubige Katholikin, die über verschiedene Einwohner Bambergs ein Buch schreiben will. Sie stellt die richtigen Fragen, es kommt zu einem zweiten Treffen, einem dritten und noch im Herbst des gleichen Jahres macht er die Beziehung zu ihr öffentlich.

Ließ die Kirche beim Fall seiner Tochter noch Milde walten, trat sie ihm plötzlich mit großer Strenge entgegen. Er bekam das zu spüren, als er versuchte, trotz Verletzung des Zölibats weiter bei der Kirche angestellt zu sein. Das wäre möglich gewesen, auch weil er gute Kontakte in der Gemeinde hat. „Ich war menschlich enttäuscht von einigen.“ Sein Erzbischof hatte ihm auf den Weg gegeben, der Kirche nicht zu schaden. Für Hartmann waren das die falschen Worte. „Ich finde nach 33 Jahren ein Wort des Dankes oder der Anerkennung, das kann man von jedem Arbeitgeber erwarten.“ Er kann sich erinnern, dass er in jener Zeit häufig gebetet hat, nicht nur morgens, sondern auch einfach zwischendurch: „Herr, gib mir Kraft.“

Er lebt von seinen Ersparnissen und arbeitet als Trauerredner

Denn er musste seine Entscheidung auch durchrechnen: Kann er sich das leisten, der Liebe wegen seine Arbeit niederzulegen? Schließlich verliert er auf einen Schlag alle Einkünfte. Pfarrer zahlen in keine Arbeitslosenversicherung ein, also bekommt er kein ALG I, weil es das nicht geben kann: einen arbeitslosen katholischen Pfarrer. Immerhin hat er Rentenanspruch, die Kirche hat in die Rentenkasse einen sechsstelligen Betrag nachgezahlt, viel mehr als sein Gehalt gewesen wäre.

Doch er sagt heute, dass es ihm gut gehe. Er schreibt an seiner Biografie („Es soll ein theologisches Buch werden“), lässt sich als Trauerredner buchen („nicht nur im Raum Bamberg übrigens“) und lebt sonst von seinem Ersparten. Selbstverständlich interessiert er sich für den aktuellen Brief des Papstes, den er „liberal formuliert“ nennt. „Früher waren die Bischöfe modern und der Papst konservativ“, sagt er, „heute ist es umgekehrt.“

Nur eine Sache ist für ihn noch ungeklärt: die Hochzeit. Die päpstliche Erlaubnis dazu hat er. So einfach war das nicht, denn seine Freundin ist noch verheiratet, aber zum Glück „nur“ standesamtlich. Die Feier soll voraussichtlich Ende Juni stattfinden – das heißt, wenn sie bis dahin geschieden ist. Es ist also: kompliziert. Aber es ist eben, wie es ist.