Eintauchen in eine seit Jahrzehnten unberührte Welt
Die Grube Gonderbach wird Wasserreservoir
Hier wurde Silber geschürft
Fischelbach.
„Nur Mut, das schaffen Sie schon!“ Zwei Ingenieure in meinem Rücken drängen mich sanft, einen Schritt nach vorn zu gehen. Aber der Weg führt ins Dunkle, in den Berg, in den alten, seit Jahrzehnten unberührten Stollen der Grube Gonderbach. Vor meinem geistigen Auge tut sich die Attahöhle auf, die ich mit der Schulklasse besucht hatte. Da war alles geräumig, hell beleuchtet. Aber hier sehe ich auf den ersten zwei Metern braunrötlichen Dreck an den Seitenwänden. Danach ist alles schwarz.
Und wenn mir dadrin schwarz vor Augen wird? Panikattacke, Platzangst! Wer rettet mich?
Foto ins Leere
Mein rechtes Bein macht den Anfang, das linke zieht nach. „Geht doch“, ruft Dirk Müller von hinten. Der Geschäftsführer des Wasserverbandes Siegen-Wittgenstein hat sich wenige Minuten vor unserer „Einfahrt“ in den Stollen selbst davon überzeugt, dass auch Reporter hier wieder lebend rauskommen können. Ich schieße ein Foto ins Leere, der Blitz zeigt mir in einer Millisekunde schemenhafte Konturen der felsigen Wände und der gemauerten Decke. „Da geht’s lang, schön vorsichtig“, höre ich, und schon weist mir der Schein einer LED-Lampe den Weg. Es sind nicht die Schritte ins Leere, sondern die Enge des tunnelartigen Ganges, die mir zeitweise zu schaffen machen. Mit fällt der „Zigarrenblick“ von hinten im Flugzeug Richtung Cockpit ein – den beherrsche und ertrage ich mit einer Beruhigungspille; aber die liegt momentan 30 Kilometer weit weg. „Also weiter jetzt, stell dich nicht so an!“, mache ich mir Mut – wort- und lautlos für meine Begleiter.
Im Entengang geht’s weiter
Erstaunlicherweise bleibt die erwartete Kälte unter Tage aus. In meiner Wachsjacke ist es muckelig, der Helm wärmt meinen Kopf. Und schützt ihn, denn gleich müssen wir in die Knie. Von oben kommt die Decke, zwingt uns auf zehn Meter Länge zum Entengang. Dann ist das erste Etappenziel erreicht, und wir sehen den Grund, warum wir es rauschen gehört haben: Vor uns steht eine kleine Mauer, die einige hundert Kubikmeter Wasser aus dem Berg staut. Wie weit der längliche, künstliche See ins Unterirdische verläuft, ist unbekannt. Fest steht nur, dass dort niemand rein darf – auch nicht mit Wathosen. Denn aus alten Zeichnungen bekannte, senkrecht verlaufende Schächte würden den Tod eines jeden unvorsichtigen Vorwitz bedeuten.
Hier fotografiere ich für meine Reportage, mache auch Bilder von den 32 eisernen Sprossen, die hier senkrecht nach oben führen. An dieser Stelle war bislang der Ein- und Ausstieg für die Mitarbeiter des Wasserverbandes. Regelmäßig haben sie dort kontrolliert, ob der Wasserfluss in Ordnung ist und der Überlauf funktioniert.
Wir finden den stromlosen Ort, der ohne LEDs stockdunkel ist, total spannend, elf Meter unter der Erde. Aber mich drängt’s dann doch wieder an die Sonne und zu den zwitschernden Vögeln im Gonderbachtal. Der Rückweg verläuft problemlos. Platzangst ist für mich zum Fremdwort geworden. Lästig ist nur der klebrige Matsch aus Eisen-Mangan, der meine Gummistiefel am feuchten Boden festhalten will. Weil ich vorn marschiere, entdecke ich als erster das Licht am Ende des Tunnels. Warum fällt mir hier das Steigerlied ein? Mit „angezühühünd“ und „dem Leder vor dem Arsch bei der Nacht“? Ich atme durch.
Aus „Glück auf“ wird „Wasser marsch“
Von einem Sessel aus purem Silber ist die Rede. Ein Wittgensteiner Graf soll ihn besessen und drauf gesessen haben. Das ist eine alte Sage, die nicht belegt ist. Fest steht allerdings, dass in Wittgenstein, hauptsächlich im südlichen Teil des Altkreises Silber aus der Erde geholt worden ist. Bergbau in Wittgenstein – den hat es bekanntlich gegeben.
Um das Jahr 800 wird Bleierz bei Hesselbach gefunden, 800 Jahre später taucht die Grube „Gonderbach“ erstmals in Akten auf. Und um diese Grube geht es – denn sie ist neben dem „Ludwigstollen“ die einzige, die in gewisser Hinsicht heute noch aktiv ist: als Wassergewinnungsanlage für die Ortschaften Fischelbach und Hesselbach sowie der Gemeinde Breidenbach.
Unter Tage geschuftet
Bis 1939 haben Bergleute unter Tage in dem Seitental oberhalb des Forsthauses „Burg“ geschuftet, haben aus den verzweigten Stollen und Schächten Kupfer und Bleierz und auch Silber ans Tageslicht geholt.
Knapp 30 Jahre später hat die Stadt Laasphe den teilweise zusammengebrochenen Stollen neu entdeckt, eine Wassergewinnungsanlage mit einer kleinen Staumauer installiert und darüber den neuen Eingang durch einen zehn Meter tiefen Schacht angelegt.
Vor dem unteren Stolleneingang wurde ein Kontrollschacht auf der Entleerungsleitung des Stollens eingebaut. Und der war es, der vor wenigen Wochen den Wasserverband Siegen-Wittgenstein (WVS) an die historische Stelle im Gonderbachtal geholt hat. Der Verband ist seit Mitte der 70er Jahre zuständig für die Versorgung der drei Wittgensteiner Kommunen und der hessischen Gemeinde Breidenbach. Denn nachdem einem Förster der überlaufende Schacht aufgefallen war, stellte sich heraus, dass die Beton-Leitung durch Wurzelwerk dicht und somit defekt war.
Damit das Wasser, das schon die Wiesen durchnässt hatte, ablaufen konnte, hat die Tiefbau-Firma Schmidt (Bad Laasphe) gewässerschonend einen neuen Graben gezogen. „Und wenn wir jetzt schon einmal drangehen“, so hat Verbandsgeschäftsführer Dirk Müller erläutert, „dann machen wir auch Nägel mit Köpfen“. Der auf Wasserbau und Umwelttechnik spezialisierte Diplom-Ingenieur Stephan Klein (Geschäftsführer Klapp + Müller in Siegen) erhielt den Auftrag, den alten Zugang zur Wassergewinnung zu reaktivieren.
„Dafür hat die Sicherheit eine wesentliche Rolle gespielt“, begründet Müller und weist auf den nun betriebssicheren und bedienerfreundlichen, horizontalen Zugang zu den Schiebern hin.
Nach 50 Jahren freigelegt
Bei den vorbereitenden Arbeiten mussten die Mitarbeiter der Baufirma übrigens gut zwei Meter hohes Erdreich abtragen und den defekten Schacht entfernen. Damit war der vor rund fünf Jahrzehnten zugemauerte Eingang freigelegt. Dann noch die roten Ziegel abzubrechen, war ein Klacks.
Im Inneren hat das Wasser seine Spuren hinterlassen. Ein zäher, gelblicher Schlamm mit Eisen- und Mangan-Resten bedeckt Wände und Decke. Vermoderte Holzpfähle liegen am Rand, mitunter beeinträchtigen Felsnasen den freien Zugang in Richtung Staumauer.
Auf Höhe des bisherigen Einstiegsschachtes war der jetzt wieder zugängliche Stollen ebenfalls dauerhaft verschlossen. Von hier läuft das frische Nass in Richtung Aufbereitungsanlage, die am Ende des „Ludwigstollens“ in Höhe des Abzweigs in Richtung Hesselbach liegt. Dort wird das Wasser aufbereitet – und wenige Meter weiter in der Hauptleitung an der Landstraße mit dem Wasser aus der Obernautalsperre vereinigt.