Gelsenkirchen. Es ist DER ungelöste Kriminalfall in der Geschichte Gelsenkirchens. Annette Lindemann, Polizistin, Mutter von vier Kindern, verschwindet im Frühjahr 2010. Schnell rückt ihr Ehemann, ebenfalls Polizist, in den Fokus der Ermittler. Er verstrickt sich in ein riesiges Lügengeflecht. Knapp vier Jahre später werden die Ermittlungen gegen ihn eingestellt. Zum Mordprozess kam es nie.
Die Ermittler sind sich sicher: Am 30. Mai tötet Dirk L. seine 44-jährige Frau im Schlafzimmer der gemeinsamen Wohnung und bringt die Leiche an einen bis heute unbekannten Ort. Erst eine Woche nach dem Verschwinden meldet er Annette Lindemann als vermisst. Er gibt an, dass sie seit dem 2. Juni verschwunden sei.
Dirk L. baute sich ein Parallelleben auf, das ihm letztlich über den Kopf wächst.
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Viele Morde im Ruhrgebiet sind bis heute nicht aufgeklärt. Die Täter konnten nie ermittelt werden. Die Serie ungelöste Kriminalfälle im Ruhrgebiet auf DER WESTEN beleuchtet die Vorkommnisse. Denn auch nach 20 Jahren gilt: Mord verjährt nicht. Jeder Hinweis kann der Polizei noch heute weiterhelfen.
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Essen: Mehr als ein Doppelleben
Auf dem Revier lernt er eine zehn Jahre jüngere Kollegin kennen, sie beginnen ein Romanze. Die Geliebte wird von ihm schwanger. Darauf droht sie, der Ehefrau alles zu erzählen und gegen Dirk L.s Willen reinen Tisch zu machen. Sie möchte Annette Lindemann in Kenntnis setzen über das Doppelleben ihres Mannes. Der weigert sich mit allen Mitteln.
Aussprachen mit seiner Ehefrau lässt er spontan platzen. Den Ermittlern erzählt die Schwangere, dass Dirk L. immer wieder neue Ausreden parat hatte: Vater gestorben, Ehefrau an Krebs erkrankt, er selbst sei eine Treppe hinuntergefallen - alles gelogen. Doch das Lügengeflecht erstreckt sich noch weiter.
Ein geheimes Appartement in der Nähe des Reviers verschluckt zusätzlich Geld, das gemeinsame Haus ist ebenfalls nicht abbezahlt. Die Ermittler vermuten: Endet die Beziehung zu seiner Frau, steht Dirk L. vor dem finanziellen Ruin. Mit jedem weiteren Stein, den die Polizisten umdrehen, entdecken sie einen weiteren Schwindel, die nächste Lüge, ein abenteuerliches Märchen.
Denn Dirk L. führt noch zwei weitere Liebesaffären mit Polizistinnen.
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Annette Lindemanns Auto und Matratze werden gefunden - verbrannt
Damit der Verdacht der Kumpanei erst gar nicht aufkommt, gibt die Polizei Gelsenkirchen die Ermittlungen an die Essener Kollegen ab. Die Mordkommission „Buer“ hat auf 3000 Seiten zusammengetragen, was sie ermitteln konnte.
Vermutlich am 3. Juni werden die Matratzen aus dem gemeinsamen Ehebett verbrannt und später an einer Halde in Gelsenkirchen-Schoven aufgefunden. Zurück bleibt der Knopf einer Jeans, die wahrscheinlich Annette Lindemann gehörte.
Dirk L. hatte bereits für Ersatz gesorgt: Am 31. Mai kauft er zwei neue Matratzen im Dänischen Bettenlager.
Einen weiteren erstaunlichen Fund machen Spaziergänger im Waldgebiet „Haard“ bei Marl. Sie entdecken den ausgebrannten Mercedes „Viano“, den die Vermisste fuhr. Spuren gibt es keine, außer einer Fährte.
Spürhunde führen die Ermittler vom Autowrack zu einem acht Kilometer weit entfernten Haus. Dort wohnt der Vater von Dirk L., sein Sohn war häufiger zu Besuch. Nicht auszuschließen, dass der Verdächtige mit dem Rad zum Haus fuhr, weil er dort sein eigenes Auto abgestellt hatte.
Viereinhalb Jahre nach Annette Lindemanns Verschwinden liefern Zeugen neue Beweise. Bei einer großen Suchaktion durchkämmen 200 Spezialkräfte den Raum rund um den Gelsenkirchener Zoo. Doch erneut finden sie keine belastbaren Beweise - und keine Leiche.
Indizien, aber keine Beweise
All die Verdachtsmomente können Dirk L. nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Es bleibt bei Indizien.
Später steht gar seine schwangere Geliebte unter Verdacht. Sie weist in Vernehmungen erstaunliche Erinnerungslücken auf, verstrickt sie ebenfalls in Widersprüche. Außerdem verschwinden rund 70 Nachrichten von ihrem Handy, die sie zur mutmaßlichen Tatzeit mit Dirk L. austauschte.
Verurteilt worden ist Dirk L. dennoch. Jedoch nicht wegen Mordes, sondern wegen versuchter schwerer Brandstiftung und Besitz von Kinderpornografie. Für zwei Jahre wandert er ins Gefängnis. Für Mord wären mindestens 15 Jahre angefallen.