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Ökologismus ersetzt den liberalen Zeitgeist

Ökologismus ersetzt den liberalen Zeitgeist

Ulrich Reitz ist Chefredakteur der WAZ
Ulrich Reitz ist Chefredakteur der WAZ Foto: Foto: WAZ FotoPool

Essen. 

Der letzte Zeitgeist war liberal und hielt 20 Jahre. In dieser Zeit mussten Steuern gesenkt werden. Der liberale Zeitgeist war so stark, dass Rot-Grün die Steuern am stärksten senkte, am stärksten für Konzerne und Reiche, die liberal wählten, nie und nimmer aber Rot-Grün. Zum liberalen Zeitgeist gehörte, die Entkopplung von Kapital und Arbeit nicht nur zu dulden, sondern sogar zu befördern und zu besingen.

Dass der Finanzmarkt-Kapitalismus starke illiberale Züge aufwies, wie die Entkopplung von Investition und Verantwortung, kam den Liberalen in Eile und Euphorie unter die Räder, fiel der Linken aber auch nicht auf, weil sie mit dem Sozialismus schon genug Arbeit hat.

Der neue Zeitgeist ist grün und niemand hat das so begriffen wie der künftige baden-württembergische Regierungschef Kretsch­mann und die sozialdemokratischen Führungsleute Gabriel und Steinmeier. Kretsch­mann, weil er, erstens, um die zerstörerischen Wirkungen weiß, die die Realität auf eine Idee zu entfalten vermag. A: das Porsche-Problem – was tun, wenn der Wohlstand ein schnelles Auto ist? B: das Bildungs-Paradox – was tun, wenn das beste Schulsystem gegliedert ist? Zweitens weiß Kretschmann aber auch um die Unvereinbarkeiten, die Paradoxien innerhalb der Idee, kurz: Wenn die Grünen bald einer Volksabstimmung für Stuttgart 21 folgen müssen.

FDP und CDU haben vergessen, was schwarz und was gelb

Gabriel und Steinmeier wissen um die Sprengkraft des Grünen, das der Sozialdemokratie den letzten Stoß versetzen könnte. Darum bringen sie in der Energiedebatte den eigenen Markenkern, das Soziale, gegen das Ökologische in Stellung. Der Atom-Ausstieg müsse bezahlbar bleiben, die Energiewende dürfe der sogenannte kleine Mann nicht allzu sehr im Geldbeutel spüren. Deutschland sei und bleibe Industrieland, usw.

Konservative und Liberale wissen auch um die grüne Zeitenwende. Dass sie von Fuku­shima überrascht werden, sind sie selbst schuld. Dass eine Technik nicht konservativ sein kann, die die Schöpfung bedroht, hätten Konservative auch wissen können, bevor sie die Atom-Laufzeiten verlängerten. CDU und FDP streichen sich nun rekordschnell grün. Das fällt ihnen leicht, weil sie längst vergessen haben, was schwarz ist und was gelb.

Fazit:

Liberalismus, Sozialismus, Konservatismus – die drei bestimmenden westlichen Ideologien haben Zuwachs bekommen. Den Ökologismus. Eine Idee, die schon jetzt mehr ist als eine Partei, die bald einen Kanzlerkandidaten braucht.