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Oldtimer-Fahrer sind Individualisten auf vier Rädern

Oldtimer-Fahrer sind Individualisten auf vier Rädern

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Oldtimer Kaefertreffen auf der Muehlenweide Foto: Kai Kitschenberg/WAZ FotoPool
Besitzer von Oldtimern möchten sich mit ihrem Fahrzeug von der Masse abheben, wie eine aktuelle Studie von Bochumer Forschern rund um den Auto-Psychologen Rüdiger Hossiep zeigt. Oldie-Fans bevorzugen zudem andere Marken bei Neuwagen als Autofahrer, die sich nicht für Klassiker interessieren.

Bochum/Duisburg. 

Sobald die Schicht zu Ende war, holte Klaus Breitkreutz die Autobatterie vom Kauenhaken, um sie wieder in seinen Käfer einzubauen. Zuhause angekommen, im „tiefsten Winter“ 1986, bekam sie einen warmen Platz an der Heizung. Einbauen, ausbauen, wieder einbauen. Das war Arbeit, die sich nicht wie Arbeit anfühlte. Denn der Bergmann tat es für einen Klassiker, der bereits damals ein Oldtimer war. Ein Jahr später kam sein Schätzchen, das 1953 vom Band gelaufen war, nicht mehr über den TÜV. Breitkreutz meldete den Käfer ab, doch seine Liebe zu ihm wuchs: Er kroch mit Schraubenschüssel hinten unter die Motorhaube. Jahr für Jahr.

Seit gut zwei Monaten ist der Wagen wieder zugelassen. „Ich wusste immer, wie er am Ende aussehen wird“, so der 49-jährige Mülheimer heute, „von vorne und von hinten“. Und dann sagt er mit Blick auf den schwarz-glänzenden Lack, in dem sich sein Lächeln spiegelt: „Ich kann es selber noch nicht begreifen, dass das wirklich meiner ist.“

Sie sind nicht die sichersten Fahrzeuge, aber die beliebtesten. Klassiker, die mehr als 15 Jahre alt sind; Youngtimer mit 2 Jahrzehnten auf den Stoßdämpfern; und natürlich Oldtimer, die schon seit 30 Jahren fahren. Laut Kraftfahrt-Bundesamt sind heute auf deutschen Straßen allein 313 815 Wagen mit Historien-Kennzeichen H zu bestaunen. Und das sind bei weitem noch nicht alle Autos, die wir als Oldies betrachten. Laut einer Allensbach-Studie freuen sich mehr als die Hälfte der Deutschen – Zwei Drittel der männlichen Pkw-Fahrer –, wenn sie Oldtimer auf der Straße sehen. Bochumer Forscher haben sich nun die Liebe zum klassischen Automobil genauer angeschaut und die Ergebnisse ihrer Studie dieser Zeitung exklusiv zur Verfügung gestellt: Was fasziniert an dem Kulturgut auf Rädern? Was macht diese abgefahrene Leidenschaft aus? Und was sind das für Menschen, die sich für Oldtimer begeistern?

Mit Hilfe des Fragebogens FAHR erforscht das Wissenschaftler-Team um den Auto-Psychologen Rüdiger Hossiep die Einstellung der Menschen zu ihren fahrenden Begleitern. Um herauszufinden, was die Fahrer mit einer Liebe zu Young- und Oldtimern von denen unterscheidet, die sich dafür nicht interessieren, haben sie zwei Extremgruppen verglichen. Die Forscher nennen sie die „Oldtimer-Enthusiasten“ und die „Oldtimer-Muffel“. Ein Ergebnis ist, dass die Enthusiasten generell zu Autos eine viel „sinnlichere Beziehung“ haben als die Muffel. Sie fühlen sich mit ihnen emotional verbunden. Ihnen ist der Genuss beim Fahren wichtig – auch bei einem Neuwagen. „Sie wollen fahren und nicht gefahren werden“, sagt Hossiep. Sie wollen ein Auto spüren, sich an seinem Aussehen erfreuen, seinen Klang wahrnehmen, seinen Geruch.

Oldtimer-Fahren – Ein Gefühl wie in der Jugend 

Und viele möchten auch die Uhr zurückdrehen, sich an früher erinnern, sagt der Experte: „Und woran erinnert man sich? Wenn das Erlebte von starken Gefühlen begleitet wurde. Deshalb wissen wir alle zum Beispiel noch sehr viel von unserer Pubertät, von unserer Jugend, weil sie von sehr starken Gefühlen begleitet wurde.“

Breitkreutz’ erster Wagen war ein: „VW Käfer, Baujahr 71, 34 PS, 700 Mark“. (Wahrscheinlich könnte man ihn nachts wecken, und die Antwort würde genauso schnell aus ihm herausfahren.) Der Käfer ist mit Abstand der beliebteste Oldtimer der Deutschen. Das liegt aber nicht nur daran, dass man noch gut an Ersatzteile herankommt. Hossiep: „Der VW ist tief in unserem Nachkriegsgedächtnis verankert. Früher sind fast alle Käfer gefahren.“ Mit einem Käfer-Oldie holen sich die Menschen ein Stück Kindheit zurück. Das erklärt auch den neuen Kult um den VW-Bus. Die Menschen sehnen sich nach ihrer ersten Liebe.

Als Klaus Breitkreutz das erste Mal seinem luftgekühlten „Ovali“ – mit dem ovalen Heckfenster – in Duisburgs Innenstadt begegnete, war es um ihn geschehen: „Ich habe den Käfer gesehen und gedacht: Den muss ich haben!“ Er gab ihm seine Nummer, auf einem Zettel hinter dem Scheibenwischer. Ein paar Tage später gehörte er zu ihm. „Es ist eine Perle“, schwärmt Breitkreutz kürzlich beim Treffen des Käferstammtischs Rhein-Ruhr auf Duisburgs Mühlenweide. „Wenn man einmal dieses Fahrgefühl erlebt hat, setzt man sich nicht mehr woanders rein.“ Das sei wahres Glück.

Dabei ist diese Beziehung nicht immer harmonisch: „Ich habe so oft geflucht, ich hätte mit dem Hammer draufschlagen können. Ich wollte nur mal eben etwas reparieren. Aber ,mal eben’ geht bei ihm nicht.“ Doch aller Ärger ist vergessen, wenn die Vorbeigehenden das Auto bewundern – vom Faltdach bis zum Winker, dem Vorgänger des Blinkers.

Wann erntet man heute noch für einen ganz normalen Wagen solche Blicke?

„Die Autos werden sich immer ähnlicher“, sagt Hossiep. „Es gibt keine ganz unterschiedlichen Lösungen mehr wie Luft- und Wasserkühlung. Man kann sich mit einem modernen Auto nicht so gut abgrenzen.“ Ein protziger Wagen sei auch keine Alternative. In Deutschland laufe man dann Gefahr, von anderen ausgegrenzt zu werden.

Oldtimer-Fahrer wollen sich von der Masse abheben

Aber wenn alle Vertriebler in einer Firma einen VW Passat als Geschäftswagen fahren, unterscheidet sich keiner mehr vom anderen. Es sei denn: „Man fährt am Wochenende einen alten Triumph und hat mit ihm Spaß“, sagt Hossiep. Die als sympathisch empfundenen klassischen Autos eignen sich wunderbar, um sich von der Masse abzuheben. Und so möchten die Oldtimer-Enthusiasten mit einem Wagen besonders ihre Individualität ausdrücken. Daher geben Rüdiger Hossiep und seine Mitarbeiter Patrick Schardien sowie Sebastian Brzezinski der Studie auch den Titel: „Oldtimer-Fahrer: Individualisten auf vier Rädern“.

Für mehr Fahrspaß verzichten Oldie-Fans auf Sicherheit 

„Für die Individualität, für das gute Fahrgefühl sind Oldtimer-Enthusiasten bereit, das Sicherheitsbedürfnis hinten anzustellen“, sagt Hossiep. Darin unterscheiden sie sich sehr von den Oldtimer-Muffeln. Es geht sogar so weit, dass die Enthusiasten automatische Sicherheitssysteme als Einschränkung empfinden und selbst in riskanten Situationen lieber völlig eigenverantwortlich das Fahrzeug kontrollieren möchten.

Breitzkreutz’ Käfer hat keine Sicherheitsgurte, keinen Airbag, dafür einen langen Bremsweg. „Der Sicherheitsstandard ist gleich null. Aber ich bin da schmerzloser als meine Frau. Wenn ich darüber nachdenken würde, dürfte ich nicht mehr fahren.“

73 Prozent der Oldtimer-Besitzer lenken laut der Allensbach-Studie im Alltag ein neueres Auto unter 15 Jahren. Das soll aber möglichst ähnliche Bedürfnisse erfüllen wie ein Klassiker. Die Bochumer Wissenschaftler wollten nun wissen, welche Automarken die Enthusiasten besonders bevorzugen. Bisher ist die Stichprobe noch zu klein, um alle Marken aussagekräftig zu beleuchten. Aber schon jetzt steht fest, dass Oldtimer-Muffel und -Enthusiasten andere Wagen fahren.

Und dass die Fans von alten Autos im Alltag vergleichsweise häufiger etwa einen Saab oder Jaguar steuern. „Das waren schon immer Fahrzeuge, mit denen sich die Fahrer separieren konnten“, so Hossiep. „Die meisten Kunden wollen lieber einen Mercedes, BMW oder Audi.“

Individuell, aber nicht isoliert

Individuell möchte man mit seinem Auto sein, aber nicht isoliert. So verwandelt sich das klassische Fahrzeug in eine schöne Freizeitbeschäftigung, die auch immer mehr Menschen im Ruhestand lieben. Hossiep: „Sie suchen sich ein Hobby, das sie mit anderen teilen können. Oldtimer-Treffen und -Touren gibt es überall, auch im Ruhrgebiet.“ Und noch etwas hat der Experte beobachtet: „Es gibt immer mehr Frauen in der Szene, hinterm Steuer und nicht nur auf dem Sozius.“ Einige erfolgreiche Frauen gönnen sich heute zum Beispiel einen Porsche 356.

Ob Brezel, Ovali oder Cabrio, Breitkreutz fühlt sich mit allen Käfern verbunden: „Es ist wie bei den Kumpels auf dem Pütt“, meint er. „Schraubergespräche schweißen zusammen.“ Außerdem sei es so schön, etwas mit eigenen Händen zu schaffen. „Der Käfer hat vielleicht 4700 Teile, davon habe ich 3000 in der Hand gehabt.“ Eine Alternative zum Garten, nennt Auto-Psychologe Hossiep das Oldtimer-Hobby.

Oldtimer statt Garten

Die Plastik-Blumen in Breitkreutz’ Käfer-Vase wirken nur wie neu. Um den Staub der vergangenen Jahre loszuwerden, hatte er sie in die Spülmaschine gesteckt. Der Kleber löste sich, die kleinen Blüten landeten im Sieb. Breitkreutz’ Frau setzte die Blume mit einem Heißkleber Blüte für Blüte wieder zusammen.

Auch die restlichen Teile seien alle Originale. „Na gut, fast.“ Die Radkappen habe er aber damals direkt bei VW gekauft: „102 Mark alle vier zusammen.“ Das waren noch Preise. Obwohl man für einen Oldtimer heute einiges auf den Tisch legen muss, sehen die wenigsten Fahrer laut Allensbach-Studie in dem alten Fahrzeug eine Geldanlage, sondern eine gute Investition in ihr Hobby: „Zweimal Karibik – hin und zurück“, so viel hat Breitkreutz in seinen Käfer investiert. Plus die unzählbaren Bastel-Stunden bis tief in die Nacht. Seine Frau Petra nimmt’s gelassen: „Ich wusste ja, wo er war.“ In der Garage unter dem Wohnzimmer. „Wenn das Essen fertig war, habe ich mit dem Fuß aufgestampft.“

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Erfahren Sie mehr übersich: Bochumer Forscher haben einen Test entwickelt. Für unsere Leser ist die Auswertung kostenlos: Der Auto-Typ-Test.