- NRW-Landesregierung will die Schulen stark gegen Salafisten machen.
- Mehr Hilfen gegen religiösen Extremismus.
- Verunsicherung an den Schulen ist groß. Keine Patentrezepte.
Menden/Unna.
In Essen hat die Lehrerin Alarm geschlagen. Lange vor dem Anschlag auf den Sikh-Tempel hat sie bereits davor gewarnt, dass einer ihrer Schüler, mutmaßlicher Attentäter, Videos von einer Probesprengung auf dem Handy hatte. Ein recht deutliches Zeichen, dass ein Schüler vom Weg abkommt. Was aber ist in weniger eindeutigen Fällen? Wie sollen Lehrer erkennen, ob ein Jugendlicher salafistische Tendenzen hat? Und wie sollen sie mit einem solchen Jugendlichen dann umgehen?
Die Landesregierung hat angekündigt, Lehrern mehr Unterstützung zu geben, um auf Jugendliche einzuwirken, die abdriften. Seit dem Jahr 2014 bereits gibt es in NRW „Wegweiser“, ein Präventionsprogramm gegen gewaltbereiten Salafismus. Bis zum Ende des Jahres sollen weitere Beratungsstandorte aufgebaut werden. In Zusammenarbeit mit „Wegweiser“ hat es erste Fortbildungsangebote auch in Südwestfalen bereits gegeben – im Märkischen Kreis.
Razzien im Märkischen Kreis
Vermutlich aus gutem Grund ausgerechnet dort. Bei einer Razzia im März 2015 sind 26 Objekte deutschla ndweit durchsucht worden, neun davon allein im Märkischen Kreis, mehrere in Menden. Ermittelt wurde gegen die Vereinigung „Tauhid-Germany“, die auch in Menden mit einem Informationsstand aufgefallen war, Flugblätter zum „Übel der Demokratie“ verteilt hatte, dazu umstrittene Koran-Ausgaben. Festnahmen hatte es in Menden nicht gegeben.
Dr. Gabriele Schulte erinnert sich gut an einige der jungen Leute, die damals an diesem Info-Stand mitarbeiteten. Es waren Schüler des Rahel-Varnhagen-Berufskollegs, dessen Außenstelle Schulte in Menden leitete. Längst war ihr aufgefallen, dass einige der jungen Muslime „sich auffallend viel mit dem Islam beschäftigt haben“, erzählt die mittlerweile pensionierte Lehrerin. Aber ist das etwas Verwerfliches? Bedenklicher erschien es ihr schon, dass einer der jungen Männer sich freitags um 11 Uhr vom Unterricht zum Gebet in die Moschee verabschiedete. Dass er bei Ausflügen nicht im Stillen, sondern demonstrativ betete. Dass er sich einen langen Bart stehen ließ.
Gabriele Schulte hat vergleichende Religionswissenschaft studiert, kennt sich aus mit dem Islam. Und doch sagt sie: „Der Weg in den Salafismus – das ist auch eine Grauzone. Es müsste daher viel mehr solcher Informationsveranstaltungen geben.“ Doch mit ihren Sorgen hat sie sich damals allein gefühlt.
Verweigerung des Handschlags Zeichen für Radikalisierung?
Ein Problem offenbar auch für viele andere Lehrer, erzählt Sevgi Kahraman-Brust vom Kommunalen Integrationszentrum in Unna. Auch sie hat bereits eine Fortbildungsveranstaltung für Lehrer und Sozialpädagogen organisiert: „Die Lehrer möchten erkennen können“, schildert sie die Verunsicherung. Ist ein Bart oder die Verweigerung des Handschlags bereits Anzeichen für die Radikalisierung? Oder vielleicht nur die Provokation eines Heranwachsenden?
„Bedenklich wird es dann, wenn die Schüler still werden“, sagt Kahraman-Brust. Wenn sie im Unterricht nur noch bei wenigen Themen aktiv werden, immer wenn es zum Beispiel um ihren Glauben geht, erklärt sie. „Wer radikal ist, ist nicht immer einfach zu erkennen“, räumt sie ein. „Man muss sich schon mit den Jugendlichen unterhalten, auch mit ihren Eltern, Freunden“, fügt sie hinzu. Ein einfaches Muster gibt es also nicht – ebenso wie ein simples Rezept gegen die Radikalisierung.
Interesse für die Schüler, für ihren Glauben, das hält Kahraman-Brust für ein wichtiges Instrument, um vorzubeugen. Islamismus und Islamfeindlichkeit – sind deshalb auch gleichermaßen Themen in den Präventions-Workshops, die das Jugendamt im Märkischen Kreis künftig in Schulen anbieten will. „Denn die Ausgrenzung junger Muslime treibt den Salafisten ihre Anhänger erst in die Arme“, sagt Evelin Schöffer, die die Workshops ausgearbeitet hat. Doch die Präventionsarbeit – sie steckt noch in den Kinderschuhen, räumt Evelin Schöffer ein.
In Essen übrigens hat sie nichts geholfen: Einer der mutmaßlichen Attentäter wurde längst im Präventionsprogramm „Wegweiser“ betreut.