Wetter. Das Grauen trägt Pantoffeln und backt Kuchen nach Mutters Rezept. Es ist keinesfalls blutrünstig, sondern wohlerzogen und lebt in einem hübsch dekorierten Wohnzimmer. Das Grauen, das sind Eltern, die ruhig und vernünftig klären wollen, wessen Kind die Schuld trägt an einer Prügelei. Und die irgendwann die Maske der Wohlanständigkeit fallen lassen und einander gnadenlos angiften. Darum geht es in dem Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“.
„Der Titel könnte die Besucher erst einmal abschrecken. Aber unser Wetteraner Komödienpublikum wird das Stück trotzdem mögen“, sagt Sabine Gruss als Mitglied des Koffertheaters überzeugt. Zumal in dem Kammerspiel von Yasmina Reza kein Blut fließt. Das ist schon vorher geflossen, bevor die beiden Elternpaare die als Wohnzimmer dekorierte Bühne betreten. Zwei Jungen haben sich gestritten, dabei hat Ferdinand seinem Mitschüler Bruno die Schneidezähne heraus geschlagen. Nun überlegen die Eltern, wie diese Tat angemessen entschuldigt werden kann.
Aus Eltern werden Kinder
„Es passiert, was immer passiert: Die Eltern stehen zu ihren Kindern und meinen, das andere Kind sei viel schlimmer“, erklärt Gruss. „Es ist schön zu sehen, wie aus den Eltern die eigentlichen Kinder werden. Sie diskutieren – und jeder will verzweifelt, dass der andere ihm zustimmt“, erklärt Regisseurin Denise Förster. „Die Komik entsteht aus der Situation heraus, nicht aus einem Gag“, beschreibt Schauspieler Niklas Peternek den Reiz des Stückes. „Das ist ein Drama mit komödiantischen Aspekten. Man fragt sich: Sind die denn alle Vier bescheuert? Warum lassen sie es nicht? Es ist doch klar, dass sie nicht zusammen finden werden“, ergänzt Gruss. Aber spätestens an der Tür, wenn die Gästepantoffeln ausgezogen werden, drehen sie immer wieder um und kehren zurück an den Couchtisch mit Kaffee und Kuchen.
Und immer wieder klingelt das Handy von Alain, dem Vater des Übeltäters. „Wir suchen nach einem Klingelton, der richtig penetrant ist, so dass er jedem nach dem zweiten oder dritten Mal richtig auf die Nerven geht. Damit man weiß, wie sehr das Telefon nervt“, sagt Förster.
Diese Inszenierung ist ihre erste Regie in einem Theater – und gleichzeitig ein alter Traum: „Ich wollte das Stück schon immer inszenieren. Es ist total mein Humor: Ich mag die Wortgefechte und die Situationskomik. Jetzt habe ich die Leute, mit denen ich das machen kann.“
Das sind außer Gruss und Peternek noch Janina Weber und Heiko Gleichmann. Da Weber schwanger ist, mussten sie das Stück ein wenig anpassen. Im Original wird an der Kaffeetafel auch ordentlich Alkohol getrunken. „Man kann einer Schwangeren keinen Alkohol anbieten, daher gab es ein paar Textänderungen“, erklärt die Regisseurin. „Die Charaktere müssen alle gleich stark sein und gleich blöd, weil es wechselnde Konstellationen gibt. Wer einer Schwangeren Alkohol anbietet, ist sofort der Böse.“
Einen eindeutigen Bösen gibt es nicht. Vielmehr tritt das Unzivilisierte in allen wohlerzogenen und erfolgreichen Figuren zutage. Und das zeigt sich in herrlich absurden Diskussionen: Wusste Ferdinand, dass er seinen Mitschüler Bruno entstellt hat, als er ihm die Zähne ausschlug? Oder wusste er nur, dass sein Verhalten brutal war? Müssen die Birnen für den Kuchen dicker geschnitten werden als die Äpfel?
Immer wieder entstehen neue Koalitionen zwischen den vier Elternteilen. Mal verbündet sich Brunos Mutter mit Ferdinands Vater, dann streiten die Paare miteinander und untereinander. Bis Annette, gespielt von Janina Weber, ihren Mann zurückpfeift. Bis Alain alias Niklas Peternek feststellt: „Ein Mann ist wie ein Päckchen, das man mit sich herumschleppt. Es steht dann ungeschickt herum.“ Und schon wieder klingelt sein Handy und treibt alle anderen an den Rand der Verzweiflung.
Viele Wiederholungen
Um die Absurdität der Szene heraus zu stellen, ist viel Detailarbeit nötig. „Warum sagt man etwas, was will man damit zeigen? Für diese Arbeit ist Denise gut“, finden die Schauspieler. Und tatsächlich lässt die Regisseurin bei den Proben jede Szene wiederholen, bis alles stimmt. Bis jeder Blick und jede Geste sitzt. Und dennoch wird Denise Förster bei der Premiere nervös sein, vielleicht sogar noch aufgeregter als ihre vier Darsteller. „Für mich ist es viel schlimmer, nichts machen zu können. Ich kann nicht eingreifen, ich sehe, wenn etwas nicht klappt, aber ich kann die Kollegen nicht retten.“ Allerdings: Theater ohne Aufregung kann sich die Studentin der Filmregie nicht vorstellen.
Schließlich stehen die Schauspieler an der richtigen Stelle, liegen die teuren Bildbände akkurat auf dem Sofatisch, auch die Pantoffeln für die Gäste stehen bereit. Das Drama kann seinen Lauf nehmen.