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Türkeiexperte sagt: „Erdogan hat die Türken im Ruhrgebiet gespalten“ – Wer stimmte für die Verfassungsänderung?

Türkeiexperte sagt: „Erdogan hat die Türken im Ruhrgebiet gespalten“ – Wer stimmte für die Verfassungsänderung?

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Erdogan-Anhänger bejubelten den Ausgang des Referendums auf den Duisburger Straßen. Foto: Stephan Eickershoff / FUNKE Foto Services

Essen. 

Die Auswirkungen des Türkei-Referendums sind schon jetzt bis ins Ruhrgebiet zu spüren.

Vielleicht noch nicht auf politischer Ebene. In der Gesellschaft hat die Frage „Evet oder Hayir?“ (Ja oder Nein?) für viel Wirbel und Streit gesorgt.

Spaltung war schon vorher da

Hat Erdogans Volksbefragung über eine Verfassungsänderung die türkische Gemeinschaft im Revier gespalten?

Nein, sagt Dr. Burak Copur. Der Politikwissenschaftler und Türkeiexperte an der Universität Duisburg-Essen ist sich sicher: Die Spaltung war schon vorher vollzogen.

Welche Deutsch-Türken für „Ja“ stimmten, erklärt Copur im Interview.

Herr Copur, vor dem Türkei-Referendum wurde in Deutschland viel davor gewarnt, dass jede Ja-Stimme die Errichtung einer Diktatur in der Türkei unterstützt. Warum haben trotzdem 75 Prozent der Wähler in Essen für die Verfassungsänderung gestimmt?

Dr. Burak Copur: In vielen Fällen ist der Grund neben der islamisch-konservativen Herkunft dieser Menschen ein mangelndes Verständnis von Demokratie und das Fehlen einer politischen Kultur. Viele von ihnen haben kein Gespür dafür, dass Demokratie nicht nur die Durchführung von Wahlen bedeutet, sondern auch der Schutz von Minderheitenmeinungen. Das Ergebnis der Abstimmung in Deutschland zeigt noch einmal, wie wichtig die Förderung von politischer Bildung ist.

Sind es vor allem bildungsferne Wahlberechtigte gewesen, die für Erdogans Pläne stimmten?

Copur: Ja. Aber nicht alle sind ausgegrenzt und diskriminiert. Auch aus Trotz, Protest und Überzeugung wurde für „Ja“ gestimmt.

Ist ein „Ja“ beim Türkei-Referendum demnach ein Zeichen für mangelnde Integration?

Copur: Das kann man so nicht sagen. Integration findet auf mehreren Ebenen statt. Es ist aber sicherlich ein Zeichen für einen Mangel an identifikatorischer Integration, also einem mangelnden Wir- und Zugehörigkeitsgefühl.

Haben integrierte Türken eher gar nicht gewählt, als mit „Nein“ zu stimmen?

Copur: Wie bei jeder anderen Wahl gab es verschiedenste Motive für Nicht-Wähler, der Urne fernzubleiben. Politikverdrossenheit, Angst, aber auch eine schwächere Verbundenheit mit dem Heimatland zählen sicherlich zu den Motiven von Nicht-Wählern.

Gibt es durch das Referendum die Gefahr einer Spaltung der türkischen Gemeinschaft in Deutschland?

Copur: Diese Spaltung ist schon längst Realität. Präsident Erdogan instrumentalisiert seine Anhänger und drängt sie in eine Opferrolle. Dadurch spaltet er die Türkeistämmigen und treibt einen Keil zwischen sie. Durch das Referendum ist diese Spaltung in Ja- und Nein-Sager noch verstärkt worden.

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