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Vor 50 Jahren – Späte Strafe für die Auschwitz-Mörder

Vor 50 Jahren begann der erste Auschwitz-Prozess

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Das Verfahren gegen die Nazi-Schergen rüttelte 1963 ganz Deutschland auf. Ohne diesen Prozess wäre die Aufarbeitung der Nazi-Zeit anders verlaufen. Generalstaatsanwalt Fritz Bauer setzte sich über alle Widerstände hinweg und brachte die Verbrecher auf die Anklagebank.

Frankfurt. 

Aktenzeichen der Justiz sind oft Ausdruck von Bürokratie und Kälte – und gelegentlich auch von Bedrohung. 4 Ks/63 war anders. Es war für die Überlebenden des Holocaust und die Angehörigen der sechs Millionen Toten der NS-Vernichtungslager ein Kürzel für eine späte Sühne.

Mit der „Strafsache gegen Mulka und andere“, die der Vorsitzende Richter Hans Hofmeyer am 20. Dezember 1963, vor jetzt 50 Jahren, im großen Saal des Frankfurter Römers aufrief, begann die Serie der großen Auschwitz-Prozesse – und lange nach den Nürnberger Prozessen zum ersten Mal eine echte juristische Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts.

Auschwitz, polnisch Oswiecim. Der Schauplatz des größten Massenmordes der Geschichte verfolgt Deutschland bis heute. Eine Million Menschen folterten und töteten die Nazis in dem Vernichtungs- und Arbeitslager im besetzten Po­len. Die meisten Opfer trieb die SS in die Gaskammern. Ihre Leichen wurden verbrannt.

Die Erschießungslisten

Der britische Fahnder Hanns Alexander fand Rudolf Höß, den Lagerkommandanten, der die Tötungsmaschine am Laufen hielt, in seinem Versteck unmittelbar nach dem Krieg. Polens Justiz verurteilte Höß zum Tode. Er wurde auf dem KZ-Gelände gehängt.

Die Mittäter aber verbargen sich zehn Jahre hinter einer allgemeinen Stimmung in Nachkriegsdeutschland. Meinungsumfragen ergaben: 50 Prozent fanden, es sei besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Auch in der deutschen Justiz, in der zahlreiche Nazi-Richter weiterarbeiten konnten, war so ein Klima verbreitet. Fritz Bauer machte das nicht mit.

Der Frankfurter Generalstaatsanwalt, selbst als Jude von den Nazis ins Gefängnis gesteckt und dann ins Ausland geflohen, heftete sich auf die Spuren der Verbrecher. Vom Journalisten Thomas Gnielka bekam der Jurist Mitte der 50er-Jahre Akten, die ein Häftling im Chaos des Zusammenbruchs 1945 aus dem brennenden Bezirksgericht von Breslau geborgen hatte. Es waren die penibel geführten Erschießungslisten von Auschwitz, gezeichnet von Höß und seinem Adjutanten Robert Mulka – das entscheidende Beweisstück.

Niemand war wegen Befehlsverweigerung hingerichtet worden

Fünf Jahre Ermittlungen später, nach 1400 Vernehmungen, klagte Bauer im Frühjahr 1963 auf 700 Seiten an. Er lieferte 75 Aktenordner mit Beweismaterial. Die Staatsanwälte durchbrachen die Verteidigungslinie der 19 Anwälte, den Tötungsbefehlen hätten die Angeklagten unbedingten Gehorsam leisten müssen. Sie konnten nachweisen, dass kein SS-Mann wegen Befehlsverweigerung hingerichtet worden war.

Die Einvernahme der mehr als 300 Zeugen gestaltete sich dramatisch. Oft musste das Gericht mit Rücksicht auf die Überlebenden von Auschwitz unterbrechen. Sie verausgabten sich bei der Schilderung der fast zwanzig Jahre zurückliegenden Ereignisse.

„Haben Sie von den Vergasungen gewusst“, fragte Richter Hofmann Robert Mulka. „Nein“, log der Helfer des Lagerkommandanten. Es half der Anklagebank nicht. Nach drei Jahren wurden sechs der ursprünglich 22 Angeklagten, darunter Wilhelm Boger, der die Schaukel-Folter „erfunden“ hatte, zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Zehn Freiheitsstrafen bis zu 14 Jahre verhängte das Schwurgericht. Drei Angeklagte kamen frei.

Die Beamten salutierten vor den Mördern

Eisiges Schweigen habe im Saal geherrscht, als die Strafzumessungen verkündet wurden, haben Augenzeugen berichtet. Richter Hofmeyer, der in der Urteilsbegründung Details der Morde an den Kindern in Auschwitz darlegen musste, konnte Tränen nicht zurückhalten. Bei ihm war es anders als bei einigen Polizisten, als sie die Angeklagten abführten. Die Beamten salutierten vor den Mördern.

Das Engagement des Generalstaatsanwalts, der die Auschwitz-Täter hinter Gitter gebracht hatte, löste in Deutschland eine lebhafte Debatte über die Verstrickung in die eigene Vergangenheit aus. Derzeit ermitteln Anklagebehörden wieder – diesmal gegen rund 30 Mitglieder der Wachmannschaften von Auschwitz. Sie sind zwischen 90 und 95 Jahre alt. Fahnder berichten, greise Nazi-Schergen würden oft eine Frage stellen, wenn die Staatsanwälte an der Tür klingeln: „Sie kommen erst jetzt?“