Durch Berührung körperliche und seelische Blockaden lösen
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Ein Gespräch mit Ute Repschläger aus Witten, Vorsitzende des Verbandes selbstständiger Physiotherapeuten, über die Vernetzung von Körper und Psyche.
Witten.
Dass psychische Belastungen sich auf den Körper auswirken, dürfte den meisten Menschen bewusst sein. Doch dass die Behandlung von körperlichen Blockaden auch positive psychische Auswirkungen haben kann, ist vielen nicht bewusst. Wir sprachen mit Ute Repschläger aus Witten, Vorsitzende des Verbandes selbstständiger Physiotherapeuten, über die Wechselwirkung zwischen Körper und Geist.
Zu Ihrem Beruf gehört es, Menschen anzufassen. Haben manche ihrer Patienten und Klienten Berührungsängste?
Repschläger:
Die Regel ist, dass die Menschen sich eher freuen, wenn sie berührt werden. Das kommt ja schon aus der Kindheit, von der Mutter berührt zu werden, hat etwas mit Geborgenheit zu tun. Aber im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung kann es dazu kommen, dass man vielleicht nicht so gerne berührt wird. Oder erst ein bisschen mehr auf Abstand bleiben möchte, bis man den anderen auch kennengelernt hat. Insofern gibt es schon ein paar Menschen, die gar nicht so gern berührt werden.
Wie kann man diesen Menschen ihre Ängste nehmen?
Für viele physiotherapeutische Behandlungen muss man sich ja meistens ein bisschen entkleiden. Da muss ich ganz sensibel anfangen, indem ich demjenigen praktisch sage, was ich vorhabe – und dass er möglichst nur das ausziehen muss, was für die Berührung wichtig ist, also zum Beispiel nur den Rücken frei macht. Es ist wichtig, dass man den Menschen, wenn er ein Schamgefühl hat, ein bisschen schützt. Und dann muss ich anfangen, erst sanft zu berühren. Wenn ich jetzt einfach grob die Hand auf den Rücken legen würde, dann würde sich der Patient ja erschrecken, je sanfter ich das starte, umso besser.
Müssen Sie auch gleich anfassen, um festzustellen, wo die Blockaden sitzen? Oder reicht da für jemand Erfahrenen ein Blick?
Physiotherapeuten machen ja immer erst eine Diagnostik. Und die beginnt mit dem Gespräch. Wenn mir also jemand erzählt, dass er immer am Schreibtisch sitzt, dann ahne ich schon, wohin es geht. Der nächste Schritt ist: Ich schaue ihn mir an. Hat derjenige etwa eine Schulter hochgezogen? Das ist dann mein Sichtbefund. Und dann erst taste ich die Muskeln ab, die nach dem Vorgespräch und dem Sichtbefund angespannt sein könnten.
Körper und Psyche hängen eng zusammen
Haben Sie schon erlebt, dass durch die Lösung der körperlichen Blockaden auch emotionale Blockaden gelöst werden?
Ja. Patienten öffnen sich in der Therapie ja auch seelisch. Wenn ich anfasse, dann hat das natürlich eine Auswirkung – und der Patient spricht dann ja meist dabei mit mir. Da gibt es Situationen, wo sich etwas löst oder der Patient sich erinnert an ältere Themen, die auf einmal wieder hochkommen.
Hat das mit dem Körpergedächtnis zu tun? Oder mit Berührungsmangel?
Gerade im Rückenbereich kann es sein, dass man Stellen berührt, an denen lange vorher kein anderer mehr angefasst hat. Zudem hat es auch etwas mit der Entspannung zu tun. Man reißt sich ja oft auch zusammen und unterdrückt damit auch emotionale Zustände.Wenn man dann sowohl körperlich als auch psychisch loslässt, das ist ja immer kombiniert, dann werden auf einmal solche Emotionen wieder ausgelöst. Körper und Psyche hängen ganz eng zusammen.
Wie manchmal schon der Volksmund sagt, oder?
Nicht umsonst gibt es diese Sprüche: Es sitzt einem etwas im Nacken. Also das Körperliche und das Psychisch-Seelische sind nicht zu trennen. Und die Nervenverbindungen gehen auch hin und her. Man nennt das „motorisch“ für die Bewegung und „sensibel“ für die Gefühle, die sind gekoppelt. Also geht diese Nervenautobahn hin und zurück, also vom Körper zum Gehirn und somit zur Psyche – und wieder zurück. Und egal, an welchem Ende ich etwas bewege, kann ich beim anderen etwas auslösen.
Wäre es sinnvoll, eine Psychotherapie mit einer Physiotherapie zu begleiten?
Solche Fälle gibt es tatsächlich. Als Beispiel: Wenn jemand ein sehr intellektueller Mensch ist und zur Psychotherapie geht, dann hat das Hirn schon wieder Tricks, mit denen es darauf reagiert und in eine Abwehrhaltung geht. Das ist nicht böse gemeint, aber diese Menschen wissen oft: Wenn ich dieses und jenes sage, dann bewirkt das bei meinem Psychotherapeuten bestimmte Dinge, das können sie praktisch voraussehen. Und an solche Menschen kommt man dann schlecht ran. Aber wenn man bei ihnen dann versucht, über die körperliche Ebene an das Problem heranzugehen, dann sind sie viel offener – dann merkt das Gehirn nicht so schnell, wo man eigentlich hin will. Der Körper lügt nicht. Macht man etwa eine Massage, dadurch werden Glückshormone ausgeschüttet. Oder Sie haben am Körper kleine Reflexzonen, die man dann reizt – und die das vegetative Nervensystem herunterfahren. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit denen man besser den Einstieg schafft. Wirkliche schwere psychische Erkrankungen kann man nicht mit einer Massage behandeln. Aber begleitend kann es hilfreich sind, in vielen Reha-Einrichtungen wird das ja auch so eingesetzt.
Gilt eigentlich für die Berührungen von Physiotherapeuten: Mehr bringt auch mehr?
Viele Patienten meinen das und wollen, dass man mal feste zupackt. Aber gerade, wenn es um Verspannungen geht, muss man manchmal eher feinfühlig sein und feindosiert arbeiten.