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Bei Anruf Wutausbruch – die erste Schimpfhotline Deutschlands

Bei Anruf Wutausbruch – erste Schimpfhotline Deutschlands

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Zwei Hessen betreiben die nach eigenen Angaben erste Schimpfhotline Deutschlands. Ralf Schulte und Alexander Brandenburger lassen sich für Geld am Telefon beschimpfen. Hier können wütende Bürger Dampf ablassen. Die Telefonseelsorge hingegen betrachtet den Dienst kritisch.

Wiesbaden. 

Dummkopf, Blödmann, Arschloch: Das werfen wildfremde Anrufer zwei Männern aus Wiesbaden öfter an den Kopf. Ralf Schulte und Alexander Brandenburger lassen sich für Geld am Telefon beschimpfen. Die Idee kam ihnen bei ihrer Arbeit in der Werbebranche. Dort werde viel gewütet, sagt Schulte. „Wenn man sich schon anscheißen lässt, kann man sich auf dafür bezahlen lassen.“ Außerdem verschaffe es den Leuten Erleichterung, wenn sie ihrem Ärger Luft machten. „Wir tun etwas Gutes“, betont Schulte. Seit gut zwei Wochen ist ihre nach eigenen Angaben deutschlandweit erste Schimpfhotline freigeschaltet. Die Telefonseelsorge hingegen betrachtet den Dienst kritisch.

Eigentlich wolle sich ja niemand freiwillig beleidigen lassen, sagt der 41-Jährige. Die Ankündigung, sich von Berufs wegen beschimpfen zu lassen sei im Freundes- und Bekanntenkreis zunächst auf Unverständnis gestoßen, die Idee aber letztendlich für gut befunden worden. Viele hätten angekündigt, selbst mal anzurufen, ergänzt Brandenburger.

Der Service sei gut angelaufen. Bisher hätten ungefähr drei Dutzend Menschen Dampf abgelassen. Eine Hand voll Mitarbeiter – alles Freunde oder Bekannte der Initiatoren – sei derzeit „rund 16 bis 18 Stunden“ am Tag erreichbar. Die Anrufer blieben – genau wie die Mitarbeiter – anonym, versichert Brandenburger. „Der Stimme nach waren die bisherigen so zwischen 28 und 38 Jahre alt“, sagt er. „Überwiegend Männer.“ Einer sei Banker gewesen. „Welcher Typus sich herauskristallisiert, ist aber noch gar nicht abzusehen.“

Er habe ganz zu Anfang seiner Berufstätigkeit eine Ausbildung zum Koch gemacht, erzählt der 38-jährige Brandenburger weiter. „Einer meiner Vorgesetzten ist regelmäßig ins Kühlhaus gegangen und hat dort gebrüllt – das wollen wir mit unserer Hotline anbieten.“

„Wir sind nur verbale Sparringspartner“

„Es gibt eben Tage, da möchte man am liebsten ausrasten und jemanden zur Schnecke machen“, ergänzt Schulte. Privater und beruflicher Stress mische sich oft zu einer „Gesamtwut“, die ein Ventil suche. Ausrasten ziehe immer Konsequenzen nach sich, sagt er. Das „Auskotzen“ an der Hotline aber bleibe mit 1,49 Euro pro Minute aus dem Festnetz zwar nicht kosten-, aber folgenlos. „Jeder kann, ja soll, seinem Ärger bei uns Luft machen“, fordert Schulte auf. Das sei gut für die Gesundheit und das tägliche Miteinander.

Sven Kepper, Leiter der Telefonseelsorge Marburg, bezweifelt die guten Absichten der Betreiber. Bei einem Bezahldienst habe er immer Bauchschmerzen, sagt der Pfarrer. „Wenn ich mir vorstelle, ich habe richtig Brass, dann bin ich in einer Stunde knapp 90 Euro los.“ Für das Geld könne man sich auch von einem professionellen Coach Rat holen. Die meisten Anbieter machten ihre Ausbildung transparent und seien Mitglied in Berufsverbänden. Bei den Hotline-Mitarbeitern sei indes nicht klar, „auf welcher Basis sie beraten“.

„Beraten wollen und dürfen wir gar nicht“, sagen dagegen Brandenburger und Schulte. „Wir sind nur verbale Sparringspartner.“ Sie hätten vorher eine Psychologin befragt und einen Leitfaden für bestimmte Telefonsituationen entwickelt. Der Fall sei zwar noch nicht eingetreten, „aber wenn jemand in seiner Wut gefangen ist und richtiges Problem hat, das bewältigt werden muss, würden wir das Gespräch im Zweifelsfall abbrechen und an entsprechende Beratungsstellen verweisen“, betont Schulte. „Dafür sind wir nicht qualifiziert.“ Ihnen gehe es um das kurzfristige Loswerden der Wut.

Schon der erste Anruf zu heftig

„Ich bin mir nicht so sicher, ob das den Anrufern bewusst ist“, betont Seelsorger Kepper. Unabhängig von den Kosten störe ihn, „dass offenbar mitnichten auf Probleme eingegangen wird“. Nachdem ein Anrufer Dampf abgelassen habe, müsse doch besprochen werden, „wie es weitergehen kann“, kritisiert der Pfarrer. Das Ziel von Seelsorgern sei die Besserung der Belastungen und im Idealfall auch ein Perspektivwechsel. „Ich habe nichts gegen Schimpfwörter – die müssen wir uns auch manchmal anhören – aber gegen zu wenig Interaktion.“

Schulte und Brandenburger wollen ihre Kundschaft nach eigener Aussage sogar im Beleidigen trainieren. Die Kreativität der Anrufer solle geweckt werden, sagt Schulte. „Wir ermutigen die Leute zum Schimpfen, machen sogar Vorschläge“, ergänzt Brandenburger.

Persönlich fühlten sie sich nie angegriffen, sondern nähmen es mit Humor. „Wir haben uns so etwas wie einen Schutzkokon aufgebaut“, betont Schulte. Am Anfang das Gesprächs, sage er sich: „Alles was jetzt kommt, hat nichts mit mir zu tun.“ Für den Job eigne sich aber nicht jeder. Der Freundin von Alexander Brandenburger sei schon der erste Anruf zu heftig gewesen. (dapd)