Jahresrückblick 2012 — Dortmunds Kampf gegen Rechts
Jahresrückblick 2012 — Dortmunds Kampf gegen Rechts
Anton Kurenbach
Wir haben die wichtigsten Ereignisse rund um das Thema "Rechtsextremismus in Dortmund" zusammengefasst.
Foto: WAZ FotoPool
Verbotene Nazi-Demo, Verbot des Nationalen Widerstands Dortmund und die Gründung der Partei "Die Rechte" — in Sachen Rechtsextremismus ist 2012 in Dortmund so einiges passiert. Wir haben die wichtigsten Ereignisse chronologisch zusammengefasst.
Januar
Dortmund.
SONDERKOMMISSION GEGEN RECHTS Dortmunds neuer Polizeipräsident Norbert Wesseler tritt seinen Dienst an — und verkündet bereits an seinem ersten Arbeitstag die Gründung einer Sonderkommission gegen Nazis. Unter dem Motto "Kein Raum für Rechtsextreme" sollen Staatsschutz und andere Behörden gezielter gegen Rechts vorgehen. Noch vor Monatsende wird die 50-köpfige Kommission vorgestellt. Auch die Arbeitsweise ändert sich: So werden alle Straftaten eines Rechtsextremen in dieser Kommission gesammelt, auch wenn er "nur" Ordnungswidrigkeiten begangen hat. Zudem soll die Polizei mehr Präsenz an Orten zeigen, die von Rechtsextremen frequentiert werden.
NSU-OPFER KRITISIEREN POLIZEI Die Polizei steht in der Kritik. Die Angehörigen von Opfern der NSU-Morde werfen den Beamten bei einem Gedenken schwere Versäumnisse vor. Die Beamten hätten auch bei der Ermordung des Dortmunders Mehmet Kubasik zunächst die Verwandten verdächtigt oder den Opfern sogar Nähe zum kriminellen Milieu unterstellt.
STADT IN DER KRITIK Auch die Stadt muss sich rechtfertigen - für ein 300.000 Euro teures Projekt, mit dem 30 junge Neonazis vom Weg nach rechts abgebracht werden sollten.
SEX-TÄTER FÜRCHTET NAZI-GEWALT Die Nazis sind zwischenzeitlich nicht untätig: Vor dem Haus eines vorzeitig aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Sexualstraftäters marschieren etwa 30 rechte Demonstranten auf und fordern "Todesstrafe für Kinderschänder." Der Mann, der zu diesem Zeitpunkt wegen eines weiteren Übergriffs vor Gericht steht, erzählt, dass er aus Angst vor den Nazis wieder zurück ins Gefängnis wollte — und deswegen das Mädchen missbraucht habe.
MÄRZ/APRIL — Friedlicher Protest bei Nazi-Demo
März
NAZIS SAGEN MAI-DEMO AB Die Nationalsozialisten sagen zwar ihren Aufmarsch am 1. Mai ab, nicht aber die größere Demonstration am 31. März. Die Rechten wollen damit gegen die Kündigung ihres Treffpunktes an der Rheinischen Straße protestieren. Doch Bürger und Stadt formieren sich zum Gegenprotest: So stellen Nazi-Gegner schon mal bunte Umzugskartons vor das Haus. Der Aufmarsch selbst verläuft weitgehend friedlich. Bürger und Linke demonstrieren in Sicht- und Hörweite der etwa 380 Rechten.Zwischenzeitlich brechen einige Nazis aus ihrem Demonstrationszug aus und attackieren Gegendemonstranten - die Polizei hat die Situation aber schnell wieder unter Kontrolle.
GEDENKEN AN NSU-OPFER Im Vordergrund steht in diesem Monat das Gedenken an die Opfer der NSU-Mordserie. Bei der traditionellen Gedenkfeier an Karfreitag in der Bittermark für Opfer des Nationalsozialismus spricht in diesem Jahr Gamze Kubasik, die Tochter des Dortmunder Mordopfers. Die 26-Jährige erzählt in unserem Interview von der langen Zeit der Ungewissheit - und findet bei der Gedenkfeier bewegende Worte: "Kein Mensch darf mehr so sinnlos sterben, keiner mehr so leiden wie wir es tun."
NAZIS UNTERWANDERN SPORTVEREINE Der Dortmunder Stadtsportbund (SSD) schildert, wie es einem der führenden Rechten, dem Neonazi Dennis G., beinahe gelang, in einem Badmintonverein unterzukommen. Er wird durch Zufall erkannt, erhält Hausverbot - und hat so keine Gelegenheit, die Jugendlichen des Vereins zu beeinflussen. Dennis G. ist ein mutmaßlicher Rädelsführer bei einen Überfall auf die Maikundgebung vor drei Jahren, die nun auch vor Gericht verhandelt wird.
NAZI-SZENE STAGNIERT Der jahrelange Widerstand gegen die Rechten zeigt Ergebnisse: Laut einer neuen Studie stagniert die Nazi-Szene in Dortmund bereits seit 2009. Einen Grund zur Entwarnung liefert die Studie allerdings nicht, im Gegenteil: Sie mahnt, dass die Rechten auch zukünftig eine große Bedrohung darstellen.
INNENMINISTER VERBIETET KAMERADSCHAFT Als Indiz für das, was im August kommen wird, verbietet Innenminister Ralf Jäger die rechtsradikale "Kameradschaft Walter Spangenberg" um den Neonazi Axel Reiz. Auch in Dortmund gab es Mitglieder.
NAZI WOLLTE TERRORGRUPPE GRÜNDEN Recherchen der WAZ-Gruppe ergeben, dass der Neonazi Marco G. in Dortmund eine rechte Terror-Gruppe gründen wollte. Er soll Waffen beschafft und mit der Gruppe für den Kampf trainiert haben. Zudem organisierte Marco G. mit seiner Neonazi-Band "Weiße Wölfe" Konzerte für die Finanzierung seiner Gruppe. Nur durch "Glück" kommt es nicht zum Ernstfall: Nach einem misslungenen Waffenkauf zerstritt sich die Gruppe untereinander.
KLAGE GEGEN NPD-PLAKAT "Dürtmynd — Türkische Exklave. Wenn Sie nicht wollen, dass es so weit kommt, dann wählen Sie NPD." Mit diesem Text betreibt die NPD Wahlkampf vor der Kommunalwahl in Dortmund. Ein Bürger erstattet Anzeige wegen Volksverhetzung.
SVEN K. KOMMT FREI Neonazi Sven K. ist wegen Totschlages am Punker "Schmuddel" vorbestraft und sitzt erneut wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht. Dennoch entlässt ihn der Richter vorzeitig aus der U-Haft. Die Begründung: Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Die Staatsanwaltschaft und ein Opferverein empören sich gegen die Entscheidung.
DEMO GEGEN NPD-WAHLKAMPF Die Dortmunder Bürger setzen erneut ein Zeichen gegen Rechts: Bei einer Wahlkampfveranstaltung der NPD am Nordmarkt werden die Rechten ausgebuht. Trillerpfeifen übertönen die Redner.
"NATIONALER WIDERSTAND" NACH RAZZIA VERBOTEN Mitten in diesem Streit lässt die Polizei eine Bombe platzen: Sie durchsucht NRW-weit die Wohnungen von Rechtsextremen in einer groß angelegten Razzia. Sie findet neben NPD-Wahlplakaten auch Waffen. Die Durchsuchungen stehen im Zusammenhang mit dem Verbot von drei großen Nazi-Organisationen durch Innenminister Jäger, darunter auch der "Nationale Widerstand Dotrmund" der Autonomen Nationalisten in Dortmund.
NAZIDEMO AM 1. SEPTEMBER VERBOTEN Die Polizei verbietet die geplante Demonstration 1. September — und hat damit vor Gericht Erfolg. Grund: Mitglieder des eben verbotenen Nationalen Widerstandes treten als Anmelder der Demo auf. Zwar wird befürchtet, dass die Nazis trotz des Demonstrationsverbotes aufmarschieren, dennoch erfreut das Verbot Stadt und Bürger.
SEPTEMBER/OKTOBER — Nazi-Probleme beim BVB
September
KEINE NAZIDEMO AM ANTIKRIEGSTAG Zum ersten Mal seit Jahren findet um den Antikriegstag, den ersten Samstag im September, keine Nazidemo statt. Denn die Rechten halten sich gezwungenermaßen an das Verbot - auch wenn eine kleine Gruppe nach Bonn ausweicht. Die Dortmunder Bürger gehen trotzdem auf die Straße als Signal gegen Rechtsextremismus. Die Nazis klagen gegen das Verbot des Nationalen Widerstandes - und gründen den Landesverband der Partei "Die Rechte".
RECHTES BANNER BEI BVB-SPIEL Währenddessen muss der BVB erkennen, dass auch in seiner Fanszene Rechtsradikale agieren. Bei einem Spiel im August hat ein Fan ein Banner entrollt, auf dem Sympathie mit dem Nationalen Widerstand bekundet wird. Die Ultras berichten von Einschüchterungsversuchen und brutalen Überfällen seitens der von Rechten unterwanderten Fangruppierungen "Desperados" und "Northside".
GEDENKTAFEL FÜR NSU-OPFER Für NSU-Opfer Mehmet Kubasik wird eine Gedenktafel an dem Gebäude in der Nordstadt angebracht, vor dem der Deutschtürke im April 2006 ermordet wurde. Die Patenschaft dafür übernimmt die Bezirksvertretung Nord.
Oktober
BVB ERTEILT STADIONVERBOTE Der BVB zieht Konsequenzen aus der Banner-Affäre: Acht Neonazis, die dem jetzt verbotenen Nationalen Widerstand angehörten, wird Stadionverbot erteilt.
PROZESS UM SVEN K. Währenddessen geht der Prozess um Neonazi Sven K. in die nächste Runde. Ein Bewährungshelfer erklärt, Sven K. habe nie über seine Straftaten gesprochen. Zudem habe K. sein Anti-Aggressionstraining nie angetreten. Der Rechtsanwalt der Opfer fordert sogar, den Innenminister als Zeugen einzuladen. Dieser habe schließlich Zugriff das vollständige Material über Sven K. und könne daher dessen Gesinnung bewerten.
KRITIK AN FREIWILD-KONZERT Kritik wird zum Monatsende wegen eines Konzertes in den Westfalenhallen laut: Dort soll die Band Frei.Wild auftreten, die ähnlich wie früher die Böhsen Onkelz früher auch rechte und völkische Texte im Repertoire hatte. Die Politik ist entsetzt — und wirft den Veranstaltern vor, mit dem Konzert die Bemühungen im Kampf gegen Rechts zu untergraben.
NOVEMBER/DEZEMBER — "Die Rechte" gründet sich
November
"DIE RECHTE" GRÜNDET SICH Nicht einmal drei Monate hat es gedauert, schon hat sich die rechte Szene in Dortmund neu formiert. Als Partei "Die Rechte" sammeln sich die Neonazis erneut und kündigen eine Demo am 1. Mai 2013 an. Unter Vortäuschung falscher Tatsachen nistet sich der Kreisverband der Partei in einem Ladenlokal mitten in Huckarde ein.
HUCKARDE KÄMPFT GEGEN RECHTS Der Stadtteil reagiert: Man will an die Erfahrungen aus Dorstfeld anknüpfen und plant daher ebenfalls einen Runden Tisch. Auch OB Ullrich Sierau befürwortet den Huckarder Kampf gegen Rechts. Er glaubt, dass die Nazis dort keinen Erfolg haben werden - um gleich anzufügen: "Man muss trotzdem sensibel und wachsam bleiben!"
ZWANGSARBEITER BEKOMMEN NAMEN Daneben wird der Opfer des Dritten Reiches gedacht: Auf dem Friedhof Derne erhalten elf Gräber russischer Zwangsarbeiter, die 1942 bis 1943 ums Leben kamen, erstmals Holzkreuze, auf denen die Namen vermerkt sind.
PROZESS UM SVEN K. Im Fall Sven K. gibt es eine Neuigkeit: Das Landgericht muss nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft und der Entscheidung durch das OLG Hamm die frühzeitige Entlassung aus der Untersuchungshaft erneut prüfen.
Dezember
NAZIS DEMONSTRIEREN VOR POLITIKER-WOHNUNGEN Die Rechtsextremen versuchen, Politiker einzuschüchtern. Sie melden Kundgebungen vor den Wohnhäusern von OB Ullrich Sierau, Integrationsminister Guntram Schneider und der stellvertretenden Landesvorsitzenden der Grünen Daniela Schneckenburger an. Die Polizei muss die Kundgebungen zwar erlauben, tut dies aber nur unter strikten Auflagen. So dürfen die Nazis nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnungen demonstrieren. Lautsprecherwagen sind verboten. Die Demonstrationen laufen beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit ab.
RECHTE ORDNER BEIM BVB Der BVB kommt nicht zur Ruhe. Unter den Stadion-Ordnern des Fußballvereins sollen Rechtsextreme sein. Der Verein widerspricht - und verweist auf seine Maßnahmen gegen Nazis. So sei neben den Stadionverboten für die Mitglieder des Nationalen Widerstands auch die Stadionordnung entsprechend geändert worden.
SVEN K. WIEDER IN HAFT Neonazi Sven K. muss zum Jahresende erneut hinter Gitter. Die Dortmunder Richter haben bei erneuter Untersuchung des Falls entschieden, dass die Wiederholungsgefahr nun doch gegeben ist.