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ADFC-Chef Syberg: Eltern-Taxis machen Schüler träge

ADFC-Chef Syberg: Eltern-Taxis machen Schüler träge

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Foto: Ralph Bodemer
Ulrich Syberg, Bundesvorsitzender des ADFC, will mehr Kinder für das Fahrradfahren gewinnen. Dazu will er das Rad stärker in den Alltag einbauen.

Herne. 

Welche Bedürfnisse haben Kinder im Straßenverkehr? Und welche Probleme? Darüber sprachen Experten auf einer Veranstaltung bei der Bundesversammlung des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) in Dresden. Mit dabei: der ADFC-Bundesvorsitzende Ulrich Syberg aus Herne. Mit ihm sprach die WAZ über das Thema.


Auf der Bundesversammlung des ADFC in Dresden beklagten Sie, dass es einen Rückgang von Rad fahrenden Kindern gebe. Woran machen Sie das fest?

Syberg: Kinder und Jugendliche nutzen das Fahrrad heute zwar doppelt so häufig wie Erwachsene. Während bei den Erwachsenen das Radfahren zunehmend an Bedeutung gewinnt, gibt es bei den Kindern in den letzten Jahrzehnten leider einen kontinuierlichen Rückgang, das zeigt etwa das Deutsche Mobilitätspanel. Besonders betroffen sind sozial schwierige Stadtteile. Wir befürchten, dass Menschen, die als Kind das Radfahren nicht als selbstverständlichen Teil des Alltags erfahren haben, im Erwachsenenalter auch nicht mehr aufsatteln.

Ist es denn verwunderlich, dass der Nachwuchs das Rad weniger nutzt? Der Verkehr nimmt schließlich immer mehr zu.

Natürlich gibt es heute mehr Verkehr als in den 1960er oder 70er Jahren. Aber der Verkehr ist gleichzeitig sicherer geworden. Es gibt weniger Unfälle, weil in Sachen Verkehrssicherheit in den letzten Jahrzehnten viel passiert ist, zum Beispiel durch Tempo 30-Zonen.

Trotzdem bringen viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule.

Ja, und von den Eltern selbst geht dann eine nicht unerhebliche Gefahr aus. Wer sein Kind mit dem Auto zur Schule chauffiert, verschärft die oft chaotischen Zustände vor den Schuleingängen und damit das Unfallrisiko. Und was viele nicht wissen: Die meisten Unfälle von Kindern passieren als Mitfahrer im Auto. Positiv gesprochen: Jede gesparte Autofahrt senkt das Unfallrisiko für Kinder auf der Straße.

Aber es gibt doch sicherlich gute Gründe für Elterntaxis?

Nein. Wer seine Kinder mit dem Auto zur Schule kutschiert, trägt mit dazu bei, dass sie sich bis zum Nachmittag manchmal überhaupt nicht bewegen. Dadurch werden sie leichter übergewichtig – und die fehlende Bewegung macht sie auch geistig träge. Selbst mit dem Rad oder zu Fuß zur Schule zu gelangen, stärkt das Selbstbewusstsein und macht fit für den Schulalltag. Außerdem verpassen die Kinder im Auto die Gelegenheit zu lernen, selbstständig am Straßenverkehr teilzunehmen. Irgendwann werden sie das elterliche Auto verlassen. Sollen sie dann direkt in das eigene Auto umsteigen? Nein: Das Fahrrad ist immer die bessere Alternative: Es ist gesünder, günstiger, umweltschonender – und macht mehr Spaß!

Im ADFC wurde auch schon vorgeschlagen, eine „Bannmeile“ für Autos vor Schulen mit einem Radius von 250 Metern einzuführen – damit die Kinder wenigstens einen kurzen Schulweg haben. Was halten Sie davon?

Die Idee ist gut, denn das Parkverbot vor Schulen soll auch die Kolonnen von Eltern-Autos vom Schultor fernhalten. Zusätzlich braucht man eine gute Info-Kampagne, damit Eltern den Sinn der Maßnahme verstehen. Wichtig ist aber auch, die Eltern und Schüler zum Umstieg auf das Rad oder zum Laufen zu motivieren.

Wie kann man sie motivieren?

Indem man das Radfahren in den Alltag der Kinder einbaut. Die Schulen können Aktionstage, Sternfahrten oder Projektwochen durchführen, Schulwegpläne entwickeln und gute Abstellplätze für die Räder zur Verfügung stellen. Und zu Hause sollten Eltern und ihre Kinder nicht jeden Weg mit dem Auto erledigen, sondern möglichst viele Alltagswege auf dem Rad erleben. Aktive Mobilität muss etwas ganz selbstverständliches sein!

Können sich Kinder, auch wenn sie ans Laufen oder ans Fahrrad gewöhnt sind, überhaupt verkehrsgerecht verhalten?

Kinder entwickeln sich sehr unterschiedlich. Aber fest steht: Sie sind keine kleinen Erwachsenen. Entfernungen oder Geschwindigkeiten einschätzen und die Richtung erkennen, aus der ein Motorengeräusch kommt, das können Kinder unter zehn Jahren noch nicht zuverlässig. Kinder sind auch leichter abgelenkt als Erwachsene und können sich auf Unerwartetes nicht so schnell einstellen. Wir stellen die Frage andersherum: Wie kann der Verkehr so gestaltet werden, dass auch unerfahrene Verkehrsteilnehmer daran teilhaben können?

Und wie lautet Ihre Antwort auf Ihre Frage?

Wir brauchen Städte und Mobilität für Menschen jeden Alters. Wir fordern Tempo 30 in den Innenstädten und ausreichend breite Gehwege und Radspuren. Die Behörden müssen natürlich dafür sorgen, dass die nicht flächendeckend zugeparkt werden können. Aber auch die Eltern können helfen: Sie sollten mit den Kindern einen sicheren Schulweg suchen – nicht immer ist der kürzeste Weg der beste. Viele weiterführende Schulen haben mit Hilfe des ADFC Schulwegepläne entwickelt, in denen die sichersten Wege eingezeichnet sind. Eltern sollten aktiv nach solchen Plänen fragen. Und dann sollten Eltern den Schulweg mit den Kindern üben – und erklären, wo sie anhalten, sich umschauen oder schieben müssen. So lernen Kinder am besten, sich selbstbewusst und sicher im Straßenverkehr zu bewegen.

Was halten Sie von Fahrradprüfungen in der Grundschule? Kritiker bemängeln, sie suggerierten den Eltern Sicherheit.

Die Radfahrprüfung ist gut, sie ist aber nur ein kleiner Baustein der Mobilitätserziehung. Unterricht und Prüfung finden meistens nicht im Straßenverkehr statt, sondern auf dem Schulhof oder auf dem Verkehrsübungsplatz. Darauf allein sollten Eltern sich nicht verlassen, sondern mit den Kindern von Anfang an aktiv mobil sein – also zu Fuß, auf Rollschuhen oder mit dem Rad.

Was halten Sie von gemeinsamen Radfahrkursen mit Schülern und Eltern nach Schweizer Vorbild?

Das ist eine gute Sache, solche Kurse werden in Deutschland leider viel zu selten angeboten. Die Probleme und Lösungen sind alle bekannt, jetzt muss die Politik handeln und Finanzmittel für die Mobilitätserziehung bereitstellen!