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Am Alu-Ofen ist der Strompreis ein heißes Eisen

Am Alu-Ofen ist der Strompreis ein heißes Eisen

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Foto: WAZ FotoPool
Obwohl ihre Leichtmetallprodukte mehr denn je gefragt sind, ist die Aluminium-Hütte im niederrheinischen Voerde in Insolvenz. Grund: die hohen Energiekosten. Belegschaft und Management fordern nun eine Prämie dafür, dass die Hütte ihren immensen Stromverbrauch notfalls binnen Sekunden vorübergehend abstellen kann, um Schwankungen im Stromnetz auszugleichen.

Voerde. 

Wer sich auf den Weg zur Alu-Hütte in Voerde macht, passiert mindestens einen von zwei ganz speziellen Wegweisern: Südlich der Hütte kreuzt die Hochspannungsleitung die Straße, über die die Fabrik so viel Strom erhält wie eine kleine Großstadt – und weiter nördlich markieren Fahnen, Transparente und große Särge die Zufahrt, aufgestellt von der Belegschaft als Hinweis auf die bedrohliche Lage ihrer Hütte.

Beide Wegweiser hängen eng miteinander zusammen: Die Hütte ist einer der größten Stromverbraucher der Republik – und obwohl ihre Leichtmetall-Produkte als spritsparende Helfer vom Auto- bis zum Flugzeugbau gefragter sind denn je, ist das Unternehmen seit Mai in der Insolvenz.

Wichtigster Grund aus Sicht von Management und Belegschaftsvertretern: Der in den letzten Jahren deutlich gestiegene Strompreis, den Voerdal kaum an seine Kunden weitergeben kann, weil der Verkaufspreis für Alu – wie der für Öl und andere Rohstoffe – an der Börse festgelegt wird.

Dass bei der Aluminiumerzeugung viel Energie im Spiel ist, spürt man im Herzen der Hütte sofort. Entlang der langen Reihe der Elektrolyse-Öfen ist es nicht nur jetzt im Sommer mollig warm. Erst recht neben dem stellvertretenden Hallenführer Jürgen Slamberger, wenn dieser eine von 188 Ofentüren zur täglichen Inspektion öffnet.

Über dicke Leitungen gleich neben der Tür fließt die enorme Menge Strom in den Ofen, die die Schmelze flüssig und den chemischen Prozess der Aluminiumgewinnung in Gang hält. Immer mehr flüssiges Aluminium sammelt sich im Laufe dieses Prozesses am Boden des Ofens. Mit einer Edelstahl-Stange – Eisen ist wegen des starken elektromagnetischen Felds am Ofen kaum zu bewegen – schlägt er ein Loch in die Kruste im Ofen.

Darunter zischt und funkelt ein rotglühendes Höllenfeuer. Slamberger steckt einen rechtwinkligen Stab in die Glut, zieht ihn wieder heraus, misst anhand der Anhaftungen, wie viel Alu im Ofen ist und notiert das Ergebnis mit Kreide neben der Ofentür.

„Wenn genug Aluminium im Ofen ist wird es in einen Tiegel gesaugt“, erklärt Alfons kleine Kalvelage den nächsten Arbeitsschritt, bevor das Roh-Aluminium aus der Hütte in die Gießerei gefahren und dort in Form gebracht wird. Der Diplomingenieur ist hier der Energiemanager – auf einer Aluhütte einer der verantwortungsvollsten Jobs.

Denn angesichts von 15000 Kilowattstunden Strom – ein Musterhaushalt verbraucht im Jahr 4000 – die nötig sind, um aus vier Tonnen Bauxit eine Tonne Alu zu schmelzen, ist Strom in dieser Branche nicht bloß Energie, sondern eine von zwei Kern-Ressourcen. Und während Bauxit weltweit so gut wie unerschöpflich ist, scheint zumindest bezahlbarer Strom hierzulande knapp zu werden.

Von Seiten der Hütte sei das Sparpotenzial ausgereizt, betonen Betriebsrats-Vorsitzender Daniel Schwermer und Manager kleine Kalvelage unisono. Die „top-motivierte Mannschaft“, so Schwermer, die rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr die Produktion am Laufen hält, wurde bereits in den vergangenen Jahren von 500 auf 410 Köpfe reduziert.

Und in der Produktion, in der sie zuletzt noch nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“ versucht haben, auch minimale Verluste in der Stromübertragung zu reduzieren, verbrauchen sie heute rund fünf Prozent weniger Energie je Tonne Alu als vor zehn Jahren. „Die Hütte steht heute sehr optimiert da“, sagt Schwermer. Trotzdem ist sie in der Insolvenz, denn den Strompreis kann sie nicht beeinflussen.

Weltweit gibt es rund 200 Aluhütten. Im Wettbewerb mit denen „möchten wir bestehen, aber mit den Strompreisen hierzulande ist das nicht möglich“, sagt Schwermer. Erhöht sich der Preis für Voerdal um zwei Cent je Kilowattstunde „entsprechen die Mehrausgaben in etwa unseren Lohnkosten. Wir müssten also theoretisch der gesamten Belegschaft kündigen, um sie zu kompensieren“, rechnet kleine Kalvelage vor. Nur, wer kocht dann noch Aluminium?

Diese Abhängigkeit besteht nicht nur in Voerde. „Wir stehen hier auch für die Kollegen bei der Hydro in Neuss oder der Trimet in Essen“, sagt Schwermer. Das Neusser „Rheinwerk“ etwa produziert seit Jahren nur mit knapp einem Viertel seiner Kapazität

Und das obwohl die Alu- und andere energieintensive Industrien teils großzügige Sonderregelungen beim Strompreis genießen. „Härtefallregelung bei der Umlage für erneuerbare Energien, Kostenbegrenzung nach dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz, teilweise Freistellung von der Ökosteuer, eine individuelle Berechnung der Netzkosten…“, Alfons kleine Kalvelage will die Boni gar nicht verhehlen, aber sie seien eben nötig: „Wenn wir statt einer Millionen Euro Ökosteuer im Jahr den tatsächlichen Satz zahlen müssten, wären das rund 30 Millionen Euro.

Das wäre dann wieder in etwa unsere Personalkosten.“ Kleine Kalvelage warnt vor „der gefährlichen Diskussion in Richtung: ,die Privathaushalte müssen zahlen und die Industrie nicht’“ und gibt zu bedenken: „Wenn man uns platt macht, leisten wir überhaupt keinen Beitrag mehr zum Ausbau des Netzes und der Erneuerbaren Energien.“ Von den sozialen Folgen einer Stilllegung einmal ganz abgesehen.

Betriebsrat fordert eine „Abschaltprämie“ 

Nachdem zumindest die angeschlossene Gießerei so gut wie verkauft ist und die Gläubiger zunächst zugestimmt haben, dass Voerdal trotz Insolvenz zumindest bis Jahresende weiterproduzieren kann, setzen Belegschaft, Management und Insolvenzverwalter vor allem auf finanzielle Zugeständnisse aus der Politik, um einen Investor zum Kauf der Hütte zu bewegen.

„Wir wollen die Abschaltprämie“, fordert Betriebsrat Schwermer. Nicht etwa Geld, um die Hütte stillzulegen – sondern eine regelmäßige Zahlung dafür, dass der Stromverbrauchs-Riese Voerdal zusichert, bei drohenden Stromausfällen durch eine schnelle, vorübergehende Abschaltung seiner Öfen für eine Stabilisierung des Netzes sorgt. In anderen Ländern sei eine solche Prämie üblich, so kleine Kalvelage.

Denn so dramatisch wie die Folgen eines langfristigen Stromausfalls für eine Aluhütte sind – die Schmelze wird hart und der Ofen ist Schrott – so unproblematisch seien Abschaltungen von rund einer Stunde. So wie im November 2006 als die Abschaltung zweier Hochspannungsleitungen im Emsland für einen Stromausfall in weiten Teilen Europas führte.

„Damals wurden wir für rund eine Viertelstunde zwangsabgeschaltet“, erinnert kleine Kalvelage. „Gedankt hat uns das niemand.“ Nun sei durch die Abschaltung der großen Atomkraftwerke die Gefahr von Schwankungen im Netz größer geworden. Die Hütten könnten helfen, sie auszugleichen, wollen dies aber auch angemessen honoriert haben.

Zudem hofft man in Voerdal auf die Freigabe eines deutschen Fördertopfs für die Branche, dem die EU-Kommission noch zustimmen muss. Zugestimmt hat die EU-Kommission schon einer Kompensation der im Strompreis enthaltenen Kosten für CO2-Zertifikate. Die Details für diese Kompensation müssen noch von der Bundesregierung festgelegt werden. „Das wäre gutes Startkapital für einen Investor“, sagt Schwermer.

„Einer dieser Bälle müsste jetzt ins Netz gehen“, soll Insolvenzverwalter Frank Kebekus das Hoffen auf diese politischen Entscheidungen kommentiert haben. Ein Satz, der in der Hütten-Belegschaft zum geflügelten Wort geworden ist. Noch nehmen sie ihn jedenfalls sportlich, den Kampf um ihre Arbeitsplätze und die Zukunft der deutschen Aluminium-Industrie.