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Überbelegung als Dauerzustand

Überbelegung als Dauerzustand

Dortmund. 

Das Ehepaar wohnt seit 30 Jahren an der Glückaufsegenstraße, seit 2011 liegt in ihrer direkten Nachbarschaft die Erstaufnahme-Einrichtung (EAE) für Flüchtlinge in Dortmund-Hacheney. Von ihrem Garten aus können sie auf den Hinterhof der Aufnahmestelle sehen, 150 bis 200 Menschen stehen dort. So voll, wie es in diesen Tagen dort ist, war es, sagen sie, noch nie. In der EAE wird Diane Jägers, Ordnungsdezernentin der Stadt, kurz darauf sagen, dass der Kreislauf, den die Flüchtlinge hier beginnen, vor 14 Tagen kollabiert sei.

Was den Kollaps ausgelöst hat, lässt sich leicht benennen: Stark angestiegene Flüchtlingsströme prallen auf ein System, das auf ihre Ankunft nicht vorbereitet war. Und daher nicht genug Platz hat, diese Menschen unterzubringen. In Zahlen: 2013 kamen insgesamt 23 179 Asylbewerber nach NRW, im laufenden Jahr sind es schon bisher über 20 000 Menschen und das Innenministerium rechnet damit, dass es am Ende des Jahres mehr als 37 000 Menschen sind, die hierher geflohen sein werden. Zwei Erstaufnahme-Einrichtungen sind für diese Menschen zuständig, eine in Bielefeld, die andere hier in Hacheney. Und 80 Prozent der Flüchtlinge kommen nach Dortmund.

„Keiner rein, keiner raus“

Wenn von Hacheney die Rede ist, heißt es immer, die Einrichtung habe Platz für 300 Menschen, zusätzlich gebe es 50 Notplätze. Prinzipiell stimmen diese Zahlen auch heute noch, nur wurden sie von der Realität geschliffen: Gegen 16 Uhr an diesem Werktag sind 510 Menschen in der EAE.

Wenn alles gut läuft, werden später am Tag noch 250 Flüchtlinge mit Bussen nach Gießen und Unna gebracht werden. Wenn alles gut läuft, denn bundesweit sind Unterbringungsplätze im Moment Mangelware. In Berlin haben sie die zentrale Aufnahmestelle Mitte vergangener Woche geschlossen, weil zu viele Menschen vor der Tür standen. In München sucht eine „Task-Force“ nach Unterbringungsmöglichkeiten und in Holte-Stukenbrock kamen am Freitag 120 Flüchtlinge in die dortige Polizeischule.

Kinderkrankheiten wie Masern oder Windpocken waren dann letztlich der Tropfen, der das Fass in NRW am vergangenen Freitag zum Überlaufen brachte: Es gibt neun zentrale Unterbringungseinrichtungen im Land, fünf wurden am Freitag de facto vom Betrieb abgemeldet. „Keiner rein, keiner raus“ sagt jemand vom zuständigen Innenministerium und möchte nicht zitiert werden. Und sein oberster Dienstherr, Ralf Jäger, sprach davon, „diese Herausforderung im Sinne der Menschen anzunehmen“. Für eine Woche also werden keine zusätzlichen Flüchtlinge in NRW mehr aufgenommen. In Hacheney kommen dennoch Menschen an, in den letzten 14 Tagen waren es rund 700 Menschen, die dann von hier aus weiter über das Land verteilt werden.

Am Rande der Belastbarkeit

Aber wohin dann? Die Menschen, die in Hacheney arbeiten, sagt Jägers, leisteten „Exorbitantes“ – aber wie lange noch? Das System der deutschen Flüchtlingsversorgung, heruntergefahren Ende der 90er-Jahre, steht nicht am Rande seiner Belastbarkeit, es ist schon einen Schritt weiter.