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Deutsche Rentnerin klagt unter Tränen über Hass in England

Deutsche Rentnerin klagt unter Tränen über Hass in England

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ebbes22~1b6eb42e-2b59-48d6-b837-d9b906b68d7c.jpg Foto: LBC
Unerwünscht sein, wo man schon lange lebt: Eine deutsche Rentnerin erzählt im britischen Radio verzweifelt von Ausgrenzung und Hass.

London. 

Es gibt in England gerade viele Menschen, die gerne Karin aus Chester in den Arm nehmen würden. Die Deutsche hat sich in England nie so fremd gefühlt wie in den Tagen nach dem Brexit-Referendum, und sie lebt seit 1973 dort. Ihr tränenreicher Anruf in einer Radiosendung hat viele Briten regelrecht schockiert. „Ich habe solche Angst, ich bin seit drei Tagen nicht mehr vor die Tür“, sagt sie und bedankt sich am Ende des Gesprächs überschwenglich, dass sie das mal sagen konnte. „Vielleicht bessert es sich ja auch wieder, aber da draußen ist so viel Hass.“ In Form von Hundekot ist er schon gegen ihr Haus geklatscht.

Die verzweifelten Schilderungen von Karin könnten ein Beleg sein, wie der fremdenfeindliche Zungenschlag im Brexit-Wahlkampf viele Köpfe vergiftet hat und das Brexit-Votum wirkt: „Sie sagen mir, ich soll heim gehen, aber ich habe doch niemanden in Deutschland!“ Im Radiostudio saß während des Gesprächs Simon Wooley, fassungsloser Gründer der Initiative „Black Vote“ und langjähriges Mitglied einer staatlichen Anti-Diskrimierungsstelle. „Wir kämpfen seit 15 Jahren gegen Ausgrenzung, und hier ruft im Jahr 2016 eine in Tränen aufgelöste Frau verzweifelt an, die Angst hat, vors Haus zu gehen aus dem einzigen Grund, dass sie Deutsche ist“.

Die britische Polizei meldete von Donnerstag bis Sonntag 85 angezeigte Fälle von Hasskriminalität. Die Botschaft „Go home“ bekommt selbst eine ältere weiße Frau zu hören, die seit 43 Jahren in England lebt, deren verstorbener Mann Engländer und Allgemeinmediziner war und die selbst immer gearbeitet hat. So beschreibt sich Karin in dem Telefonat mit James O’Brien im Sender LBC. Sie sucht die Ursache für das, was in ihrem Wohnviertel voller Rentner aus der Mittelschicht passiert. Sie findet keine.

Moderator: „Hat mir das Herz gebrochen“

O`Brien ist eine Art britisches Gegenstück zu dem deutschen Radio-Talker Domian. Bei ihm rief auch schon live in der Sendung Nationalspieler Frank Lampard an, um Berichte zu seinem Privatleben klarzustellen. Der Anruf von Karin schlägt ähnliche Wellen. „Du denkst, Du hast wirklich alles schon gehört, und dann kommt das. Es hat mir das Herz gebrochen“, sagte O`Brien der Zeitung „Metro“. Der Sender werde überschwemmt von Angeboten von Menschen, die Karin helfen wollen. Auch in sozialen Netzwerken zeigte sich große Anteilnahme, einige ausgewählte Reaktionen aus Twitter haben wir am Ende des Artikels zusammengetragen. Auf vielfachen Wunsch hat der Sender das komplette Gespräch online veröffentlicht. Einige Hörer behaupten, die Anruferin sei nicht echt oder habe ganz andere Probleme.

Karin hat sich auch vielleicht hineingesteigert in ihre Angst. Ihren Schilderungen zufolge hatte sie auch niemanden gefunden, der sie ihr nimmt. Bei der deutschen Botschaft habe sie zu hören bekommen, sie habe sich ausgesucht, in England zu wohnen, nun müsse sie damit leben. Die Botschaft hat auf Anfrage noch nicht Stellung genommen. Die deutsche Seniorin berichtet, vom Bürgerbüro der Stadt sei sie um Verständnis gebeten worden, dass Menschen frustriert sind. Während ihrer Erzählungen wirkt Karin peinlich berührt und entschuldigt sich schluchzend: „Ich wollte nicht hysterisch werden.“ Nach dem Telefonat war die Polizei bei ihr, um sie zu beruhigen, meldet der „Chester Cronicle“. Anzeige habe die Dame aber nicht erstatten wollen, die Polizei ermittele aber die Umstände.

Strenggläubige Bekannte hetzt gegen Migranten

Zum Fiasko wird der Ratschlag, Beistand bei einer religiösen Gemeinschaft zu suchen: Karin hat sofort eine langjährige Bekannte vor Augen, streng katholisch und jeden Sonntag in der Kirche: „Sie hat zu mir gesagt, all die verdammten Immigranten müssten das Land verlassen.“ Nun habe sie den Kontakt abgebrochen. „Ich habe ihr gesagt, ich bin einer der verdammten Immigranten, die sie so hasst.“ Für die Leute sei sie nicht mehr die Person mit dem Namen, für die sei sie eine Fremde.

Vielleicht sei sie physisch allein, antwortet ihr der Moderator. Doch im Geiste und politisch sei die große Mehrheit der Menschen bei ihr, wie auch immer sie beim Referendum gewählt hätten. Karin ist skeptisch: „Aber da gibt es doch keinen da draußen, der irgendetwas tut, um dem allen Einhalt zu gebieten“. Sie bekommt Zustimmung: Es fehle dem Land an Führung, die den Finger in die Wunde lege. „Wir sprechen hier von vielleicht 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung“, schätzt er den Anteil der Fremdenfeinde. Aber wenn Menschen solche Geschichten wie ihre hören, dann werde ihnen bewusst, dass sie gegen so etwas eintreten müssen, sagt O´Brien, der selbst auch als Kampagnenjournalist angefeindet wird.

Für Karin hat er am Schluss des Gesprächs eine Botschaft: „Ich liebe Deinen Akzent.“