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Studentin flüchtet vor Rechten ins Ruhrgebiet

Studentin flüchtet vor Rechten ins Revier

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Foto: WAZ FotoPool
21 Jahre nach dem Ende der DDR flüchtet eine junge Frau in den Westen: Sie hält es in Magdeburg nicht mehr aus. Minh Do Thi Tran (20) will ins Ruhrgebiet ziehen. Unterwegs zwischen Plattenbau und rechten Plattmachern.

Magdeburg. 

21 Jahre nach dem Ende der DDR flüchtet eine junge Frau in den Westen: Sie hält es in Magdeburg nicht mehr aus. Nach einer unendlichen Kette fremdenfeindlicher Beleidigungen bricht Minh Do Thi Tran (20) ihr Studium ab, packt die Koffer und beginnt ein neues Leben im Ruhrgebiet. „Raus aus dem Osten“ – davon träumen viele, die leiden, weil sie nicht „deutsch“ aussehen.

„Fidschi“ – Minh ist ein Kindergartenkind, als sie es zum ersten Mal hört. Das Wort, das sie zwei Jahrzehnte begleiten wird. „Fidschi“ sagen die Leute oder „Sching, Schang, Schung“. Sie schreien, flüstern und zischen es. Beim Bäcker, im Bus, auf den Straßen der „Romantikstadt“ Magdeburg. Etwa jeder Zweite, schätzt Minh, denkt hier schlecht über Ausländer. „Du stehst im Supermarkt, und dann fangen sie an zu tuscheln. Sie können sich nicht vorstellen, dass du alles verstehst, was sie sagen: ,Die klauen doch nur’ ,Scheiß Ausländer’, ,Geht nach Hause’.“ Minh spricht mit leichtem sachsen-anhaltischen Akzent. Sie ist Deutsche, sie ist hier zu Hause. Minh war 1991 das zweite „vietnamesische“ Baby in Magdeburg. Ihre Eltern wurden von der DDR aus dem „Bruderland“ eingeladen. Vietnamesen durften im deutschen Sozialismus arbeiten, aber keine Kinder kriegen. Eine Schwangerschaft hieß: Ausreisen oder abtreiben.

Minh wurde nach dem Ende der DDR geboren. Tuyet, ihre Mutter, erlebte im Dezember 1990, wie willkommen die Vietnamesen wirklich waren. „Sie zogen vors Wohnheim, 50 Männer und Frauen, immer wieder nachts. Sie schmissen die Scheiben ein. Und riefen ,Abhauen’. Wir gingen danach nur noch in Gruppen zur Nähfabrik. Das war die schlimmste Zeit in Magdeburg, Anfang der 1990-er Jahre“, erinnert sich Tuyet. Die Familie ist gewarnt. Die Eltern raten ihren beiden Töchtern noch, als diese fast erwachsen sind: „Geht abends nie allein auf die Straße!“

Seyfettin Bozkurt kennt diese Angst. Er zog vor sechs Jahren von Berlin nach Halberstadt, in Sachsen-Anhalts Provinz, und eröffnete einen Imbiss. Dem Kurden gefiel das „Tor zum Harz“, die kleine Stadt mit den alten Fassaden. Die alten Gedanken dahinter kannte er nicht.

„Komm raus, Kanake“

Bis zum 29. Oktober 2010: In der Nacht zertrümmern ein Nachbar, dessen Freundin und zwei weitere Männer mit Baseballschlägern Seyfettins Schaufenster. Sie wüten, sie toben, sie schlagen. Sie rufen: „Komm raus, Scheißkanake. Das ist unser Land.“ Seyfettin verständigt die Polizei, die Wache liegt nebenan. „Aber die Beamten kamen erst nach einer halben Stunde. Die haben noch nicht mal mit dem Täter gesprochen, dabei kannte ich den doch, der wohnt hier oben“, erzählt er.

Der Spuk ist noch nicht vorbei. Morgens findet Seyfettin oft Spucke auf seinen Scheiben. Der Wirt hat Angst „Ich gehe so schnell wie möglich hier weg. Die Leute sind komisch, sie sind so kalt.“ Nirgendwo in Deutschland leben so wenige Migranten wie in den neuen Ländern. Nirgends ist die Gefahr größer, Opfer rechter Schläger zu werden.

Plattenbauwüste wird zur No-Go-Area

In Magdeburg-Olvenstedt verwandeln Bagger und Schredder einen Teil von Minhs Kindheit in Beton-Granulat. Olvenstedt besteht zum größten Teil aus „Platte“: gewaltige Siedlungen mit inzwischen pastellfarbigem Anstrich. Hier hat Minh früher gewohnt, das Hochhaus wurde längst im Zuge der Stadterneuerung pulverisiert. Nach Olvenstedt trauen sich Migranten nicht. Schon gar nicht abends. Dann wird die Plattenbauwüste zur No-Go-Area.

Drei Halbstarke kommen Minh entgegen. Sie wendet sich ab, sie schaut auf den Boden. „Stressmacher“, sagt sie, als die Jungs vorbei sind. „Allein möchte ich denen nicht begegnen.“ „Stressmacher“ gibt es reichlich in Olvenstedt. Junge, Alte, Männer, Frauen. Meist trinken sie Bier.

Scheiben mit dem Hammer eingeschlagen

Immer wieder Scherben: Im Restaurant „Vina Pearl“ in Magdeburg sind vier von sieben Scheiben angeknackst. Seit Ende Juli suchen Unbekannte Restaurants heim. Ausschließlich asiatische wie das „Vina Pearl“ und die „Goldene Burg“. Kellnerin Chu (42) zeigt einen Streifen Silberfolie: „Alle Scheiße. FCM olé“. FCM, das steht für den Regionalligisten FC Magdeburg. „Wenn Fußball ist, gehe ich nicht raus“, sagt Chu. Schon dreimal stand „Ausländer raus“ auf der Fassade des „Vina Pearl“. Kann man, muss man sich dagegen wehren? Minh und Chu lächeln. „Wir sind Asiaten, wir schlucken so was runter. Die Türken lassen sich nicht so viel gefallen.“ Am Tag nach dem Gespräch mit Minh und Chu stellt sich eine Frau mit einem Hammer vor das „Pearl“ und zerschlägt vor den Augen der Vietnamesen auch die restlichen Scheiben.

Minh löst das Problem jetzt auf ihre Weise. Sie hat beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Bochum ein Praktikum gemacht, und tief im Westen die Freiheit entdeckt: „Keiner sagt ,Fidschi’, Migranten sind dort keine Exoten.“ Minh hat sich an der TU Dortmund beworben, sie will Sprachwissenschaften studieren. Für die Wohnungssuche hat sie schon erste Tipps bekommen: „Bloß nicht in Dortmund-Dorstfeld. Da gibt’s zu viele Nazis.“