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Wiedersehen mit dem Lebensretter Berthold Beitz

Wiedersehen mit dem Lebensretter Berthold Beitz

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Foto: Kai Kitschenberg
Jurek Rotenberg (84) aus Haifa traf nach sieben Jahrzehnten in Essen den Mann wieder, der ihm als junger Erdölmanager in Galizien das Leben rettete: Berthold Beitz (99). Der Gast aus Israel schenkte der Alten Synagoge ein wertvolles Klavier.

Essen. 

Berthold Beitz und Jurek Rotenberg verbindet etwas sehr Besonderes: Ohne den einen wäre der andere wohl schon in jungen Jahren ermordet worden. Rotenberg war 14, als er Beitz das erste Mal sah. Mit seiner Mutter hockte er in einem Verschlag nah des Bahnhofs der ostgalizischen Öl-Stadt Boryslaw und sah, wie die SS hunderte Juden abtransportieren wollte. „Plötzlich kam ein junger Herr dazu, gut angezogen, sehr selbstsicher“, erinnerte sich Rotenberg in der Alten Synagoge in Essen.

Beitz, damals Erdöl-Manager, forderte resolut seine für die Deportation vorgesehenen Ar­beits­kräfte zurück, die er zum Schein als unentbehrlich für die deutsche Kriegswirtschaft ausgab. „Es wurde laut, es wurde gestikuliert“, so Rotenberg, doch am Ende gab der SS-Offizier nach, und der Deutsche in Zivil nahm etliche der Todgeweihten wieder mit.

Im Arbeitsausweis vier Jahre älter

Wenn Rotenberg diese Szene schildert, spürt man bis heute die große Bewegung. Auch er überlebte, weil Berthold Beitz ihn schützte, ihn im Arbeitsausweis vier Jahre älter machte als er war und als wichtigen Fachmann deklarierte. Der heute 99-jährige Kuratoriumsvorsitzende der Krupp-Stiftung und der 84-jährige Pensionär aus dem israelischen Haifa sahen sich gestern in Essen das erste Mal von Angesicht zu Angesicht wieder. Und es war, wie könnte es anders sein, eine herzliche Begegnung.

Rotenberg kam nicht mit leeren Händen. Schon vor Wochen hatte er ein Klavier vorausgeschickt, das nun offiziell der Alten Synagoge übergeben wurde. Auch dieses Klavier, das seiner 1995 verstorbenen Mutter Anna gehörte, hat mit dem Überleben zu tun. Der verschlungene Weg des wertvollen Instruments mit Tasten aus Elfenbein kann geradezu symbolisch für das Leid, aber auch das reiche kulturelle Leben des vernichteten osteuropäischen Judentums stehen.

Um 1914 wurde das Piano im zaristischen Russland durch die deutsche Firma C. M. Schröder gebaut. Anna Rotenbergs Vater, ein russisch-jüdischer Nähmaschinen-Kaufmann, erwarb das Klavier für seine Tochter, die schon früh als musikalisches Wunderkind galt. Doch die Zeiten in Europa waren nicht so, dass Juden ihren Talenten entsprechend in Frieden leben konnten. „Meine Mutter hat in Boryslaw heimlich Klavierunterricht gegeben und dafür Lebensmittel bekommen“, sagt Jurek Ro­tenberg. So kamen Mutter und Sohn zu einer hochwillkommenen Überlebenshilfe.

Ein Klavier auf verschlungenen Wegen

Eine wohlmeinende polnische Schülerin und Freundin bewahrte das gute Stück für Anna Rotenberg in ihrer Wohnung. Und fast unglaublich: Das Klavier überlebte den Rückzug der Deutschen, den Vormarsch der Roten Armee, die Neuordnung in Ostgalizien, das Stalin für die Ukraine annektierte. Nach 1945 kam es über das schlesische Waldenburg (heute Walbrzych) in die Hafenstadt Haifa, die Zuflucht vieler überlebender Juden aus Deutschland und Osteuropa war – auch der Rotenbergs.

Und nun steht es in Essen – eben weil Essen die Wahlheimat von Berthold Beitz ist. „Ich freue mich, dass dieses Klavier ein gutes Zuhause gefunden hat“, so Rotenberg, „denn es ist nicht nur ein Instrument, es hat eine Seele.“ Gut bespielbar ist es auch noch, wie der Pianist und Folkwang-Professor Boris Bloch bestätigte, der gestern bei der Feierstunde für den musikalischen Rahmen sorgte – natürlich an Rotenbergs Klavier.

Grüße an den „Herrn Direktor“

Für den Historiker, Journalisten und Beitz-Biografen Joachim Käpp­ner grenzt es an ein Wunder, dass ein solches Zusammentreffen überhaupt möglich ist: „Beitz ist hochbetagt, und die, die er rettete, sind fast alle verstorben oder nicht mehr reisefähig.“ Käppner kennt den 84-Jährigen seit der Recherche für das Beitz-Buch. Das kam so: Einem Mitarbeiter der Krupp-Stiftung, so Käppner, waren eines Tages die Postkarten in die Hand gefallen, „die jedes Jahr im Dezember aus Israel kamen“. Es waren Weihnachtsgrüße an den „Herrn Direktor“ – so nannten die Juden in Boryslaw Berthold Beitz, und so nennt ihn Rotenberg noch heute. „Wenn er auf Dienstreise war, fühlten wir uns verloren, ohne Vater“, schildert Rotenberg seine Gefühle – dies übrigens nach all den Jahren und schrecklichen Erlebnissen immer noch in sehr gutem, höflichen Deutsch. „Ich mag die Sprache“, sagt er, „sie ist so musikalisch.“