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Wie Haniel das Image von Duisburg verbessern will

Wie Haniel das Image von Duisburg aufpolieren will

Der Familienkonzern Haniel will sich mit weiteren Unternehmen und Institutionen verbünden, um das Image Duisburgs nach der Loveparade zu verbessern. Das Ziel laute „mehr Bildung, Kunst, Kultur und Nachhaltigkeit“, sagt Haniel-Chef Kluge im Interview.

Essen. 

Großes Interview mit Jürgen Kluge, dem Vorstandschef des Duisburger Haniel-Konzerns: Der 57-jährige Manager spricht ausführlich über die Folgen der Katastrophe von Fukushima für die deutsche Industrie, er gibt einen Ausblick auf das Geschäft – und er beschreibt, wie sich Haniel mit anderen Duisburger Unternehmen verbünden will, um das Image der Stadt nach der Loveparade zu verbessern.

Herr Kluge, unter den Vorstandschefs der großen deutschen Unternehmen sind Sie einer der wenigen Physiker. Einer Ihrer Professoren hieß Wilfried Herr, das war der letzte Doktorand von Otto Hahn, der als Vater der Kernchemie gilt. Wie schätzen Sie als Physiker die Katastrophe von Fukushima ein?

Kluge: Was wir in Japan erleben, entspricht nahezu prototypisch einem GAU, wie wir ihn im Studium diskutiert haben: Ausfall der Kühlsysteme, Schmelzen der Brennstäbe, Wasserstoffexplosion. Die Situation ist aber anders als in Tschernobyl.

Warum?

Kluge: In Tschernobyl geriet ein Reaktor außer Kontrolle, der eigentlich nie hätte ans Netz gehen dürfen, das Design war in sich unstabil. Nach der Kernschmelze brannte tagelang Kohlenstoff, der statt Wasser zur Moderation der Neutronen eingesetzt war, Radioaktivität wurde hoch in die Atmosphäre getrieben und hunderte Kilometer weit verweht. In Japan dagegen entstehen radioaktive Wasserdämpfe. Auch das ist schlimm genug. Rund um das Kraftwerk wird es wohl auf absehbare Zeit einen Radius geben, der unbewohnbar bleibt. Man kann nur hoffen, dass Tokio einigermaßen unbeschadet davonkommt.

Was bedeutet die Katastrophe in Japan für die deutschen Kernkraftwerke?

Kluge: Die Reaktoren in Deutschland sind nicht unsicherer geworden. Wahrscheinlich werden sie sogar sicherer, da wir Lehren aus dem Unfall ziehen können. Das ist aber gar nicht der entscheidende Punkt.

Sondern?

Kluge: Entscheidend ist, dass sich die Einschätzung der Menschen verändert, wenn plötzlich etwas Realität wird, was keiner für möglich gehalten hätte. Das hat der Autor Nassim Nicholas Taleb als Schwarzer-Schwan-Phänomen beschrieben. Bis ins 17. Jahrhundert hinein waren die Europäer überzeugt, dass alle Schwäne weiß sind. Dann wurde Australien entdeckt. Und dort gibt es schwarze Schwäne. Auch in Japan ist Wirklichkeit geworden, was als absolut unwahrscheinlich erschien.

Was bedeutet das für die Akzeptanz der Kernenergie?

Kluge: Früher hat die Gesellschaft größere Risiken in Kauf genommen. Es gab Flutkatastrophen mit 20000 Toten, und trotzdem wurden keine Dämme gebaut. Heute sagen die Menschen: Das Risiko, dass in einem einzelnen, wenn auch äußerst unwahrscheinlichen Fall hunderte oder tausende Menschen sterben, akzeptieren wir nicht mehr.

Wurde offen genug über das Restrisiko der Kernkraft gesprochen?

Kluge: Nein. Die Nicht-Akzeptanz der Kernenergie beruht auch auf schweren Kommunikationsfehlern. Allen Technikern war klar, dass es immer einen Unfall geben kann. Nur ist die Wahrscheinlichkeit dafür winzig. Nun ist der Fall eingetreten.

Ist die Kehrtwende, die Kanzlerin Merkel in der Atompolitik vollzieht, glaubwürdig?

Kluge: Es ist nicht meine Aufgabe, der Bundesregierung Zeugnisse auszustellen. Aber es ist generell ein Problem, wie jetzt kommuniziert wird. Es wäre besser, den Menschen ehrlich zu sagen, was Sache ist. Auch ein Politiker darf sagen: Ich habe mich geirrt. Oder ich kann nur etwas durchsetzen, wenn ich gewählt werde. Und die große Mehrheit der Bevölkerung will die Kernkraft nicht.

Was ist die Konsequenz?

Kluge: Die deutsche Antwort wird wahrscheinlich sein, grundsätzlich umzusteuern.

Ist das realistisch?

Kluge: Für Deutschland ja. Aber es hilft nichts, wenn sich die nächsten Atomkraftwerke in Frankreich oder Belgien befinden. Dann trifft es im Fall einer Katastrophe auch Deutschland.

Könnte durch Fukushima auch die Akzeptanz industrieller Großprojekte insgesamt Schaden nehmen? Ist Deutschland auf dem Weg in eine Biedermeier-Idylle?

Kluge: Wir sind Romantiker in unserem tiefsten Herzen und haben eine Sehnsucht nach Biedermeier. Aber wenn wir einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen, droht am Ende das böse Erwachen. Wir müssen einen rationalen Weg finden. Eine Linie finden, die die Menschen mitnimmt. Nur mit Nein-Sagen wird es nicht gehen.

Lassen sich große Industrieprojekte noch in Deutschland umsetzen?

Kluge: Immer dann, wenn die Menschen von vornherein einbezogen werden. Meine Idee wäre: Warum legen wir nicht eine Volksaktie auf, um den Bau der neuen Stromleitungen aus den Regionen, in denen zum Beispiel mit Wind Strom produziert wird, über eine neue Netz AG zu finanzieren? Nach allem, was man hört, lässt sich mit Stromnetzen eine Rendite von rund fünf Prozent erzielen. Eine Volksaktie könnte auch die Akzeptanz für den Netzausbau erhöhen, wenn die Anwohner gleichzeitig Anleger sind.

Auch zum Selbstverständnis von Haniel gehört, sich seit über 250 Jahren immer wieder neu zu erfinden. Schaut man sich das Portfolio von Haniel an, trifft man neben dem Handelsriesen Metro auf ganz unterschiedliche Unternehmen: einen Anbieter für Waschraumhygiene (CWS-boco), einen Rohstoffhändler (ELG), einen Spezialversandhändler für Büroausstattung (TAKKT) und einen Pharmagroßhändler (Celesio). Welches System steckt dahinter?

Kluge: Wir haben uns immer am Lebenszyklus unserer Geschäfte orientiert. Dazu gehört, immer wieder Unternehmen zu kaufen, weiterzuentwickeln und nach einer gewissen Zeit, bevor die Sättigung erreicht ist, an neue, bessere Eigentümer abzugeben. Das war auch nicht anders, als uns noch die Essener Zeche Zollverein oder die Gutehoffnungshütte in Oberhausen gehörten.

Sie haben Haniel kürzlich mit Dornröschen verglichen, die Sie wachküssen wollen…

Kluge: … eine sehr attraktive Dame übrigens, die sich gut gehalten hat. Aber wir brauchen noch mehr Dynamik.

Was haben Sie mit Haniel vor?

Kluge: Wir haben globale Megatrends ausgemacht, an denen wir unser Geschäft ausrichten. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele: Die Menschen ziehen in Großstädte und wollen dennoch individuelle Mobilität, Ressourcen wie Wasser und Rohstoffe wie Nickel werden knapp, Wissen entscheidet. Nun haben wir verschiedene Unternehmen im Blick, die wir übernehmen wollen, um sie zu professionalisieren und zu globalisieren, darunter ist z.B. auch das Thema Bildung.

War es nicht untypisch, dass Haniel so stark beim Düsseldorfer Metro-Konzern eingestiegen ist?

Kluge: Für uns ist wenig typisch, selbst der Gründer hat fast sein ganzes Geld in die neue Technik zur Durchdringung der Mergelschicht im Ruhrbergbau gesteckt.

Sind Sie denn zufrieden mit den Ergebnissen der Metro?

Kluge: Natürlich bin ich zufrieden. Die Dividende wurde erhöht. Das freut einen Aktionär.

Und zwischen Sie und Metro-Chef Eckhard Cordes passt kein Blatt Papier?

Kluge: Genau. Jeder hat seinen Stil. Dass ich einen anderen habe als Herr Cordes, ist eine Binsenweisheit. Inhaltlich arbeiten wir sehr gut zusammen.

Sie haben kürzlich erklärt, dass Sie einen Generationswechsel im Metro-Vorstand vorbereiten. Wie kommen Sie dabei voran?

Kluge: Es geht nicht um einen konkreten Nachfolger für ein Vorstandsmitglied. Das Thema Ausgewogenheit der Generationen bezieht sich auf das gesamte Top-Management bei Metro und da ist es meine Pflicht als Aufsichtsrat, mir Gedanken zu machen.

Obwohl die Metro mehr als 280.000 Mitarbeiter beschäftigt, hat der Konzern keinen waschechten Personalvorstand. Bemerkenswert oder?

Kluge: Es wäre schön, wenn die Metro wieder einen Personalvorstand hätte. Auch hier schauen wir uns gemeinsam mit Hilfe eines Personalberaters nach geeigneten Kandidaten um, die besten will ich kennenlernen.

Als Ziel haben Sie ausgegeben, Haniel solle sich besser schlagen als der Aktienindex Dax.

Kluge: Sonst könnte die Familie ja gleich Dax-Zertifikate kaufen. Wir blicken auf ein ganz erfreuliches Jahr zurück. Wir werden den Umsatz deutlich steigern – um knapp drei Milliarden Euro auf etwa 27 Milliarden Euro. Und das Ergebnis vor Steuern wird sich vervielfachen.

Ihre Anteilseigner sind 650 Familienmitglieder. Der eine finanziert durch Haniel sein Studium, der andere hat Millionenvermögen bei Ihnen angelegt. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Kluge: Die Haniel-Familie wächst jährlich um acht Prozent. Wir wollen eine Wertsteigerung erzielen, die damit Schritt hält. Und wir möchten eine vernünftige, stabile Dividende zahlen. Die Faustregel ist: 25 Prozent des Geldes, das in die Kasse kommt, geht an die Familie, 75 Prozent bleiben im Unternehmen.

Der Standort von Haniel ist traditionell Duisburg. Besorgt es Sie, dass der Ruf der Stadt durch die Loveparade-Katastrophe gelitten hat?

Kluge: Natürlich geht das nicht spurlos an uns vorbei. Nach meiner Wahrnehmung befand sich Duisburg gerade im Aufschwung, als sich das schreckliche Unglück ereignete. Wir müssen nun versuchen, langsam wieder etwas aufzubauen, um das Bild, das die Menschen von der Stadt haben, zu verbessern. Krisen bieten aber immer auch die Chance für Erneuerung.

Was tun sie konkret?

Kluge: Wir haben uns mit anderen Duisburger Unternehmen und Institutionen schon kurz nach der Katastrophe mit dem Oberbürgermeister zusammengesetzt und verabredet, uns nach einer Zeit der Trauer für Duisburg zu engagieren.

Mit welchen Zielen?

Kluge: Mehr Bildung, Kunst, Kultur und Nachhaltigkeit. Ein Beispiel: An unserem Standort Duisburg-Ruhrort entwickelt sich eine interessante Szene mit Künstlern und Kreativen. Wir überlegen gerade, wie wir dabei unterstützen können, und sei es nur mit günstigen Immobilien. Auch mit der Universität Duisburg-Essen sind wir im Gespräch. Es reicht nicht, über die Kreativwirtschaft zu reden. Wir müssen auch etwas tun.

Ist es schwieriger geworden, gute Fachkräfte nach Duisburg zu holen?

Kluge: Keineswegs. Wir haben in diesem Jahr rund 10.000 Bewerbungen bekommen. So viele Stellen haben wir gar nicht. Jeden Tag liegen die Mappen von Menschen auf meinen Schreibtisch, die für Haniel arbeiten wollen. Wir können uns die guten Leute aussuchen. Wir beschäftigen jetzt rund 58.000 Mitarbeiter. Das sind 800 mehr als im Jahr zuvor.

Sie stehen seit einem Jahr und drei Monaten an der Konzernspitze. Hat Sie persönlich die Arbeit bei Haniel verändert?

Kluge: Na klar, das wollte ich ja. Es ist jetzt meine dritte Karriere – nach der Wissenschaft und meiner Zeit bei McKinsey. Jetzt bin ich noch einmal abgebogen.

Ihre Karriere ist – mit Verlaub – etwas schräg. Was raten Sie eigentlich jungen Leuten, die am Anfang ihres Berufslebens stehen?

Kluge: Ich sage ihnen immer, sie sollen das machen wovon sie überzeugt sind und was ihnen Spaß macht. Das kann auch Ägyptologie sein. Jemand, der einmal Greenpeace-Aktivist war, Einzelkämpfer bei der Bundeswehr oder die Welt umradelt hat, ist mir viel lieber als ein stromlinienförmiger Karrierist.