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Horst Köhler bereut seinen Rücktritt nicht

Horst Köhler bereut seinen Rücktritt nicht

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Berlin. 

Am Ende eines langen und turbulenten Tages erklärt Angela Merkel im Fernsehen, „wie sagt man so schön: Der Mensch wächst mit seinen Herausforderungen.“ Jäh und unvermittelt war Horst Köhler zurückgetreten. Damit muss die Kanzlerin an diesem 31. Mai 2010 klarkommen.

Ein Jahr später liest sich der Satz als Kostprobe ihres Sarkasmus’. Mit der Herausforderung des Amts war Köhler ja nicht gewachsen. Beim Bundespräsidenten verlief die Entwicklung anders herum. Von Jahr zu Jahr verhärtete sich das Verhältnis zur Politik.

In den letzten Monaten fiel der Mann durch Schweigen aus. Ihm fehlte ein Thema, das „Projekt“ seiner zweiten Amtszeit, die im Juli 2009 begonnen hatte. Im April stirbt Gert Haller, der Leiter des Präsidialamts. Ein doppelter Schicksalsschlag: Für Köhler persönlich – Haller ist sein bester Freund – und für das Amt, das in der Folge von (Rang)Kämpfen erschüttert wird. Der Nachfolger vergrätzt viele Mitarbeiter, einige gehen. In Schloss Bellevue wird es einsam um Horst Köhler.

Fehlender Respekt

Seelisch wie politisch ist der Mann wund gescheuert. Er fühlt sich nicht respektiert, und „die Politik“, wie er gern sagt, hört ihm nicht zu. Warum tut er sich das an?

Zwei, isoliert betrachtet, eher nichtige Anlässe führen zur Verzweiflungstat. Am 25. März formuliert er in einem Interview einen Satz, der Widerspruch provoziert: „Deutschland muss seine Interessen wahren. Dazu ist im Notfall auch Einsatz des Militärs notwendig.“ Fast hätte sich die Aussage „versendet“. Über das Internet wird doch ein Skandal daraus. Der Präsident muss sich korrigieren. Die Politik kehrt zum Tagesgeschäft zurück, ahnt auch nicht das Drama voraus, als der „Spiegel“ eine bitterböse Geschichte publiziert. Titel: „Horst Lübke.“ Zum Schluss seiner Präsidentschaft war Heinrich Lübke nicht mehr auf der Höhe der Zeit gewesen. Mit dem Vergleich wird Köhler der Lächerlichkeit preisgegeben.

Am nächsten Morgen steht Köhlers Entscheidung fest: Er wird alles hinwerfen. Sofort. Um 14 Uhr tritt er vor die Mikrofone. Ein kurzer verstörender Auftritt in Schloss Bellevue, drei Minuten nur, an der Seite seiner Frau. In 61 Jahren hat die Republik so was noch nicht erlebt. Und die Köhlers? Üben bald die neue Normalität ein: Den Umzug von der Dienstvilla in eine Berliner Altbauwohnung. International wird der Ökonom hier und da um Rat gefragt. Auftritte, Reden. Aber: Kein Wort über den Rücktritt.

Bis er neulich bei einem Besuch in seinem polnischen Geburtsort Skierbieszow von Schülern danach befragt wird: „Ich fand einfach, man hat dem Amt des Bundespräsidenten, in diesem Fall durch mich ausgeübt, zu wenig Respekt gegeben.“ Und: „Ich triumphiere über diese Entscheidung nicht. Aber so, wie ich mich kenne, würde ich sie wieder so treffen in vergleichbaren Situationen.“

Politischer Selbstmord

Konkreter wird er nicht. Man muss akzeptieren, dass höchste Würdenträger Menschen sind, die in ein Loch fallen, ihre Kräfte überfordern, verzweifeln können und die das Recht haben, „ich kann nicht mehr“ zu sagen. So war es bei Köhler, ein Jahrzehnt zuvor bei Oskar Lafontaine, der als Finanzminister auch einen politischen Selbstmord beging.

Der Berliner Betrieb hat daraus nichts gelernt. Oder nur so viel: Die CDU-Chefin setzt bei der Nachfolgesuche nicht abermals auf einen Seiteneinsteiger. Sie geht kein Risiko ein und macht sich für einen Politiker stark, für Christian Wulff. Einen, der das Amt so nimmt, wie es ist: Viele Repräsentationspflichten, noch mehr Außenpolitik. Mit Glück und Geschick bleibt man mit ein, zwei Akzenten in Erinnerung. Wer sich mehr erhofft, wird leiden. Oder daran zerbrechen.