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Die flotteste Rock-Oma der Welt wird 70 Jahre alt

Die flotteste Rock-Oma der Welt wird 70 Jahre alt

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Foto: imago stock&people

Essen. 70 Jahre und kein bisschen leise: Soul-Diva Tina Turner feiert Geburtstag. Sie prägte das Lebensgefühl ganzer Generationen. Heute ist sie, immer noch hochhackig und schulterfrei, die flotteste Rock-Oma der Welt. Der Hit „River Deep, Mountain High“ spiegelt das Auf und Ab ihres Lebens.

In Amerika ist sie längst ein Star, in Europa kennt sie niemand. Das ändert sich 1966 schlagartig. Tina Turner stürmt die Hitparaden der alten Welt mit einem Hit, der sich ins Gedächtnis einer ganzen Generation einbrennt: „River Deep, Mountain High”. Was sie nicht ahnt: Der Song gerät zum Motto ihres Lebens. Am Donnerstag, nach vielen Aufs und Abs, wird die Soul-Diva 70.

Die wilden Sechziger

Rückblende. Die 60er sind so wild wie kaum ein Jahrzehnt davor und keines danach. Die westliche Gesellschaft ist jung, und die junge Mehrheit kämpft mit den Alten um die Macht. Studenten gehen auf die Barrikaden. Nicht weniger politisch ist, kurz nach Markteinführung der Pille, die sexuelle Revolution. Und Tina Turner ist die richtige Frau am richtigen Platz.

Als sie in Europa durchstartet, ist sie, 1939 geboren, Ende 20. Auf der Bühne schwenkt sie nicht nur ihren Hintern in knappsten Kleidchen zu hei-ßem Rhythm & Blues, sondern springt ihre Fans auch mit ihrer kehligen, fordernden Stimme wie eine Raubkatze an.

Frech, frei, frivol

Sie gibt, frei, frech, frivol, die weibliche Antwort auf Elvis, der zehn Jahre zuvor jungen Frauen mit laszivem Hüftschwung feuchte Hände beschert hat. In seinen Liedtexten hingegen gibt sich der König des Rock’n’Roll harmlos. Tina Turner nicht: „Die Texte kommen ziemlich unverblümt zum Thema”, notiert Musikkritiker Franz Schöler 1970 in der „Zeit”, um gleich ein Beispiel zu liefern: In dem Song „Young And Dumb” etwa prahlt Tina Turner, wenn sie „ihn” erstmal im Schlafzimmer habe, wolle „er” nicht mehr weg.

Geschult hat Tina Turner ihre Stimme, wie so viele schwarze Sängerinnen, in einem Gospelchor, damals als sie noch Anna Mae Bullock heißt. Dort lernt die junge, in schwierigsten Verhältnissen aufgewachsene Schwarze, sich die Seele aus dem Leib zu singen.

Singen bringt ihr Segen, Singen ist für sie mehr als ein Lebensmittel, es ist ein Überlebensmittel.

1959 heuert die talentierte Künstlerin bei Bandleader Ike Turner an, als Background-Sängerin. Der Gitarrist träumt den Traum armer Schwarzer: Er will durch eine Show-Karriere dem Elend des Ghettos entfliehen. Beruf und Privatleben werden bald eins für den Musiker und seine Sängerin: Sie verlieben sich.

Ike Turner erkennt das Talent seiner Sängerin, das er zugleich fürchtet. Er will sie kontrollieren, benennt sie ihn „Tina” kurzerhand um. Argwöhnisch beobachtet der „Mann mit dem Granit-Gesicht” (Tina Turner bei einer Konzertansage), wie seine Gattin die Männer im Publikum verrückt macht; Frauen fürchten die Sängerin eher Konkurrentin, die ihnen den Kerl ausspannt. Liebe und Hiebe liegen dicht bei einander, zumal dann, wenn Ike zugedröhnt ist, und er ist oft zugedröhnt.

1976 verprügelt Ike Turner wieder einmal seine Frau, bis sie aus mehreren Wunden blutet. Sie schlägt zurück – und reicht noch am selben Tag die Scheidung ein.

Tina Turner steht nicht nur vor den Trümmern ihres Privatleben. Auch ihre Show-Karriere liegt in Scherben. Drei harte Jahre folgen.

1979 startet sie mit dem Produzenten Roger Davies neu. Dennoch vergehen vier weitere Jahre, bis Tina Turner die zweite Stufe ihrer Karriere zünden kann. David Bowie verhilft ihr, wie es heißt, bei dem britischen Musikkonzern EMI zu einem Plattenvertrag.

Selbstbewusste Diva bekennt sich zum Alter

Siehe da: Der Altstar, inzwischen 44, landet mit „Let’s Stay Together” einen makellos produzierten Hit – allen Widerständen zum Trotz. 1984 folgt das Album „Private Dancer”, das mit reifer Pop-Musik schnell zu einem Klassiker wird. Turners Hit „What’s Love Go To Do With It” bringt mit Reggae-Flair immer noch jede Party in Schwung.

Der Bann ist gebrochen. Tina Turner veröffentlicht in den Folgejahren Album um Album, landet Hit um Hit.

Tina Turner bleibt sich treu, in dem sie sich verändert: Der männerverschlingende Vamp reift mit der Zeit zu einer selbstbewusste Diva, die sich zu ihrem Alter bekennt. Noch heute ist sie auf der Bühne, hochhackig und schulterfrei, unbeschreiblich weiblich. Ihre Fans lieben sie dafür – und inzwischen sogar die Frauen.