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Clan-Kriminalität: Wie die „Unentspannten“ sich den Respekt der Straße zurückerobern

Clan-Kriminalität: Wie die „Unentspannten“ sich den Respekt der Straße zurückerobern

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Foto: dpa

Duisburg. 

Es ist ein physikalisches Gesetz, das sich auf sämtliche Lebenslagen übertragen lässt: Auf Aktion folgt Reaktion.

Seit Jahren bauen einzelne Mitglieder von Libanesen-Clans im Ruhrgebiet kriminelle Netzwerke auf. Jetzt reagieren die Sicherheitsbehörden mit einer klaren Strategie: „Null-Toleranz-Strategie“ nennt die Polizei das. NRW-Innenminister Herbert Reul spricht immer wieder von einer „Politik der 1000 Nadelstiche“.

Clan-Kriminalität: Fast wöchentlich gibt es Razzien

Regelmäßig, fast wöchentlich, gibt es Razzien gegen die kriminellen Araber-Clans: Man will die Gangster zermürben, ihre Geldquellen trockenlegen – und dabei so viel wie möglich über die Strukturen der Clans erfahren.

+++ Kriminelle Clans bedrohen immer öfter Polizisten: „Plötzlich stehen drei Leute vor deiner Haustür“ +++

Erste Erfolge gibt es nach Auskunft der Polizei bereits. In Duisburg und inzwischen auch in Essen bearbeiten zwei Sonder-Staatsanwälte ausschließlich Fälle von Clan-Kriminalität, die Behörden arbeiten Hand in Hand zusammen, auch in Dortmund: Man setzt auf konsequentes Auftreten und hohe Effizienz.

Kriminelle Clans werden aggressiver

Jetzt reagieren ihrerseits die Clans. Die kriminellen Clanmitglieder werden immer aggressiver gegenüber Polizisten. Als hätte man in ein Wespennest gestochen.

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Bei einer Polizeiaktion in einer Shishabar am Kopstadtplatz etwa wurde eine Polizistin regelrecht zusammengetreten. In jüngster Zeit werden Beamte ganz gezielt bedroht – auf perfide Weise. „Da stehen dann plötzlich drei Leute vor Ihrer Haustür und sagen: ‚Schönen Feierabend. Hoffentlich bleibst du gesund.‘ Das ist dann nicht besonders angenehm, auch gerade für jüngere Kolleginnen und Kollegen“, sagte Essens Polizeipräsident Frank Richter jüngst bei einem Symposium zum Themenkomplex in Essen.

Man werde Einschüchterungsversuche aber nicht tolerieren und die Kollegen mit allen Mitteln schützen.

Razzien gegen Clans: „Die Unentspannten“

In Duisburg kennt man diese Art von Respektlosigkeit gegenüber der Polizei auch – als Phänomen der Vergangenheit. Zumindest sei das Problem in den letzten Jahren kleiner geworden, so Duisburgs Polizeipräsidentin Elke Bartels bei einem Pressetermin in Düsseldorf.

Seit 2015 gibt es in Duisburg das „Projekt Triangel“. In sogenannten Brennpunkten, wie etwa Duisburg-Marxloh, werden seitdem die Polizeikräfte deutlich verstärkt. Regelmäßig gehen Einsatztrupps in den Straßen auf Streife. „In den Hotspots hat der Staat ganz klar die Oberhand“, so Bartels. „Die Hundertschaften werden von der Szene-Klientel auch ‚Die Unentspannten‘ genannt.“

Kritiker: Aktionismus ohne Ergebnis

Die repressiven Maßnahmen der Behörden gegen die kriminellen Clans im Ruhrgebiet zeigen offenbar Wirkung. 258 Ermittlungsverfahren haben die beiden Staatsanwälte „vor Ort“ in Duisburg gegen Clankriminalität eingeleitet.

Hier ein Auszug aus der Bilanz:

Körperverletzung 30
Diebstahl und Unterschlagung 27
Betrug 31
Drogenkriminalität 39
Geldwäsche 6
Verstöße gegen das Waffengesetz, Raub, Urkundenfälschung u.a. 111

Verurteilungen gab es bislang indes noch nicht. Kritiker halten den Behörden vor, reinen Aktionismus ohne konkrete Ergebnisse zu betreiben.

Der Duisburger Oberstaatsanwalt Stefan Müller versichert dagegen: „Im laufenden Jahr wird es die ersten Urteile geben.“ Und die Behörden betonen immer wieder: Es gehe darum, Strukturen zu erkennen und die Clans immer wieder zu stören. „Das ist ein langfristiges Projekt, ein Marathonlauf, der so lange weitergeht, bis die kriminellen Strukturen zerschlagen sind“, sagte NRW-Justizminister Peter Biesenbach.

Repression und Prävention im Kampf gegen Clan-Kriminalität

Um langfristig Erfolge zu erzielen, müssen die Behörden allerdings auch an Präventionsmaßnahmen arbeiten, Clanmitgliedern Alternativen aufzeigen. Denn: „Das Clan-Leben ist keine bewusste Entscheidung, man wird in diese Strukturen hineingeboren und entsprechend sozialisiert“, so Biesenbach.

Bislang ist die Prävention zu kurz gekommen, wie NRW-Innenminister Herbert Reul jüngst einräumte. Man arbeite aber intensiv an Ideen. „Wichtig ist, gerade den jungen Leuten und auch den Frauen zu zeigen,dass es Alternativen zum kriminellen Clan-Leben gibt, das ja ein sehr unsicheres Leben ist“, so Reul.

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Keine leichte Angelegenheit, wie Justizminister Peter Biesenbach erklärt. „Wenn man einem jungen Clanmitglied sagt: ‚Wir haben eine Ausbildungsstelle für dich, 1800 Euro kannst du da verdienen‘, dann sagt der junge Mann vielleicht: ‚Ne, danke, so viel mach ich an einem Tag‘.“

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Woher kommen die Clans?

  • Wenn die Rede von kriminellen Araber-Clans ist, sind meist Mitglieder von Großfamilien mit türkisch-arabischen Wurzeln gemeint. In Deutschland gehören nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 200.000 Menschen zu solchen Großfamilien.
  • Die meisten von ihnen sind nicht kriminell. Manche aber haben sich zu mafiösen Gruppierungen zusammengeschlossen, nutzen familiäre Strukturen für kriminelle Geschäfte.
  • Sie leben häufig in einer abgeschottenen Parallelwelt, erkennen staatliche Strukturen nicht an. Straftaten werden zu internen Probleme erklärt, die innerhalb der Familien von sogenannten Friedensrichtern geregelt werden.

Mhallami kamen aus der Türkei

  • Das wesentlichste Kriterium der Zugehörigkeit des Einzelnen zum Clan ist die tatsächliche familiäre Verwandtschaft. Viele stammen ursprünglich aus dem Libanon, aus Syrien, dem Irak oder der Türkei. Vor allem im Ruhrgebiet wird häufig von Libanesen-Clans gesprochen. Gemeint sind dann kriminelle Mitglieder von Familien, die ursprünglich aus der Türkei und aus Syrien stammen. Sie gehören zu den sogenannten Mhallami, einer arabischstämmigen Volksgruppe.
  • Viele von ihnen wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben und siedelten sich im Libanon an – oft fehlten ihnen die Mittel für Pässe und eine Einbürgerung. Als dort Bürgerkrieg ausbrach (1975 bis 1990), flohen viele der Familien nach Deutschland.

Clans in NRW: Viele Familienmitglieder haben nur einen Duldungsstatus

  • Sie kamen über Ost-Berlin in den Westen, beantragten Asyl und wurden auf verschiedene Bundesländern verteilt – vor allem nach Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen. Hier gab es einen Abschiebestopp, sie erhielten als Staatenlose direkt eine Duldung und blieben im Land. Bei nicht wenigen blieb der Duldungsstatus bestehen, über Generationen.
  • Menschen mit Duldungstatus haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer: Eine selbständige Tätigkeit ist ihnen untersagt, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ist nur auf Antrag und nach Zustimmung durch die Ausländerbehörde möglich. Manche Experten sehen hierin eine mögliche Ursache dafür, dass sich aus der Perspektivlosigkeit heraus kriminelle Netzwerke innerhalb der Familien gebildet haben.