Vater in Haft, weil Tochter beim Sexualkundeunterricht fehlt
Foto: WP Ted Jones
Weil sie ihre Tochter nicht am Sexualkundeunterricht teilnehmen ließen, wurde gegen zwei Eltern Erzwingungshaft verhängt. Die beiden sind Anhänger einer Bewegung namens „Organische Christus-Generation“ und halten den Sexualkunde-Unterricht für Grundschulkinder für schädlich. Doch Schulamt und Staatsanwaltschaft bleiben hart.
Reiste.
Die Tochter schwänzt zwei Schulstunden, dafür geht ihr Vater einen Tag lang ins Gefängnis. So könnte diese Geschichte anfangen. Oder sie könnte mit dieser Frage beginnen: Darf man sich dem Sexualkundeunterricht in der Schule verweigern? „Ja“, meinen Eugen Martens und seine Frau Luise aus Eslohe-Reiste. „Nein“, sagt das Schulamt im Hochsauerlandkreis. Es ist ein bizarrer Fall.
Am vergangenen Donnerstag ist Martens verhaftet worden. Drei Polizisten holten den 37-Jährigen ab. Er musste einen Tag Erzwingungshaft in der Justizvollzugsanstalt in Hamm absitzen. Auch seiner Frau Luise (37) droht noch ein Tag Gefängnis: Weil sie schwanger ist, wurde bislang noch auf die Vollstreckung verzichtet.
2012 sollte die Tochter in der Grundschule in Reiste den Sexualkundeunterricht mitmachen – wie es in der vierten Klasse üblich ist. Seine Tochter, sagt Vater Eugen, habe der Klassenlehrerin an dem Tag gegenüber betont, sie möchte nicht an diesem Unterricht teilnehmen: „Das ist ihr eigener Wille gewesen.“ Ihr Vater meint, man habe sie daraufhin sogar versucht, in die Klasse zu ziehen.
Am Ende verbrachte das Kind die eine Stunde im Lehrerzimmer – was als Fehlstunde gewertet und ans Schulamt in Meschede weitergemeldet wurde. Am nächsten Tag war wieder eine Stunde Sexualunterricht: Diesmal gab die Mutter vor, mit ihrer Tochter in dieser Zeit zum Arzt zu müssen, um diesen Unterricht zu umgehen. Das war die zweite unentschuldigte Fehlstunde.
Gibt eine Schulleitung eine Fehlmeldung nach oben an die Schulaufsicht weiter, dann muss diese auch tätig werden. Aus Meschede erging die Aufforderung an die Eltern, eine Strafe von 100 Euro plus 50 Euro Gebühren zu bezahlen. Denn die Kreisverwaltung verweist auf die generelle Schulpflicht – und die, sagt Sprecher Martin Reuther, bezieht sich auch auf alle Unterrichtsfächer, samt Sexualkunde: „Ich kann nicht einfach sagen, ein Fach gefällt mir nicht und mein Kind nimmt nicht daran teil.“
Zahlungsaufforderungen ignoriert
Es gab in Reiste zwei ähnliche Fälle. Hier zahlten die Eltern die Geldbuße. Familie Martens macht das zum Grundsatzfall. Sie weigert sich, zu bezahlen: „Das wäre ja ein Schuldeingeständnis“, sagt der Vater. Das Mescheder Amtsgericht ging zwar mit der Höhe des Bußgeldes um 40 Euro herunter, bestätigte aber die Rechtsauffassung des Schulamtes: Es besteht Schulpflicht, das Fernbleiben vom Sexualkundeunterricht seien Ordnungswidrigkeiten gewesen.
Die Familie ignorierte die Zahlungsaufforderungen. Dann holte die Polizei den Vater ab. „Es geht nicht um die Summe, sondern um eine Gewissensfrage. Wir werden das durchziehen“, betont Eugen Martens. Er ist gegen eine zu frühe Aufklärung von Kindern: Erst auf weiterführenden Schulen solle es die geben, altersgemäß eben. Seine Tochter sei zu Hause aufgeklärt worden: „Wir sprechen über diese Dinge – aber so, wie wir es für angemessen halten.“ Eine zu frühe Aufklärung, meint er, „macht ein Kind von innen her kaputt“.
Pfändungen gescheitert
Eugen und Luise Martens gehören einer kleinen Bewegung namens „Organische Christus-Generation“ (OCG) an. 1500 Menschen sollen ihr in Deutschland und der Schweiz folgen. Gerald Kluge, Sektenbeauftragter im Bistum Dresden-Meißen, nennt sie in einem Atemzug mit Gruppierungen wie der Mun-Sekte oder den Zeugen Jehovas: Die OCG fordere eine völlige Hingabe und Unterwerfung unter Gott. Mit Gleichgesinnten demonstrierte die Familie am Landgericht in Arnsberg gegen zu viel Freizügigkeit.
Lässt sich der Staat das bieten? Der Fall ist nicht abgeschlossen. Auch wenn wegen einer Geldbuße nur einmal eine Erzwingungshaft verhängt werden kann, erläutert Oberstaatsanwalt Thomas Poggel (Arnsberg): Weil das Gericht sich eingeschaltet hatte, muss die Staatsanwaltschaft weiter versuchen, den Bußgeldbescheid zu vollstrecken. Erst nach drei Jahre verjährt das.
Versuche, die Summe durch Pfändungen zu bekommen, scheiterten bislang – es gibt hohe Freibeträge. Die Eltern wollen auch ihre anderen sieben Kinder nicht am Sexualkundeunterricht teilnehmen lassen. Und wenn sie müssen? „Dann suchen wir nach anderen Lösungen“, sagt der Vater. Auch eine Auswanderung schließt er nicht aus.
Jürgen Kortmann
Eltern nehmen Stellung – Beweggründe liegen in der Ethik
Zu dem Bericht „Haft für Vater, weil Tochter nicht zum Sexualkunde-Unterricht kam“ nehmen die Eltern wie folgt Stellung:
Jürgen Kortmann schreibt: „Weil sie ihre Tochter nicht am Sexualkunde-Unterricht teilnehmen ließen, wurde gegen Eltern Erzwingungshaft verhängt.“
Richtig ist: Ich habe meiner Tochter nie verboten, am Sexualunterricht teilzunehmen. Ich habe ihr erlaubt, den Unterricht zu verlassen, wenn es ihr unwohl dabei ist, damit es nicht zu ähnlichen Ereignissen kommt, wie wir sie diese Tage aus Borken hörten, wo Schüler im Sexualunterricht kollabierten und ins Spital eingeliefert werden mussten.
Jürgen Kortmann schreibt einerseits…: Die beiden sind Anhänger einer Bewegung namens OCG und halten den Sexualkundeunterricht für Grundschulkinder für schädlich. …und andererseits: Eugen und Luise Martens gehören einer kleinen Bewegung namens „Organische Christus-Generation“ (OCG) a(….) Gerald Kluge, Sektenbeauftragter im Bistum Dresden-Meißen, nennt sie in einem Atemzug mit Gruppierungen wie der Mun-Sekte oder den Zeugen Jehovas.
Richtig ist: Mit dieser Aussage wird der Anschein erweckt, dass unsere Haltung in Zusammenhang mit der OCG und unserem Glauben steht. Der Verfasser erlaubt sich zudem, Beurteilungen eines Sektenbeauftragten über andere Gruppierungen in Zusammenhang mit unserem Leben zu bringen. Dies ist eine Verdrehung der Tatsachen und eine Diffamierung unserer Familie.
Der Entscheid, unseren Kindern zu erlauben, bei Unwohlsein den Sexualunterricht zu verlassen, hat nichts zu tun mit unserer Zugehörigkeit zur OCG. Die Beweggründe liegen einzig im persönlichen Menschenrecht, zu nichts gezwungen zu werden, was einem körperlich und psychisch schadet.