Brilon.
Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der sogenannten „Schröder-Gruppe“ müssen sich ab 24. Februar zwei führende Manager vor Gericht verantworten.
Der Kopf der damaligen Unternehmensgruppe, Gerhard Schröder (61), gilt nach wie vor als verhandlungsunfähig. Erste Anklagepunkte aus der 2004 eingereichten umfangreichen Anklage gelten inzwischen als verjährt.
Rückblende. Das erste Jahr des mit viel Getöse gefeierten neuen Jahrtausends neigt sich seinem Ende zu. Von der Champagnerlaune, die zwölf Monate zuvor noch für Prickelstimmung an den Börsen gesorgt hatte, ist nicht mehr viel zu spüren. Der sogenannte Neue Markt befindet sich im freien Fall.
Nach dem Allzeithoch am 10. März 2000 mit 9666 Punkten ging es nur noch abwärts. Im Januar 2001 stürzt der Nemax 50 unter die 3000er Marke. Mittendrin im Sog: die Aktienwerte des Briloner Unternehmers Gehard Schröder, Chef der an der Heeresstraße in Altenbüren angesiedelten Unternehmensgruppe.
„Die BMS-Baugruppe wackelt in ihren Fundamenten“ schlagzeilte die WP am 23. März 2001, nachdem Schröders langjähriger Weggefährte und Mitgesellschafter Ulrich H. sie über den angeblich mysteriösen, gesundheitlich bedingten Ausstieg des Firmenoberhaupts aus dem Unternehmen und der damit zusammenhängenden Fälligstellung von immensen unerfüllbaren Bankenforderungen informierte. H. damals zur WP: „Die ganze Gruppe war schließlich auf ihn fixiert.“ Schnell kam jedoch die Wirklichkeit ans Licht. Sie mündete im Juni 2004 in einer 398 Seiten dicken Anklageschrift.
Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität Bielefeld wirft dem heute 61-Jährigen schweren Betrug in 43 Fällen (§ 263 Strafgesetzbuch), Kreditbetrug in fünf Fällen (§ 265a), Bankrott-Vergehen in elf Fällen (§ 283) und die Verschleppung eines Insolvenzverfahrens vor.
Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft sogar in 172 Fällen ermittelt. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung hatten die Ermittler sich auf 60 Fälle zwischen Frühjahr 1998 und Frühjahr 2001 beschränkt. Diese Betrugs- und Bankrottvorwürfe umfassen einen finanzielles Volumen von rund 140 Millionen Mark.
Auf der Liste der Geschädigten tauchen aus dem heimischen Raum die Volksbanken Brilon, Marsberg, Anröchte auf, die Sparkassen Meschede, Warstein, Bestwig und die ehemalige Stadtsparkasse Marsberg. Hinzu kommen Volksbanken und Sparkassen aus unterschiedlichen Städten, sowie Landes- und Geschäftsbanken und diverse Kreditversicherer.
Von den heimischen Instituten am stärksten involviert war nach WP-Informationen die Sparkasse Meschede, bei der sich Schröder in jener Zeit rund 9 Mio Mark besorgt haben soll. Die Sparkasse Hochsauerland sei dagegen von den Vorgängen nicht betroffen, betonte sie in der Vergangenheit.
Bei den Bankrottvorwürfen geht es um familieninterne Immobilienübertragungen unmittelbar vor dem Crash, also in jenen Tagen Mitte März, in der der Unternehmer wissen musste, wie hoch ihm bereits das Wasser stand.
Auch im eigenen Unternehmenskonglomerat soll er Firmen widerrechtlich für sich in die Pflicht genommen haben.Einige Randbeteiligte aus jenen Tagen hatten sich bereits vor dem Briloner Amtgericht zu verantworten und sind zu Geld- bzw. Bewährungsstrafen verurteilt worden.
Für die führenden Köpfe der Unternehmensgruppe ist die Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Arnsberg zuständig. Und die hat sich in dem Verfahren bisher nicht mit Ruhm bekleckert. Im Fall von A. hatte das Oberlandesgericht Hamm der Kammer unter Vorsitz von Dr. Detlef Mehlich vor Jahresfrist auf eine entsprechende Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin Untätigkeit unterstellt. Im Mai 2008 platzte nach sieben Verhandlungstagen ein Prozess gegen H., weil eine – später verstorbene – Schöffin erkrankte und die Kammer keinen Ersatzschöffen bereitgestellt hatte.
Und im Frühjahr diesen Jahres hatte der Bundesgerichtshof einen Freispruch der Kammer kassiert: Dieses Urteil gegen einen bei der Unternehmensgruppe tätigen Betriebswirt entspräche nicht den Anforderungen an einen Freispruch, schrieb der BGH der Kammer ins Stammbuch.
„Das bisherige Ergebnis spiegelt den hohen Ermittlungsaufwand nicht wider“, sagt der Pressesprecher der Bielefelder Schwerpunktstaatsanwaltschaft, Klaus Pollmann, zur WP. „Der Rechtsstaat kann nicht alle Gefühle befriedigen“, so der Pressesprecher des Landgerichts, Peter Marchlewski.
Der Hauptangeklagte, Gerhard Schröder, gilt als verhandlungsunfähig. Die von seinen Gutachtern vorgelegten Krankheitsbilder hat das Landgericht durch den bisher von ihm eingeschalteten Amtsarzt des Hochsauerlandkreises nicht widerlegen lassen können. Zurzeit erstellen Mediziner mehrerer Fachrichtungen der Uni-Klinik Köln ein Konsil zur Frage der Verhandlungsfähigkeit.
Hatte die Pressestelle des Landgerichts Arnsberg Anfang dieses Jahres gegenüber der WP die Auskunft gegeben, dass in diesem Jahr der überwiegende Teil der Anklage vor der Verjährung stehe, so rudert der heutige Pressesprecher Peter Marchlewski zurück: „Wir gehen davon aus, dass nichts verjährt ist.“ Das könne nur die Kammer in einer Hauptverhandlung feststellen. Die hat es bisher jedoch noch nicht gegeben.
Laut Juristen dürften lediglich die „265a“-Fälle verjährt sein, die wesentlich höher strafbewehrten „265-er“- und „283-er“-Fälle nicht. Aufgrund des bei schwerem Betrug und Bankrott möglichen Strafmaßes gilt bei diesen Fällen eine absolute Verjährung von 10 Jahren ab Tatbeendigung. Diese Verjährungsfrist wird jedoch durch zahlreiche Maßnahmen unterbrochen werden. Etwa durch die Eröffnung des Hauptverfahrens. Das war im Fall des Firmenchefs im Juli 2006 der Fall. Dafür gibt es fünf Jahre Zuschlag.