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9/11 ist ins kollektive Gedächtnis eingegangen

9/11 ist ins kollektive Gedächtnis eingegangen

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Rheinberg / Xanten. 

Es ist ein Phänomen. Denn es gibt kaum einen Menschen, der mit dem Stichwort „11. September“ nichts anfangen kann. Der Tag ist ins kollektive Gedächtnis eingegangen.

Es gibt wohl kein konkretes Datum in der jüngeren Geschichte, dass die Menschen so bewegt, so schockiert hat. Auch am Niederrhein war Amerika auf einmal ganz nah, Empathie und Solidaritätsbekundungen wurden auf einer Ebene gezeigt, die es nur ganz selten gibt. Pfarrer Hartmut Becks predigte einige Wochen zuvor über das biblische Bild der Apokalypse. Am 16. September 2001 sagte er: „Ich dachte, das liegt so weit weg von uns, dass man es mühselig erklären muss. Aber seit Dienstag ist uns das alles so entsetzlich nahe gekommen.“

In Xanten lag vor der evangelischen Kirche für mehrere Wochen ein Kondolenzbuch aus, in dem Menschen ihre Betroffenheit über die Anschläge ausdrücken konnten. Über 2500 Einträge sammelten sich an, verewigt hatten sich damit aber weitaus mehr, wie sich Pfarrer Joachim Wefers erinnert: „Ganze Schulklassen kamen, um ihre Gefühle auszudrücken.“ Das Buch wurde an den amerikanischen Botschafter weiter geleitet, er bedankte sich später in einem „formellen, aber individuellen Brief“, so Wefers, für die Solidarität mit dem amerikanischen Volk. In dem Buch kamen die verschiedensten Gedanken zum Tragen: „Schade, dass man so hassen kann“, schrieb jemand, genau so wie: „In Dankbarkeit gedenke ich der amerikanischen Hilfe nach 1945“.

„Sie greifen Amerika an. Es ist Krieg“

John F. (Name geändert) lebt seit über 20 Jahren mit seiner Familie am Niederrhein. Der Amerikaner überlegt einen Moment und antwortet dann ruhig auf die Frage, was seine erste Reaktion damals war: „A big shock.“ Er fühlte sich hilflos, gerade als Soldat, ihm waren die Hände gebunden, er konnte vor Ort nichts tun. Nur so schnell wie möglich herausfinden, ob es seinen Verwandten in Minnesota gut geht – zum Glück war niemand involviert. Sein erster Gedanke: „Sie greifen Amerika an, es ist Krieg“, ist wohl etwas, was viele seiner Landsleute so empfunden haben. Der Tag hat ihn geprägt, er sagt über sich, dass er seitdem „mehr zuhört als redet“.

In den Staaten und damit hautnah an der Zeitgeschichte war Simone Krekeler. Die damals 16-jährige Schülerin des Amplonius-Gymnasiums absolvierte ein Auslandsjahr in Michigan, ihr ist der kollektive Schockzustand ihrer Mitschüler noch sehr präsent. Danach habe sich bei vielen eine Wut entwickelt und „der Wunsch, die USA mögen in den Krieg ziehen.“ Solche Reaktionen hätte sie in Deutschland nicht erwartet. Die Menschen seien enger zusammen gerückt, im Unterricht wurden die Ereignisse ausgiebig aufgearbeitet.

Sie ist auch danach noch in die Staaten gereist und konstatiert: „Ich glaube, dass es ein Leben ,davor’ und ,danach’ gibt.“ Die Verwundbarkeit der Weltmacht USA habe das Bewusstsein der Gesellschaft verändert. In New York City ist es besonders das Mahnmal am Ground Zero, das daran erinnert, hier wird jedem bewusst: Die Anschläge sind omnipräsenter Teil der amerikanischen Geschichte. Nicht nur die amerikanische Jugend benötigte eine Aufarbeitung, auch in deutschen Schulen war das Redebedürfnis groß.

Die Gefühle auffangen

Friedrich Wagner, Geschichts- und Deutschlehrer am Xantener Stiftsgymnasium, beschreibt die Stimmung so: „Wir konnten nicht zur Tagesordnung übergehen“, die Gefühle der Schüler mussten aufgefangen und in den Unterricht eingeflochten werden. „Die Bilder sind bei Jung und Alt hängen geblieben“, etwas Vergleichbares hätte er als Lehrer noch nicht erlebt. Durch die Anschläge sind alle, die den Tag bewusst erlebt haben, zu Zeitzeugen geworden. Überall.