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Neonazi-Aussteiger packt aus: So tickt die rechtsextreme Szene im Ruhrpott

Neonazi-Aussteiger packt aus: So tickt die rechtsextreme Szene im Ruhrpott

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Mein Aktivismus und Aktionismus lag im militanten Straßenkampf Foto: dpa/Symbolbild

Manuel* ist 13 Jahre alt, als er das erste Mal mit Rechtsextremen in Kontakt kommt. Damals besucht er mit einem Schulfreund Bundesligaspiele eines Ruhrpott-Vereins. Welcher, das will er nicht sagen.

Denn Manuel (37) ist Neonazi-Aussteiger. Er ist ein stiller Aussteiger, der sich langsam von der Szene distanziert und so nach 15 Jahren den Absprung geschafft hat. Die einstigen Kollegen wissen nicht, dass er nicht mehr dazugehört.

Neonazi-Aussteiger aus dem Ruhrgebiet packt aus: So bin ich in die rechte Szene geraten

Als Manuel 13 ist, kann er noch nicht viel mit der politischen Einstellung der rechtsextremen Gruppe im Stadion anfangen. Aber martialisches und militantes Auftreten faszinieren ihn.

Zwei Jahre später kommt ein neuer Mitschüler in seine Klasse. Der ist in der rechtsextremistischen Skinhead-Szene aktiv, ihre gemeinsame Leidenschaft für die Böhsen Onkelz lässt die beiden Freunde werden.

„Wenig später gab er mir bespielte Musikkassetten mit Musik von rechtsextremistischen Szene-Bands wie Landser, Radikahl oder Stahlgewitter. In den Liedtexten dieser Bands erkannte ich eine scheinbare Wahrheit“, erzählt der Aussteiger.

Kameradschaftsabend Einstieg in die Szene

Manuel wächst in einer Ruhrgebietsstadt in NRW auf, die wie er selbst sagt, sehr stark von der Arbeitsmigration geprägt ist. Die von ihm negativ empfundenen sozioökonomischen Veränderungen gepaart mit den Liedtexten der rechten Szene-Bands – darin sieht er eine Aufforderung für selbstständiges politisches Handeln.

Er sucht den Kontakt zu Mitgliedern eines rechtsextremen Fußball-Fanclubs – eine Einladung zu einem Kameradschaftsabend bedeutete für ihn die Eintrittskarte in die rechtsextremistische Szene.

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In einer Partei war er nie. Er sei ein Mann der Straße gewesen. „Mein Aktivismus und Aktionismus lag im militanten Straßenkampf“, erzählt er. Der Aussteiger gehörte zu den Autonomen Nationalisten. Sein Credo: Man muss den politischen Kampf auf der Straße austragen, nicht mit Redebeiträgen im Parlament.

Dazu gehören Demos, Flugblattverteilungen und Störaktionen – etwa von politischen Gegnern oder Veranstaltungen jüdischer Gemeinden. Die freien Kräfte sind von ihrem Erscheinungsbild seit ihrem Aufkommen Anfang der 2000er kaum noch vom normalen Bürger zu unterscheiden. Vorbei die Zeiten vom glatzköpfigen Skinhead. Turnschuhe statt Springerstiefel – so kommt die politische Propaganda einfacher in der Fußgängerzone an den Bürger, erklärt Manuel.

„Ausländer als Werkzeug der internationalen Hochfinanz“

Die Ansichten sind mitunter noch radikaler geworden. Das größte Feindbild ist und bleibt das klassische Feindbild aus dem Nationalsozialismus – die internationale Hochfinanz geführt vom internationalen Judentum.

„Deren Hauptzentrale soll angeblich an der Ostküste in den USA liegen“, erklärt Manuel. „Ausländer wurden zu meiner Zeit als Werkzeug der internationalen Hochfinanz angesehen. Die nur von der Hochfinanz missbraucht werden, um das deutsche Volk kulturell und biologisch zu unterwandern“, erklärt Manuel.

Palästinenser auf Kameradschaftsabend

Dennoch sei es schon mal vorgekommen, dass ein Palästinenser bei einem Kameradschaftsabend referierte. Nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Auch Döner oder Fast-Food aus Amerika sei in der Szene keineswegs verpönt gewesen.

Manuel erklärt dazu: „Es soll nicht heißen, dass es in der rechtsextremistischen Szene keinen rassistischen Dogmatismus mehr gibt. Aber man versucht sich dem derzeitigen Zeitgeist anzupassen und sucht nach Verbündeten im Kampf gegen das internationale Judentum.“

Subtiler Kampf gegen politische Gegner

„Der Kampf gegen politische Gegner wurde von uns subtil geführt“, erklärt er. Erst Einschüchterung durch rechte Propaganda in der Wohngegend des politischen Gegners, dann Vandalismus und im letzten Schritt auch körperliche Angriffe auf politische Gegner.

15 Jahre war Manuel in der rechten Szene aktiv, irgendwann stellte er einen „ideologischen Verschleiß“ fest. Statt dem Erhalt der Hochkultur, der im Neo-Nationalsozialismus gepredigt wird, nahm er Barbarei wahr. Diebstahl unter Kameraden, Untreue gegenüber der eigenen Frau oder Drogenmissbrauch passten nicht zu den geforderten Werten wie Treue, Ehrlichkeit und Opferbereitschaft.

Hinzu kam ein Berufswechsel, der für ihn zunehmend für Distanz zur Gruppe sorgte. „Das führte bei mir zu einem geistlich reflektierten Diskurs. Ich gewann immer mehr die Einsicht, dass nicht das bestehende politische System zur Barbarei führt, sondern die von mir und der Gruppe gepredigte Ideologie.“

Ausstieg mit EXIT

Manuel wendet sich an die Organisation EXIT Deutschland, die Neonazis beim Ausstieg aus der Szene hilft. Gemeinsam mit den Verantwortlichen entwarf er eine Ausstiegsstrategie. Einer der Ausstiegshelfer bei der 2000 von einem Polizisten und einem ehemaligen Neonazi gegründeten Organisation ist Fabian Wichmann.

Die Fälle der betreuten Aussteiger seien sehr individuell, sagt er: „Vom aktuellen Kameraden, der aussteigen will, bis zu jemandem, der schon seit zehn Jahren raus ist, aber jetzt mit einem Problem konfrontiert ist.“ Meist reichen Anpassungen im Sozialraum, so Wichmann. Doch manchmal seien auch Orts- oder gar Identitätswechsel nötig.

Drei bis vier Jahre werden die Neonazi-Aussteiger in der Regel betreut.

Sicheres Umfeld wichtig

„Wichtig nach einem Ausstieg ist, dass der Aussteiger in den Besitz eines sicheren Umfeldes kommt. Da er es selbst vermeiden muss, nicht in ein mentales Loch zu fallen“. Das weiß auch Manuel.

Angst vor Rache der alten Kollegen hat er nicht. „Nach Jahren in der Szene weiß man selbst am besten, welche öffentlichen Orte, Veranstaltungen, Medienportale man in Zukunft meiden sollte“, sagt Manuel. Doch vor dem Zufall, das weiß auch er, ist niemand gefeit.

*Name von Redaktion geändert

Dieser Artikel erschien zuerst im Oktober 2018 auf DER WESTEN.