Veröffentlicht inwochenende

Das Schneeglöckchen – Objekt eiskalter Leidenschaft

Das Schneeglöckchen – Objekt eiskalter Leidenschaft

27833529-965--656x240.jpg
Foto: WAZ FotoPool
Schneeglöckchen trotzen den tiefsten Temperaturen – aber ihren Verehrern wird warm ums Herz, wenn sie eine neue Sorte entdecken. Liebhaber zahlen über 400 Euro für eine einzige Zwiebel. Alles, was Sie schon immer über Schneeglöckchen wissen wollten…

Das Fieber: Die Holländer, steinreich und wild auf das Besondere, drehten vor fast vier Jahrhunderten schier durch, sie hatten – Tulpenfieber. Anfang 1637 erreichte der Wahnsinn in Blüten seinen Höhepunkt, da wurden 10 000 Gulden für ein Exemplar der Sorte „Semper Augustus“ geboten. Dafür hätte man sich damals die teuersten Häuser mitten in Amsterdam kaufen können, direkt an der Gracht.

Verglichen mit der Zwiebel im Wert eines Stadthauses bewegt sich die Summe, die das Schneeglöckchen der Sorte „E.A. Bowles“ vor gut einem Jahr bei einer Internet-Auktion erzielte, fast noch in erdnussartigen Dimensionen. Aber umgerechnet 422 Euro für eine nicht einmal daumennagelgroße Blumenzwiebel, das ist auch schon etwas mehr als ein Puppenhaus und alles andere als ein Pappenstiel.

Die Anzeichen der letzten Zeit stehen jedenfalls auf Schneeglöckchenfieber. In England, Deutschland und Holland ufert der Handel mit Schneeglöckchen seit den 80er-Jahren immer weiter aus. Verkauft, getauscht und gefachsimpelt wird unter den Sammlern vor allem jetzt, im zeitigen Frühjahr, wenn sie blühen. Eine neue Schneeglöckchensorte im Herbst zu kaufen, wenn nur die nackte Zwiebel zu sehen ist, erfordert schon sehr viel Vertrauen.

Die Sammler: Tatsächlich sind es meist Männer, die diesem etwas wunderlich anmutenden Hobby nachgehen. Vielleicht rührt die Zartheit der Schneeglöckchen (unnötiger Weise) ihren Beschützer-Instinkt. Vielleicht sind es aber auch diese Blüten aus drei äußeren und drei inneren Blättern, die sie an Ober- und Unterrock erinnern. Oder es ist das Bedürfnis, vor einer Schönheit auf die Knie zu gehen – denn anders kann man die diversen Schneeglöckchen-Arten ja gar nicht unterscheiden.

Das Schneeglöckchen ist womöglich die häufigste Gartenblume in Deutschland, und das dürfte nur zum Teil darauf beruhen, dass die Gärten immer kleiner werden. Es ist die Lücke im gärtnerischen Jahreslauf, die sie so beliebt macht: Gärtner heizen ihren botanischen Gefühlshaushalt durch erstes Ausschauhalten im Dezember und Januar an und bringen ihn durch intensives Bewundern im Februar und März zum Glühen. Und für Schneeglöckchen-Sammler eröffnet sich ein weites Feld: Allein die deutsche Schneeglöckchen-Bibel von Günter Waldorf listet über 300 verschiedene Sorten auf. Wer Kakteen sammelt, gilt oft als dröge und introvertiert; wer es auf Rosen abgesehen hat, will auch etwas hermachen. Schneeglöckchensammler dagegen neigen dazu, ihr Glück still zu genießen – es sei denn, sie sind auf einem Schneeglöckchensammlertreffen.

Die Pflanzen: Manche meinen, es sei die männliche Verehrung für Schneeglöckchen, die sich im Gattungsnamen ,

Galanthus

’ ausdrückt. Tatsächlich aber leitet er sich aus dem Griechischen ab und heißt so viel wie „Milchblume“. Die klassische, auch bei uns am häufigsten verbreitete Schneeglöckchenart ist

Galanthus nivalis

, die fast in jedem Garten steht.

Aber Schneeglöckchen zu züchten, zu kreuzen, ist nicht ganz einfach. Von der Keimung der Pflanzenzwiebel aus dem Samen bis zur ersten Blüte vergehen in der Regel drei bis vier Jahre. Erst dann kann man sehen, ob es geklappt hat mit dem Gen-Poker. Die meisten neuen Sorten werden allerdings nicht gezielt gezüchtet, sondern als Zufallskreuzungen in alten Schneeglöckchen-Beständen entdeckt. Die „Blonde Inge“ etwa wurde um 1970 herum auf einem Kölner Friedhof bemerkt.

Neben dem Sammeltrieb dürften die einzigartigen Besonderheiten des Schneeglöckchens seinen eigentlichen Reiz ausmachen. Da ist dieser große Gegensatz zwischen dem zart anmutenden Pflänzlein und seiner unglaublichen Durchsetzungskraft: Äußerst hilfreich dabei ist die Tatsache, dass die grau- bis blaugrünen Blätter der Pflanze mit einer Wachsschicht überzogen sind, die sie vor Kälte und anderen Anfeindungen schützt. Die Zwiebeln produzieren, wenn sie im allerzeitigsten Frühjahr austreiben, eine Wärme von acht bis zehn Grad, die es dem Schneeglöckchen im Ernstfall auch erlaubt, eine nicht allzu dicke Schneedecke zu durchstoßen.

Überhaupt sind alle Pflanzenteile mit giftigen Alkaloiden durchsetzt, die das Schneeglöckchen beinahe unverwundbar machen, denn alle Tiere, die als Fraßfeinde in Frage kommen, zucken bei Schneeglöckchen zurück. Oder werden vergiftet. Die Symptome: Es kommt zu vermehrtem Speichelfluss, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Gelegentlich werden Kreislaufstörungen mit Schweißausbruch und Benommenheit beobachtet. Das gilt vor allem für Menschen. Bei Tieren aber kann der Hunger auf Schnee­glöckchen in eine Henkersmahlzeit münden.

Die Zwiebeln des Kaukasischen Schneeglöckchens (

Galanthus woronowii

) enthalten allerdings auch das Galantonin, das einer der Hoffnungsträger bei der Behandlung von Demenz ist.

Die Geschichte: Britische Soldaten brachten aus dem Krieg auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim (1853-1856) massenhaft Schneeglöckchen mit nach Hause – der Beginn einer neuen Artenvielfalt, weil Schneeglöckchen dazu neigen zu hybridisieren: Über Artgrenzen hinweg entstehen ständig neue Bastarde.

Der Engländer Edward Augustus Bowles war es schließlich, der Anfang des 20. Jahrhunderts den Begriff „Galantophilie“ für die Schneeglöckchen-Liebhaberei erfand. Im Wisley Garden südlich von London drängen sich alljährlich im Februar die Galantophilen, um Pflanzen rarer Sorten zu Höchstpreisen zu ergattern. Oft suchen Schneeglöckchen-Liebhaber vor dem Verkauf erst einmal das Gespräch – sie geben ihre Schätze nur in gute Hände und nehmen dafür sogar einen geringeren Preis in Kauf.

In Wisley entstand auch die Legende, dass die Schneeglöckchen entstanden, als ein Engel nach der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies Schneeflocken in Blumen verwandelte – als Zeichen des nahenden Frühlings.

Eine andere Legende erzählt, dass Gott in seiner Schöpfung zuletzt den Schnee schuf. Der blieb vor lauter Erschöpfung ohne Farbe. So soll der Schnee von einer Blume zur andern gewandert sein, um sie um etwas Farbe zu bitten. Erfolglos. Bis er schließlich auf das mitleidige Schneeglöckchen traf. Das bot ihm sein Mäntelchen an – seitdem ist der Schnee weiß und das Schneeglöckchen die einzige Blume, die er duldet, ohne ihr etwas zuleide zu tun.

  • Günter Waldorf: Schneeglöckchen – Zauber in Weiß. DVA, 160 Seiten, 19,99 Euro. Der niederrheinische Schneeglöckchen-Papst Günter Waldorf hat im vergangenen Jahr die deutsche Schneeglöckchen-Bibel mit dem Untertitel „Zauber in Weiß“ herausgebracht; sie bietet alles Wissenswerte rund um die Blume und ihre Pflege – sowie über 300 Sorten im Foto-Porträt.

Info: Die „Oirlicher Schneeglöckchentage“ im niederrheinischen Nettetal haben sich im Laufe der Zeit zu einer alljährlichen Institution entwickelt. Hier bieten Sammler, Züchter und Händler nicht nur die diversesten Schneeglöckchen-Arten an, sondern auch andere Frühjahrsblüher wie Märzbecher, Leberblümchen oder Christrosen. Hinzu kommen Stauden und Rosen. Das Besondere: Es reisen auch englische, holländische und belgische Gärtner an. Echte Liebhaber lassen hier mitunter dreistellige Euro-Summen. Benimm-Tipp: Feilschen ist unter Schneeglöckchen-Verehrern verpönt.

  • Die Schneeglöckchentage 2012 finden an diesem Wochenende statt, also am 25. und 26. Februar, jeweils von 10 bis 17 Uhr. Der Eintritt beträgt 3 Euro. Adresse: Oirlich 9, 41334 Nettetal. www.oirlicher-blumengarten.de