Geboren wurde er nach eigenen Angaben „im Herzen des Reviers (etwas zur Milz hin versetzt)“. Dann verschlug es Martin Berke aus Gründen, die hier wenig zur Sache tun, zunächst nach Thüringen, dann nach Wuppertal und schließlich nach Düsseldorf. Jedoch, und dies hatte mit Fred Endrikat vor beinahe 100 Jahren schon ein ganz anderer Wanne-Eickeler Schriftsteller erkannt: „Es gibt ein Stück Erde, an dem man klebt: die Scholle, auf der man die Kindheit verlebt.“
Oder um es in Berkes Worten augenzwinkernd zu sagen: „Gerade in der Fremde sah ich das Ruhrgebiet mit ganz anderen Augen. Und plötzlich wurde mir klar, dass alles große, was die Menschheit je geleistet hat, irgendwie mit dem Revier zusammenhängt – sei es das 3:2 von Bern, sei es die Mondlandung, sei es die Erfindung der Dehnbundhose (passt sich dem Körperumfang automatisch an, Patent erteilt).“
Was also läge näher, als ein Loblied auf die Helden der Heimat zu dichten?
Das Ergebnis liegt seit ein paar Wochen vor und trägt den Titel: „Die Ruhmeshalle des Ruhrgebiets – 101 bemerkenswerte Biografien.“ Und wer jetzt glaubt, das Revier und seine Protagonisten aus dem Eff-Eff zu kennen, dem sei gesagt:
a) In diesem Buch erfahren auch Sie garantiert noch etwas Neues.
b): Selbst das, was Sie schon kannten, haben Sie so bestimmt noch nicht gehört.
Klug und mit feiner Ironie destilliert Martin Berke die süffige Essenz aus den Vitae etwa eines Berthold Beitz, Gustav Heinemann oder Josef Albers, aber auch eines Martin Kippenberger, einer Tana Schanzara oder, ja, einer Dolly Buster. (Nebenbei: Es sagt schon einiges über dieses Buch aus, dass die Pornodarstellerinnen – zwei an der Zahl – kaum weniger Beachtung finden als die Großindustriellen, derer gibt es drei.) Das Buch liest sich wie ein guter Roman: flüssig, sprachlich ausgefeilt und überaus unterhaltsam. Man merkt: Berke geht es weniger um historische oder politische Relevanz als vielmehr um den Unterhaltungs- und Identifikationswert seiner Protagonisten. Besser isses.
So ist die „Ruhmeshalle“ auch keinesfalls ein Lexikon oder Nachschlagewerk, eigentlich nicht einmal ein Revier-Pantheon – sonst wären wohl kaum üble Schurken vertreten wie Rösner/Degowski, Joachim Kroll oder (eine echte Entdeckung) der völlig abgeschmierte Juwelenräuber Petras Dominas, der in den 1960er-Jahren im Revier Juwelierläden knackte wie andere Leute Haselnüsse. Berke verrät, dass sein „dunkles Kapitel“ ursprünglich mal Schreckenskabinett oder „das unrühmliche Kapitel“ heißen sollte.
Doch wenden wir uns angenehmeren Seiten zu. Wie etwa der Frage, was man über einen Herbert Grönemeyer eigentlich noch Neues berichten kann. Hier wendet der Autor einen originellen Dreh an und platziert Herbie an der Seite von Bruder Dietrich im Kapitel „Personenverbände“. Dies übrigens neben (unter anderem) den Krupps, dem Schalker Kreisel, Karl und Theo Albrecht sowie Toto & Harry. Kostprobe: „Mittlerweile lebt Grönemeyer in zwei Vororten Bochums; einem westlichen (London) und einem östlichen (Berlin). Zwischen diesen beiden Städten fliegt er hin und her, wobei es fraglich ist, ob er hierzu überhaupt noch ein Flugzeug braucht. Jedenfalls ist er stets zur Stelle, wo immer man seiner bedarf, und wäre es als moralisches Leuchtfeuer, so etwa zu Zeiten der Flüchtlingskrise.“ Das Einzige, was Herbert noch versagt blieb – nämlich die Bücher-Bestsellerliste anzuführen – ward einem anderen Grönemeyer zuteil, nämlich Herberts Bruder Dietrich, auch genannt Deutschlands Medizin-Papst (wozu ihn, so Berke, ein Konklave namens „Bild“-Zeitung gewählt hat). Klasse Übergang.
Ach, wie überaus schade, dass der Platz kaum reicht für weitere Textauszüge. Einen, mehr weise als witzig, möchten wir Ihnen dann aber doch nicht vorenthalten: Er befasst sich mit Adolf Sauerland. Berke: „Manches Menschenleben weist eine Bruchstelle auf – ein Ereignis, an dem sich das Davor vom Danach scheidet. Auch das Leben Adolf Sauerlands hat eine solche Bruchstelle. Diese allerdings ist so groß, dass Sauerland gar nichts anderes mehr zu sein scheint als eben jener Bruch, in dem er zur Gänze verschwindet. Denn wen interessiert jetzt noch, was der OB vor jener Loveparade getan hatte? Oder seither tut?“
Sauerland schaffte es also ins Buch, ebenso – um nur einige zu nennen – James Bond (geboren bekanntlich in Wattenscheid), Moondog, Cornelia Funke, der BVB, Hape Kerkeling, Claudia Schiffer, Klaus Nomi. Auch fiktive Gestalten wie Horst Schimanski, Alfred Tetzlaff, Theo Gromberg oder Adolf Tegtmeier dürfen nicht fehlen. Oder, mit Wanne-Eickeler Bezug, Rudi Cerne und Heinz Rühmann. Viele aber plumpsten durchs Raster: 333 Biographien standen in der Vorauswahl, wurden nach und nach auf 101 reduziert. „So musste ich 232 verdiente Bürger des Reviers hinterrücks über die Reling stoßen. Noch heute hallt ihr Geschrei durch meine schweißnassen Albträume“, beichtet der 53-Jährige. Gleichwohl: Die Auswahl ist ein bisschen speziell, aber trotzdem (oder gerade drum) gelungen.
Illustriert ist die „Ruhmeshalle des Ruhrgebiets“ übrigens mit 18 Zeichnungen von Berkes Lebenspartnerin, der Düsseldorfer Künstlerin Nina Fandler.
Es geht doch nichts über gute familiäre Zusammenarbeit.