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Interview mit einem Mafia-Killer

Interview mit einem Mafia-Killer

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Der Mann kommt mit dem Flugzeug aus Italien. Er hat etliche Menschen getötet im Auftrag der Cosa Nostra. Doch jetzt will er aussteigen und über die Methoden reden, mit denen die Mafia Deutschland erobert – ein Gespräch über die Strukturen einer mörderischen Schattenwelt.

Essen. 

Den entscheidenden Anruf erhalte ich in einer Hotellobby in Süddeutschland. Am Klavier spielt ein Mann leichtgängigen Jazz. Der Mörder der Mafia will auspacken. Er nennt sich Giovanni Rossi. Er will aus Sizilien nach Deutschland kommen und mir berichten, wie das läuft, mit den Todeslisten, mit den Männern, die beseitigt werden und den Bossen und ihren Intrigen. Er muss aus Sizilien verschwinden. Er hat Angst vor den Söhnen seiner Opfer; sie könnten ihre Väter rächen. Er hat Angst vor seinen alten Kumpanen; sie könnten erfahren, dass er mit der Polizei geredet hat. Giovanni Rossi sucht ein sicheres Versteck, einen Neuanfang irgendwo in Deutschland.

Ich soll ihn abholen, sagt er, am Flughafen Köln-Bonn. In drei Tagen. Gerade genug Zeit, eine Ferienwohnung zu beschaffen, in einem ruhigen, sicheren Haus am Niederrhein, am Rand des Ruhrgebietes. Ein Ort, an dem wir ungestört über Morde und die Mafia reden können.

Die Aussagen sind geprüft und wahr

Eine Woche haben wir, sagt Giovanni Rossi, um unsere Gespräche aufzuzeichnen und auszuwerten. Dann muss er weiterziehen. Er hat einen Kontakt in Süddeutschland. Dort könnte er in ein Zeugenschutzprogramm. Das ist seine Option. Giovanni Rossi hat genug vom Leben im Untergrund. Deswegen verschweigt er den Namen seines Heimatdorfes und er lässt sich mit einem falschen Namen ansprechen.

Ich habe die Angaben von Giovanni Rossi überprüft. Ich habe zusammen mit Journalisten des WDR, des Spiegel und mit Kollegen aus Italien alte Gerichtsakten besorgt und Fakten durchleuchtet. Wir haben Ermittler kontaktiert und geheime Berichte des Landes- und des Bundeskriminalamtes durchgeackert.

Die Ergebnisse der Recherche sind eindeutig: Die Aussagen von Giovanni Rossi sind wahr. Das Interview mit einem Killer erlaubt einen tiefen Einblick in Strukturen der Mafia und in ihren Expansionsdrang nach Deutschland.

Die vollständige Dokumentation:

Mafia-in-Deutschland.de

Giovanni Rossi, wie kamen Sie zur Mafia?

Rossi: In meinem Viertel war die Mafia schon immer da. Sie war wie eine geheime Verwaltung. Ich bin schon als kleiner Junge in den Sog der Mafia geraten. Schon als ich meinen ersten Raub verübt habe, als 16-Jähriger, geschah das nach dem Willen der Mafia. Nach und nach wurde ich Teil der kriminellen Organisation.

Die Mafiosi sind damals offen aufgetreten und mit ihren Ferraris durchs Dorf gefahren. Aber auch wenn sie heute im Hintergrund aktiv sind, im Inneren der Mafia hat sich nicht viel verändert. Die Dorfbewohner wenden sich noch heute an den Boss und suchen bei ihm Hilfe im Alltag: Ein Fiat wurde geklaut. Der Bauer fragt den Mafioso, ob er den Wagen zurückbekommt, nicht die Polizei.

Wie begann Ihre kriminelle Karriere?

Rossi: Ich bin nach und nach in die Mafia hineingewachsen. Mit elf Jahren etwa habe ich zum ersten Mal geklaut, den ersten Einbruch mit 14 Jahren gemacht. Später habe ich Überfälle begangen. Als Jugendlicher konnte ich ja noch nicht belangt werden: Ich habe Kioske ausgenommen und Tabakhändler. An meinen ersten Raubüberfall kann ich mich gut erinnern.

Mit meinem Freund habe ich mich auf Hausüberfälle spezialisiert. Wir hatten einen Unternehmer im Visier. Wir hatten uns mit einem Gewehr in seinem Haus versteckt und gewartet bis er heimkommt. Wir hatten uns mit Motorradhelmen maskiert. Als er schließlich die Einfahrt hochkam, ließ er aber nur seine Frau im Hof raus und fuhr mit dem Auto noch mal weg.

Wir saßen dann bis drei Uhr nachts mit der Frau auf dem Sofa. Sie war völlig verängstigt und uns beschlug andauernd das Visier vom Motorradhelm. Ein totales Chaos. Als endlich der Mann ankam, haben wir ihm ein paar tausend Lire abgenommen und sind verschwunden. Mein größter Traum damals war eine Honda SNR 125, ein Motorrad, das wollten alle, in Rot und Schwarz.

Haben Sie nicht darüber nachgedacht, was Sie den Menschen antun?

Rossi: Nein, über die Todesangst der Frau haben wir uns keine Gedanken gemacht.

Wann wurden Sie Killer?

Rossi: Als Jugendlicher saß ich wegen mehrerer Raubüberfälle ein paar Jahre in Haft. Zunächst im Jugendknast, dann kam ich in das Erwachsenengefängnis. Dort hat mein Pate schon auf mich gewartet. Ich kam in den obersten Stock, da wo die Bosse und Mafiosi residieren. Alles war für mich bereitet, weil die Bosse gesagt haben, der Junge ist wichtig für uns. Als ich dann entlassen wurde, hat mich mein Pate aus meinem Nachbardorf unter seine Fittiche genommen. Er hat mich zum Killer ausgebildet.

Wie geht das?

Rossi: Er hat mir zunächst kleine Aufträge gegeben, hier ein paar Schafe abknallen, dort ein paar Überfälle begehen, irgendwann ein Haus anzünden. Ich wusste noch nicht, was das bedeuten sollte. Aber er hat geprüft, ob ich schweigen kann und ob ich vertrauenswürdig bin.

Mein Boss war der Bruder des späteren Capo di tutti i capi der Cosa Nostra, dem Boss der Bosse in Sizilien, dem Oberhaupt der Mafia. Mein Boss stand ganz oben in der Hierarchie. Er hatte 300 Mafiosi unter sich. Irgendwann kam dann der Auftrag, einen Mann zu töten. Ich habe den Auftrag angenommen.

Der erste Mordanschlag 

Hatten Sie keine Skrupel?

Rossi: Nein. Ich hatte nie so etwas wie Schuldgefühle. Ich habe die Opfer als Ziele gesehen, als Objekte, die ich aus dem Weg räumen muss. Meist kannte ich nicht mal deren Namen richtig, sondern hatte nur ein Bild von ihnen. Ich habe auch nie nach dem Motiv gefragt, warum ich jemanden umbringen sollte. Wir waren wie eine paramilitärische Gruppe. Der Boss hat befohlen, und wir haben gehorcht. Wenn Du tötest, ist es so, als wärst Du auf Drogen. Das Gefühl ist sehr mächtig.

Bei meinem ersten Mord haben wir uns bei meinem Boss auf dem Land getroffen, bei seinem Schafstall. Er sagte uns, wo sich die Zielperson aufhält, in welcher Bar. Es hieß, unser Ziel habe Drogen ohne Erlaubnis des Bosses verkauft. Wir haben dann eine kleine Gefechtsgruppe gebildet. Ich war deren Chef. Dann sind wir losgefahren. Ich hatte eine Beretta 7,65. Mein Freund hatte einen Revolver Kaliber 38.

Als wir zu der Bar kamen, habe ich den Mann aus dem Lokal gelockt. Ich habe gesagt, wir müssten mit ihm reden. In einer Seitenstraße hat mein Freund dann auf ihn geschossen. Unser Ziel stürzte. Ein zweiter Mann kam aus der Bar angerannt. Ich habe ihm meine Beretta vor das Gesicht gehalten und gesagt, er soll verschwinden. Er hat hiermit nichts zu tun, er hat nichts gesehen.

Mein Boss hat das ganze aus der Entfernung beobachtet. Wir sind zurück zum Schafstall und haben die Waffen abgelegt. Dann sind wir nach Hause gefahren und haben was gegessen und sind früh schlafen gegangen.

Am nächsten Tag waren wir stolz. Wir hatten unseren Auftrag erfüllt. Aber als wir zu unserem Boss kamen, war der stinksauer. Er hat in seinem Schafstall getobt. Das Ziel war nicht tot. Der Mann hatte schwer verletzt überlebt. Mein Boss schrie: Wenn ich sage, dass einer sterben soll, muss er auch sterben, sonst sterbt ihr. Später hat er sich beruhigt. Er hat gesehen, wie kaltblütig ich geblieben bin. Das hat ihm gefallen. Später hat mein Boss mich zum Capo gemacht. Das bedeutet: Ich wurde zum Anführer seiner 10-köpfigen Killertruppe.

Hatten Sie kein schlechtes Gewissen?

Rossi: Nein. Ich habe mich nur schuldig gefühlt, weil das Ziel überlebt hatte. Ich habe mir geschworen, beim nächsten Mal lasse ich niemanden mehr entkommen.

Aber es ging doch um Menschen?

Rossi: Natürlich habe ich Personen getötet und keine Objekte zerstört. Aber in diesen Momenten habe ich das Mitgefühl ausgeblendet.

Geht das überhaupt?

Rossi: Ich bin zwischen Jägern aufgewachsen. Und für mich ist es normal, wie ein Jäger auf die Jagd zu gehen und meine Beute zu suchen. Mein Boss hat mich deswegen ausgesucht, weil ich rücksichtslos und zugleich intelligent bin.

Welche Geschäfte hat Ihr Boss gemacht?

Rossi: Er hat sich um illegale Pferderennen gekümmert, er hat mit Drogen und Waffen gehandelt und Erpressungen organisiert. Sein Einfluss war riesengroß. Er war aber ein Mann unter Toto Riina. Dem damaligen Boss der Bosse der gesamten Cosa Nostra. Er konnte deswegen nicht einfach seinen Herrschaftsbereich erweitern. Dazu bedurfte es einer Intrige.

Gegenüber Toto Riina hat mein Boss so getan, als kümmere er sich nicht um die Angelegenheiten anderer. Mich aber hat er losgeschickt, hinter dem Rücken von Toto Riina zu morden. Ich musste die Gefolgsleute von Riina töten, damit mein Boss seine Herrschaft ausdehnen konnte.

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Giovanni Rossi spricht leicht über seine Zeit als Mafiakiller. Er sitzt in der Ferienwohnung neben einem offenen Kamin, in dem Holzscheite knistern. Mit seinen Händen unterstreicht er seine Worte, sie wirbeln, wenn er sich aufregt, sie liegen auf seinen Knien, wenn er erklärt. Manchmal steht er auf, geht an ein Fenster und raucht eine Zigarette. Am Mittag lädt er mich ein, mit ihm zusammen Pasta zu essen. Sizilianische Pasta. Er bereitet sie selbst in der Küche der Ferienwohnung zu. Tomaten, Basilikum und viele Gewürze. Giovanni Rossi fängt an, über seine Mutter zu reden, wie sie ihn verabschiedet hat. Geh’ nach Deutschland, habe sie gesagt, fang’ ein neues Leben an. Giovanni Rossi vermisst hier alles. Er versteht die deutsche Sprache nicht. Das Wetter ist grau, es regnet. Und am Küchentisch sitzen nicht seine drei Brüder oder seine Schwester, sondern ein Reporter, der ihn nach seiner dunklen Vergangenheit befragt, das Verdrängte wieder aufwühlt. Manchmal schellt eines seiner vier Handys, über die er Kontakt nach Sizilien hält. Er hat eine Geliebte, sagt er, die er nicht mehr sehen kann. Ich frage, über was er mit seinen Angehörigen am Mittagstisch geredet hat, wenn er von seinen Morden kam. Er sagt, er habe über alles gesprochen, was normal ist: Dass er etwa eine Beule in sein Auto gefahren hat, was seinen Vater tierisch aufgeregt hat. Die Familie, sagt Giovanni Rossi, sei seine Heimat. Aber wussten seine Mutter, sein Vater nicht, dass er ein Mafioso ist? Doch, sagt Giovanni Rossi. Das hätte seine Mutter gewusst. Er habe ja nie gearbeitet und sei trotzdem mit schicken Motorrädern herumgefahren. Aber sie habe ihn nie gefragt, was er macht. Sie wollte es einfach nicht wissen.

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Ein Menschenleben kostet 2500 Euro 

Wie lief der zweite Mord ab?

Rossi: Ich war noch nicht Capo der Gefechtsgruppe. Die anderen hatten sich bei den Ställen getroffen und die Waffen verteilt. Wir sollten vier Leute in einer Nacht töten. Wir setzten uns in die Autos und fuhren los in die Dunkelheit. Eines der Ziele hatte beim Pferderennen betrogen, dieser Mann sollte zusammen mit seinem Boss sterben. Die anderen beiden Männer hatten ohne Erlaubnis Kokain verkauft. Wir wussten, dass alle vier zusammen in einer Bar in der Nähe von Trappeto waren. Dort wollten wir sie erwischen. Unsere Gruppe bestand aus sieben Personen. Ich habe eine Beretta 7,65 genommen, mein Boss eine Pumpgun mit Kaliber 12.

Vor der Bar kam es zu Problemen. Die Ziele stiegen gerade ein in ihre Autos und fuhren getrennt von einander los. Ich saß mit meinem Boss in einem Wagen. Wir hängten uns an einen Wagen, in dem zwei Leute saßen. Sie ahnten nichts, als sie an einer Tankstelle Rast machten. Der eine ging einen Kaffee trinken, der andere tankte den Wagen. Wir beschlossen, die beiden in ihrem Auto abzuknallen, wenn sie wieder einsteigen würden. Das ist am einfachsten; niemand kann weglaufen. Du schießt und triffst. Mein Boss hat in einer Telefonzelle gewartet und so getan, als würde er mit jemanden sprechen.

Doch als die beiden gerade einsteigen, klemmt meine Pistole. Sie hat Ladehemmung. Mein Kompagnon schießt außerdem am Kopf des Fahrers vorbei. Was für ein Chaos. Der Fahrer rennt über die Straße weg in Richtung des nächsten Dorfes. Wie ein Karnickel. Der andere flüchtet zurück in die Tankstelle. Sein Fehler. Wir sind ihm gefolgt und haben ihn erschossen.

Da waren doch noch andere Menschen in der Tankstelle?

Rossi: Auf die haben wir nicht geachtet. In Sizilien hört und sieht man besser nichts, wenn einer schießt. Und wir haben sehr viel geschossen.

Wie teuer war es damals, einen Menschen erschießen zu lassen?

Rossi: Mein Boss hat mir umgerechnet 2500 Euro gegeben.

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Bei der Schilderung des Mordes springt Giovanni Rossi auf. Im Kamin flackert das Feuer. Er formt mit den Fingern die Pistole nach und zeigt, wie er die Schüsse auf den Mann am Boden abgegeben hat. Er ist nicht stolz auf das, was er zeigt. Die Erinnerungen packen ihn nur und lassen seinen ganzen Körper beben. Danach geht er an das Fenster. Rossi steckt sich eine neue Zigarette an. Es ist dunkel. Insgesamt habe er sechs oder sieben Menschen getötet, dazu einige Mordversuche, die schiefgegangen sind. Und Anschläge, an denen er beteiligt war. Giovanni Rossi sagt, er könne sich nicht so genau dran erinnern. Mitte der 90er Jahre wurde er nach einer spektakulären Flucht nach Deutschland verhaftet und in Italien zu 18 Jahren Haft verurteilt, die er abgesessen hat. Nach seiner Entlassung vor einigen Monaten hat er eine Zeit lang wieder mit der Polizei kooperiert und Details zur Organisation der Cosa Nostra und der Stidda aus dem sizilianischen Agrigent verraten. Er hofft, nun bald in ein Zeugenschutzprogramm der deutschen Behörden zu kommen. Giovanni Rossi sagt, wir in Deutschland hätten keine Vorstellung davon, wie tief die Mafia hierzulande schon verwurzelt sei. Sie durchdringe alle Bereiche, und mache ihr Geld mit Drogen, Waffen und illegalen Baugeschäften. Ganz so wie in Italien.

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Wie sich die Mafia in Deutschland ausbreitet 

Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?

Rossi: Mein Vater hat hier lange als Gastarbeiter gearbeitet. In einer Stadt in Süddeutschland. Ich selber bin nach meiner Flucht Mitte der 90er-Jahre aus Italien in Deutschland untergetaucht. Das war sehr leicht, da es in Deutschland eine große sizilianische Gemeinde gibt. Über Bekannte und Freunde bekam ich eine Wohnung und Arbeit. Nach meiner Haftentlassung bin ich wieder nach Deutschland gefahren und in das Umfeld einer Mafiagruppe geraten.

Was macht die Cosa Nostra in Deutschland?

Rossi: In Deutschland genießt die Mafia viele Vorteile. Sie kann sich – ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen – schweigend in die Gesellschaft einschleichen. Es läuft hier nicht wie in Sizilien mit Toten und Schießereien. Die Mafia kommt in eine Stadt, sie eröffnet ein Restaurant und gewinnt langsam immer mehr Bedeutung. Die Mafia hat viel illegales Geld. Das wäscht sie in Deutschland.

Sie kauft über Strohleute kleine Hotels, Häuser und Baufirmen. Es ist immer dasselbe Muster. Ich gebe mal ein Beispiel: Ein Mafioso kauft über einen Strohmann ein altes Haus für, sagen wir, 50.000 Euro, die er im Drogengeschäft gemacht hat. Ein Jahr später verkauft er es für 150.000 Euro weiter an einen anderen Strohmann, dem er ebenfalls Geld aus dem Drogengeschäft gegeben hat.

Mit dem Geschäft hat er das Drogengeld gewaschen. Es ist jetzt legales Geld, das er problemlos in neue Projekte investieren kann. Nach außen hin sieht der Strohmann aus wie ein erfolgreicher Geschäftsmann. Die Banken mögen ihn und geben ihm neue Kredite, die er für neue Immobiliengeschäfte nutzt, mit denen er noch mehr Drogengeld wäscht.

Wieso funktioniert das in Deutschland?

Rossi: Es gibt hierzulande keine Handhabe gegen die Mafia. Keine Gesetzgebung, wie in Italien, die aggressiv mit Abhörmaßnahmen und Beschlagnahmen gegen Mafiamitglieder und deren Unterstützer vorgeht. In Deutschland wird die Mafia wie eine Folklore-Veranstaltung gesehen.

Ein Phänomen der Vergangenheit. Solange aber die Politiker und die Polizei sagen, die Mafia gibt es nicht, solange kann sie weiter im Untergrund wachsen. Die Mafia ist lebendig wie nie zuvor. Sie passt sich an, wie ein Chamäleon. Aber im Kern ist es immer noch die gleiche Organisation, die seit Jahrhunderten existiert.

Wie baut die Mafia ihre Strukturen in Deutschland auf?

Rossi: Seit den 70er-Jahren kommen die großen Bosse nach Deutschland. Sie haben sich die Regionen in Deutschland aufgeteilt. Hier die Leute aus Agrigent, dort die Leute aus Trapani. Zuerst kommt der Berater des Bosses mit ein paar Soldaten. Er schaut sich um, was man machen kann. Einer investiert in Schwarzarbeit auf dem Bau, einer steigt ins Geschäft mit Geldautomaten ein, ein anderer kümmert sich um Drogen- oder Waffenhandel.

Wenn das Geschäft dann läuft, kommen die großen Bosse. Sie kontrollieren die Geschäfte, expandieren. Das Ziel ist es immer, illegale Gewinne zu waschen. Die Mafia ist überall aktiv. Nur Erpressungen gibt es in Deutschland sehr selten. Schutzgeld ist schwierig einzutreiben. Und wenn Häuser oder Wagenparks angezündet werden, gibt es zu viel Ärger mit der Polizei und Öffentlichkeit. Das will niemand.

Wie erkennt man illegale Geschäfte?

Rossi: Ich selbst kann einen Mafioso erkennen, wenn ich ihn treffe. Wenn ich in eine sizilianische Bar komme, erkennen mich die Menschen. Sie wissen, wer ich bin und verhalten sich dementsprechend. Das gleiche passiert, wenn ein anderer Mafioso auftaucht. Dann wird geredet und die Leute finden sich. Für Außenstehende ist das schwer. Aber normalerweise reicht ein Blick hinter die Kulissen.

Wenn jemand mit einem einfachen Transporter anfängt, Käse und Oliven aus Sizilien zu verkaufen und kurze Zeit später Besitzer von Immobilien im Wert von sieben Millionen Euro ist, dann kann etwas nicht stimmen. Oder wenn ein Restaurantbesitzer immer ein leeres Lokal hat, aber angeblich Gewinne in Millionenhöhe einfährt, dann ist der Verdacht nicht weit, dass er illegales Geld wäscht. Diese Leute sehen nur aus wie erfolgreiche Geschäftsleute. Nur mit einer ähnlich aggressiven Gesetzgebung wie in Italien lassen sich Strukturen der Mafia bekämpfen.

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Giovanni Rossi macht wieder eine Pause. Wir gehen am Rhein spazieren. Große Tanker fahren vorbei. Ein paar Gänse schlafen auf dem Uferstreifen. Giovanni Rossi liebt es, sich im Meer auf einer Luftmatratze treiben zu lassen. Er träumt dann von seinen Wünschen. Dass er gerne mal ein Kind in seinen Armen hätte, das zu ihm Papa sagt. Er träumt davon, mit seiner Freundin zusammenzuleben. Einmal war er schon verheiratet, aber die Ehe ging in die Brüche.

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Was war die Mafia für Sie?

Rossi: Wenn Du mit dem Boss und seinen Brüdern morden gehst, dann entsteht ein Blutspakt. Wir sind nicht losgezogen, um irgendwo einzubrechen, sondern um einen Menschen zu töten. Dadurch entsteht eine sehr tiefe Verbindung. Mein Boss und seine Brüder waren keine Fremden für mich. Es fühlte sich an wie Familie. Die Mitglieder der Mafia waren wie meine Brüder. Von klein auf hat sie mich begleitet, war für mich da und hat sich um mich gesorgt. In meiner ersten Zeit im Gefängnis hat sich mein Boss um mich gekümmert.

Er hat mir den Anwalt bezahlt, mir Sachen zum Anziehen geschickt, sich um mich gesorgt. Auch wenn er mich später dann verraten hat und mich beseitigen wollte. Er war mein Familienoberhaupt. Solange ich für meinen Boss nützlich war, so lange konnte ich mich in der Familie sicher und wichtig fühlen. Aber als es ihm notwendig erschien, mich zu töten, hat er nicht einen Moment gezögert, mich zu verraten. Wenn Du mit dem Boss und seinen Brüdern morden gehst und so ein Geheimnis teilst, versuchen sie anschließend, Dich zu beseitigen, damit die Geheimnisse Geheimnisse bleiben. So läuft das Spiel eben: Der große Fisch frisst immer den kleinen.

Wie hieß Ihr Boss?

Rossi: Leonardo Vitale. Er sitzt derzeit in Haft, auch auf Grund meiner Aussagen. Aber soweit ich weiß, geht er seinen Geschäften auch von dort aus immer noch nach.

Wie war der Bruch mit der Mafia für Sie?

Rossi: Mein Boss wollte sich wieder mit dem damaligen Boss der Bosse der Cosa Nostra, Toto Riina vertragen. Um das zu erreichen, wollte er mich ans Messer liefern. Denn ich war der Beweis dafür, dass er hinter dem Rücken von Toto Riina dessen Leute umgebracht hatte. Mein Boss gab der Polizei einen Tipp, wo sie mich finden können.

Die Carabinieri haben mich gejagt. Ich bin mit einem Motorrad geflüchtet. Hinter mir saß mein Freund seit Kindertagen, mit dem ich die ganze Zeit über zusammen war. Die Polizei hat auf uns geschossen. Und ich glaube, sie wollten uns töten. Mein Freund bekam einen Kopfschuss, sein Gehirn trat aus. Ich hatte leichtere Verletzungen.

Haben Sie sofort mit der Polizei kooperiert?

Rossi: Nein: Im Gefängnis hielt ich zuerst den Mund. Vor dem Prozess kam ich noch einmal aus dem Gefängnis und konnte nach Deutschland fliehen. Doch nachdem ich dort gefasst wurde, habe ich verstanden, dass mein Boss es war, der mich verraten hatte. Danach habe ich meine Morde zugegeben. Und wurde verurteilt. Ich habe jetzt meine Strafe abgesessen und hoffe, ein neues Leben beginnen zu können.

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Nach einer Woche bringe ich Giovanni Rossi zum Bahnhof in Köln. Er zieht einen Koffer hinter sich her und steigt in einen Zug nach Süden. Seine Hoffnung, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, zerschlägt sich später. Er konnte nur zu den Strukturen der Mafia in Deutschland aussagen. Er kennt die Bosse, die sich hier niedergelassen haben. Das reichte den Staatsanwälten aber nicht. Nach deutschem Recht ist die Bildung einer kriminellen Vereinigung an sich zwar strafbar – aber es müssen immer auch schwere Straftaten wie ein Mord von einem Zeugen belegt werden, bevor er in den Zeugenschutz kommen kann. Ein Ermittler sagte mir später: Es gehe eben um eine Kosten-Nutzen-Rechnung: Was bringt der Zeuge? Welche Strafen können nach seiner Aussage verhängt werden und was kostet den Staat der Zeugenschutz? Lohnt sich der Aufwand? Viele in Deutschland denken ja noch immer die Mafia gibt es nicht.

Mehr zur Recherche von WAZ, WDR und Spiegel gibt es im Internet:

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