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Edona (2) aus Medebach soll allein nach Albanien ausreisen

Edona (2) aus Medebach soll allein nach Albanien ausreisen

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Edona (2) aus Medebach droht die Abschiebung nach Albanien – allein. Foto: Rita Maurer
Für ihre Familie ist Edona (2) der Inbegriff der Freiheit: Sie wurde nach der Flucht im Sauerland geboren. Jetzt soll sie abgeschoben werden.

Medebach. 

Für Eduart (30) und Franga (29) B. und ihren sechsjährigen Bruder Edjon ist Edona der Inbegriff von Freiheit. Elf Tage nach dem Ende ihrer Flucht aus Albanien wurde sie am 16. Mai 2014 im Sauerland geboren. Doch die Geburt im sicheren Deutschland könnte ihr jetzt zum Verhängnis werden: Edona wurde vom Bundesamt für Migration am Donnerstag in einem 11-seitigen Bescheid, der unserer Redaktion vorliegt, aufgefordert, Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen.

Der Familie droht Blutrache

Ansonsten drohe dem gerade einmal 20 Monate alten Mädchen die Abschiebung nach Albanien. Die Ausreise-Aufforderung richtet sich allein gegen Edona, weil sie im Gegensatz zum Rest ihrer Familie keine Verfolgung in Albanien nachweisen kann: „Eine konkret drohende individuelle und begründete Furcht vor Verfolgung wurde für die Antragstellerin nicht geltend gemacht. Eine erlittene Vorverfolgung kann angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin im Bundesgebiet geboren wurde und sich zu keiner Zeit in Albanien aufgehalten hat, nicht vorliegen“, wie das Bundesamt für Migration unter Aktenzeichen 5767139-121 schreibt.

Seit 2015 gilt Albanien als sogenanntes sicheres Herkunftsland. Asylanträge sind so gut wie aussichtslos – außer der Antragsteller kann nachweisen, dass ihm eine Verfolgung droht. Genau das machen Eduart und Franga B. in ihrem Asylantrag vom Juni 2014, der noch geprüft wird, geltend. Ihnen drohe Blutrache durch eine verfeindete Familie – eine in Albanien immer noch vereinzelt praktizierte archaische Form der Selbstjustiz, um die Familienehre wieder herzustellen.

Die hochschwangere Franga B., ihr Mann Eduart und Sohn Edjon kamen im Mai 2014 ins Sauerland. „Die Familie ist hier in Medebach total integriert“, sagt Alt-Bürgermeister Heinrich Nolte. Die Eltern haben feste Arbeitsstellen im Ort, auf Sozialleistungen greifen sie nicht zurück. Edjon geht in die Grundschule, Vater Eduart singt seit Monaten im Männergesangverein. Zweimal pro Woche besuchen die Eltern einen Deutschkurs.

Ihr nun drohendes Schicksal erschüttert Menschen in ganz Medebach und darüber hinaus. Der in der Flüchtlingshilfe aktive Alt-Bürgermeister kennt die Familie seit ihrer Ankunft und ist fassungslos, genau wie Andreas Brieden, der Chef von Eduart B., und Ulrich Isken, Vorsitzender des Gesangvereins. Sie kritisieren die Praxis des Bundesamts für Migration in dem vorliegenden Fall und mutmaßen, dass mit dem Bescheid darauf gesetzt wird, dass die Eltern ihr Kind niemals alleine ausreisen lassen würden. Mit der Familie zusammen haben sie am Samstag das weitere Vorgehen beraten. Eduart B. ist wie versteinert und verfolgt die Gespräche nur ab und zu mit einem Kopfschütteln.

Ganze Stadt Medebach ist fassungslos

Seine Frau ist gerade erst von ihrer Arbeit nach Hause gekommen und drückt mit Tränen in den Augen ihre Tochter an sich, die fröhlich ihre ersten Worte auf deutsch brabbelt. Ihre großen dunklen Augen blitzen schelmisch, als sie mit einem Stift das Schreiben des Bundesamtes bemalt. „Wie unmenschlich muss es in einer Behörde zugehen, dass ein Baby ohne seine Eltern abgeschoben werden soll?“ – diese Frage stellen sich nicht nur die entsetzten Ehrenamtlichen Bürgerhilfevereins, sondern eine ganze Stadt. Das Bundesamt war am Wochenende nicht zu erreichen.

Eine Woche Einspruchsfrist

Seit dem Tag, an dem der Bescheid bei der Familie B. eingegangen ist, arbeitet Heinrich Nolte an einer Klage gegen die Abschiebungsandrohung und außerdem an einem Antrag „auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage“. Beide will er persönlich beim Verwaltungsgericht Arnsberg einreichen, um die einwöchige Einspruchsfrist zu wahren, die am Donnerstag ausläuft.

Das Bundesamt für Migration hat inzwischen auf Twitter eine Stellungnahme zum Fall Edona veröffentlicht: Bescheide enthalten Hinweis: Keine getrennte Rückführung von Minderjährigen.

Asylanträge der Eltern und des Bruders sind noch offen 

Albanien wurde auf dem Berliner Flüchtlingsgipfel Ende September 2015 neben dem Kosovo und Montenegro in die Liste der sicheren Herkunftsländer aufgenommen, um Asylverfahren beschleunigen zu können. Als sicherer Herkunftsstaat gilt ein Land mit einem demokratischen System ohne Folter, Verfolgung, bewaffnete Konflikte oder unmenschliche Behandlung. Asylanträge aus solchen Ländern werden im Regelfall nach §29a des Asylgesetzes abgelehnt, sofern keine Beweise vorliegen, dass im Einzelfall eine Verfolgung droht.

Gefahr der Blutrache in Albanien

Im Falle der Familie B. könnte aufgrund der Blutrache-Gefahr der sogenannte „subsidiäre Schutz“ zum Zuge kommen, der im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dann greift, wenn ein nicht asylberechtigter Flüchtling bei seiner Abschiebung mit einer „ernsthaften individuellen Bedrohung“ rechnen muss. Bei der 20 Monate alten Edona wurde dieser subsidiäre Schutz jedoch nun vom Bundesamt ausgeschlossen, weil sie erst nach der Flucht ihrer Familie in Deutschland geboren wurde und somit nicht die „Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht erfüllt sind“.

Dagegen scheinen die Prüfungen für subsidiären Schutz bei Edonas Eltern und ihrem Bruder noch nicht abgeschlossen zu sein, denn sie erhielten keinen Bescheid. Das Bundesamt sieht in seinem Schreiben zudem trotz der „individuellen Umstände der Antragstellerin“ keine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Weiter heißt es wortwörtlich: „Eine schwierige soziale und wirtschaftliche Lage begründet kein Abschiebungsverbot, sie muss von der Antragstellerin ebenso wie von vielen seiner Landsleute bewältigt werden.“