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Carsharing – warum sich geteilte Autos rechnen

Carsharing – warum sich geteilte Autos rechnen

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Carsharing im Revier. Aufgenommen in Dortmund bei Willmobil im Kreuzviertel. Foto:Ralf Rottmann / WAZ FotoPool Foto: Ralf Rottmann / WAZ FotoPool
Ein eigenes Auto kostet – selbst wenn es nur vor der Haustür steht. Wer selten eins braucht, fährt deshalb besser mit Carsharing. Vor mehr als 20 Jahren entstand in Dortmund die erste Initiative, die Idee vom Autoteilen fand schnell Zulauf. Dann kamen Jahre der Flaute, jetzt wächst der Bedarf.

Essen. 

Ein älterer R4 mit Knüppelschaltung war vor fast einem Vierteljahrhundert Dortmunds erstes „stadtmobil“. Thomas Telgenbüscher, damals Mitte 20 und Bauleiter bei Hoch-Tief, fand damals nach der Greenpeace-Aktion „Ein Monat ohne Auto“: Meist geht es ja gut auch ohne, mit Bus, Bahn, Fahrrad oder zu Fuß. Das eigene Auto, so kalkulierte er weiter, würde er im Schnitt nur eine Stunde am Tag nutzen – den Rest der Zeit steht es also herum und kostet Geld.

Im April 1991 hatte er 17 Gleichgesinnte gefunden, die sein praktisches Vehikel und einen Suzuki Swift als erste „Nachbarschaftsautos“ gemeinsam nutzen wollten. Alle anfallenden Kosten wurden geteilt.

Umweltschutz und Ozonloch, die lebenswerte Stadt und andere „grüne“ Ideen fanden damals auch im Ruhrgebiet große Themen unter gut gebildeten jungen Leuten. Der Slogan „Nutzen statt Besitzen“ überzeugte viele, erfolgreiche Beispiele aus der Schweiz waren Vorbilder für Initiativen, Genossenschaften, Vereine und erste Firmen, die ihren Mitgliedern oder Kunden Autos in allen Größen zur Verfügung stellten.

Telgenbüscher vernetzte die Nachbarschaftsautos in Dortmund, Essen und Umgebung, „schon ein Jahr später hatten wir 70 Autos im Pool“, erinnert er sich.

Bundesweit vorn

1993 kündigte Telgenbüscher seinen Job bei Hoch-Tief und stieg auf das professionelle Autoteilen um. „stadtmobil carsharing GmbH“ hieß seine Firma im „Öko-Hof“ an der Huckarder Straße. Sie wurde ein Renner: „Bis 2003 waren wir bundesweit in 26 Städten vertreten, der Fuhrpark reichte vom kleinen Fiat über den Astra-Combi bis zum Mercedes Sprinter“. Das bundesweite Netzwerk funktionierte gut, die Zahl der Autos und der Nutzer stieg stetig weiter. „Allein am Hauptbahnhof standen damals 30 Fahrzeuge bereit, die im Schnitt 16 Stunden am Tag genutzt wurden.“

2003 stand sein „stadtmobil“ an der Spitze der bundesdeutschen Car­sharing-Anbieter. Dann kaufte der Shell-Konzern die Firma auf, um mit der Marke „Shell drive“ europaweit zu expandieren. Das lief gut bis 2005, dann wurde der Betrieb an „Green Wheels“ in den Niederlanden verkauft. Seitdem, so Telgenbüscher, sinke die Zahl der Autos und Standorte in Deutschland. Heute stehen 22 Autos mit dem froschgrünen Wirbel auf leuchtend rotem Grund im Dortmunder Stadtgebiet bereit, vier davon am Bahnhof. „Das ist viel zu wenig, um den Leuten verlässliche Mobilität zu bieten“, so Telgenbüscher. So sinke auch die Zahl der Nutzer weiter.

Im Süden gut etabliert

Ganz anders sieht es aus in Stuttgart und Mannheim, Berlin, Hamburg oder München: Dort geht der Trend seit 25 Jahren aufwärts. Anfang 2014 zählte der Bundesverband CarSharing in Berlin mehr als 320.000 Mit-Nutzer in seinen 150 Mitgliedsfirmen und -vereinen. Karlruhe ist dabei Spitze: Dort kommen fast zwei Carsharing-Autos auf 1000 Einwohner.

Viele Carsharer in den 380 Städten und Gemeinden haben das eigene Auto abgeschafft. Sie fahren bei Bedarf eins der aktuell 7700 Autos, die an 3900 festen Stationen bereit stehen. Im Schnitt nutzen 42 Fahrer ein Auto. Wichtiger als das eigene Gefährt ist ihnen dies: bei Bedarf ein Auto im passenden Format, leicht übers Internet oder Smartphone buchbar, möglichst in der Nachbarschaft erreichbar. Was zählt, ist: null ­Ärger mit Garagenmiete und Parkplatzsuche am Feierabend, nix zu tun mit Reifenwechsel, Inspektionen, Reparaturen, Steuer und Versicherung. Ist alles im Preis drin, auch der Sprit.

Ein Kleinwagen kostet 321 Euro jeden Monat – plus Sprit

Ein gutes Geschäft, belegen auch Berechnungen des ADAC: Die Kosten für einen Kleinwagen summieren sich im Jahr auf 3850 Euro, also 321 Euro jeden Monat. Mittelklassewagen können mit 10.940 Euro im Jahr zu Buche schlagen (912 Euro im Monat). Experten sind sich deshalb einig: Wer weniger als 10.000 km im Jahr fährt, spart jeden Monat mehrere hundert Euro.

Neustart in Essen-Rüttenscheid

Die „stadtmobil“ Rhein-Ruhr GmbH ist ein weiterer Ableger der Firma, die sich über 20 Jahre in Baden-Württemberg gut etabliert hat. Seit Anfang 2009 ist das Büro mit Geschäftsstelle in Rüttenscheid am Markt und legt seitdem kräftig zu. Vier Autos standen anfangs am Hauptbahnhof bereit, heute sind rund 100 Fahrzeuge in Essen, Bochum und Düsseldorf unterwegs.

Die Kunden zahlen hier 18 bis 31 Cent pro gefahrenem Kilometer, hinzu kommen tagsüber zwei bis sechs Euro pro Stunde. Für 24 Stunden werden pauschal 25 bis 65 Euro (plus km-Kosten) fällig, ein Transporter für eine Woche ist für 350 Euro zu haben – Sprit immer inclusive.

Wer also ein kleines „Stadtmobil“ nutzt, zahlt für vier Stunden und 32 Kilometer 19,64 Euro insgesamt. Das Wochenende in Holland – zwei Tage, 170 Kilometer – schlägt mit 91,70 Euro zu Buche. Und wer ein Ticket 2000 hat, zahlt nicht einmal die fünf Euro Grundgebühr im Monat. Zugleich öffnet das Ticket das gebuchte Auto, ob Smart, Kombi, Neunsitzer oder Transporter.

Auf Wachstumskurs

Nächste Standorte sind schon in Planung für Solingen, Mülheim, Moers und Krefeld. „Vor fünf Jahren war das Ruhrgebiet ein weißer Fleck auf der Landkarte des Carsharings, jetzt wachsen wir mit dem Bedarf unserer Kunden“, sagt Geschäftsführer Matthias Kall (35). Die Kooperation mit den öffentlichen Verkehrsbetrieben EVAG, Bogestra oder VRR läuft aus seiner Sicht sehr gut, das „Metrorad“ ist als drittes Verkehrsmittel mit im Bunde.

Keine Sorgen bereiten Kall deshalb die neuen „Free-Floating“-Angebote der großen Automobilkonzerne Daimler („Car2Go“), BMW („DriveNow“) oder VW („Quicar“), die bereits mehrere tausend Smarts, Minis und BMW-Cabrios oder Golf ins Rennen gebracht haben.

Autokonzerne entdecken die neue Miobilität

Diese Autos haben keine festen Standorte in der Stadt, sondern sind in fest umrissenen Innenstadtgebieten flexibel unterwegs. Wer gerade ein Auto braucht, ortet die nächsten freien Modelle in der Umgebung per Smartphone-App und bucht sich darüber ein. Am Ziel wird der Wagen abgestellt, bis sich dort ein anderer Nutzer einbucht. Kostenpunk bei „Car2Go“: 29 bis 34 Cent pro Minute, ab dem 51. Kilometer kommen 29 Cent pro Kilometer hinzu. Eine Stunde kostet 14,90, ein ganzer Tag 59 Euro, Sprit incl. inclusive.

437.000 Kunden nutzen diese Form des Autoteilens bereits in 14 deutschen Städten, 750.000 sind es weltweit. In Deutschland könnte Düsseldorf der nächste Standort werden. Dort läuft seit 2012 ein Pilot-Projekt mit 300 Smart und 250 BMW-Fahrzeugen.

Thomas Großheinrich, zuständig für das Mobilitätsmanagement der Landeshauptstadt, ist gespannt auf den Erfolg. Denn die freien Flitzer sind nur in einem klar begrenzten Geschäftsbereich zu haben und müssen dort auch wieder geparkt werden. Das Gebiet umfasst die Innenstadt bis Benrath und bis zur Stadtgrenze Neuss sowie den Flughafen. „Wer außerhalb dieser Zone wohnt – etwa in Hubbelrath, Unterbach oder Angermund – hat davon nichts.“ Weshalb das neue Modell den vier bisher hier ansässigen Carsharing-Anbietern keine Sorgen bereitet.

Neue Offensive im Ruhrgebiet

„Multimodale Mobilität“ ist im Zeitalter verstopfter und Abgas-belasteter Innenstädte auch ein großes Thema bei den kommunalen Verkehrsplanern im Ruhrgebiet. In den Rathäusern von Essen, Gelsenkirchen, Bochum und Dortmund sieht man mit Interesse dem Neustart von „Citeecar“ entgegen, der ab September mit insgesamt 150 Autos in diesen vier Städten starten will. Die Autos sind Kia Rio-Neuwagen, praktische Viertürer, die Preise moderat: Einen Euro pro Stunde plus 24 Cent pro Kilometer zahlen die Kunden tagsüber, ab 17 Uhr und am Wochenende kostet die Stunde zwei Euro, jeder Kilometer 29 Cent. Wer will, kann für 75 Cent pro Minute eine Vollkasko-Versicherung zubuchen.

„Wir wollen der Ryan Air der Straße sein – unsere Tarife sind so günstig und einfach, dass sich das auch der normale Gelsenkirchener leisten kann“, sagt Heiko Barnerßoi, Marketing-Manager des Unternehmens mit Sitz in Berlin. Mit den Verkehrsplanern der vier Städte ist man ebenso im Kontakt wie mit den ÖPNV-Betrieben; auch diese Autos können mit dem Ticket 2000 geöffnet werden.

20 bis 40 Autos sollen in jeder der vier Städte fahren, erste Standorte sind im Internet schon ausgewiesen. Allein: citeecar hat – wie alle anderen Carsharing-Anbieter auch – das Problem, genug feste Stellplätze anzumieten oder Innenstadt-Bewohner zu finden, die einen Parkausweis für das Floating-Fahrzeug beantragen. Die Werbung dafür läuft, wer einen Stellplatz am Haus oder einen Anwohnerparkschein für einen Stadtteil bieten kann, darf etwa das Auto vor der Haustür bis zu 50 Stunden im Monat fast kostenlos nutzen.

Kommunen verweigern feste Standorte fürs Carsharing

Um das Recht auf einen markierten Parkplatz im öffentlichen Raum wird seit den Anfängen des Carsharings mit Kommunen und Verkehrspolitikern der Länder und des Bundes gestritten. Bis heute ohne sichtbaren Erfolg: Während es kein Problem ist, feste Standplätze für kommerzielle Taxen auszuweisen und zu blockieren. müssen Carsharing-Autos fast überall auf Privatgelände unterkommen. Oft genug liegen gemietete Parkplätze in Hinterhöfen, verborgen vor den Augen potenzieller Mitbenutzer.

Diese Situation kann einen wie Jochen Will ziemlich in Rage bringen. Der 50-Jährige Dortmunder hatte sich ab 1990 mit zwei benachbarten Familien einen alten Golf geteilt, später koordinierte er das „Nachbarschaftsauto Westpark“: drei private Wagen, maximal 13 Nutzer. 2005 war das gemeinsame Projekt vorbei.

2009 machte der Raumplaner und Webdesigner den professionellen Neustart im Kreuzviertel. Eine Nachbarin hatte ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte: „Sie hat mir ihr Auto plus den privaten Stellplatz im Innenblock für das Carsharing zur Verfügung gestellt – mitten im Kreuzviertel“, erinnert sich der Vollblut-Carsharer. „Das war wie ein Sechser im Lotto.“

Heute sind seine sechs Pkw-Modelle im Stadtgebiet unterwegs, 83 Privatleute und zwei Betriebe nutzen die Autos regelmäßig. Gern würde Will mehr Autos in der Stadt platzieren – allein, ihm fehlen feste Stellplätze, möglichst nah an der Straße. „Dort wären die Autos sichtbar, würden viel mehr Leute anziehen. Ich verstehe nicht, warum die Stadt Dortmund sich so dagegen wehrt, uns feste Parkplätze auszuweisen“, sagt er. „Das ist so kurzsichtig: Schließlich sorgt jedes Carsharing-Auto dafür, dass neun private Autos aus der Stadt verschwinden.“ Aufgeben, das hört man, wird er erstmal nicht.

Auswahl von Anbietern im Ruhrgebiet und in NRW:

Cambio (Köln)

citeecar (Essen, Bochum, Dortmund, Gelsenkirchen)

RuhrautoE (E-Auto-Pilotprojekt, Ruhrgebiet)

Stadtmobil Rhein-Ruhr (Essen, Bochum)

Willmobil (Dortmund)

Bundesweite Anbieter:

car2go (Daimler)

DriveNow (BMW)

Flinkster (DB)

Greenwheels

Quicar (VW)