Empörung über Freilassung von Neonazi Sven K.
Der Dortmunder Neonazi Sven K. wurde aus der U-Haft entlassen.
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Nach der vorzeitigen Entlassung des wegen Totschlags vorbestraften Neonazi Sven K. aus der U-Haft gibt es heftige Proteste. Der Richter begründete seine Entscheidung mit der nicht vorhandenen Wiederholungsgefahr. Opferverband und Staatsanwaltschaft sind in Rage.
Dortmund. Die Entscheidung, den wegen Totschlags vorbestraften Dortmunder Neonazi Sven K. aus der U-Haft zu entlassen , sorgt für große Empörung. Das Landgericht Dortmund begründete die Maßnahme mit einer nicht mehr vorhandenen Flucht- und Wiederholungsgefahr. K. muss sich seit Mai wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht verantworten .
Die Staatsanwaltschaft Dortmund reagiert mit Unverständnis auf die nach Richtermeinung nicht vorhandene Wiederholungsgefahr: Der heute 25-Jährige Sven K. hatte 2005 den Punker „Schmuddel“ erstochen und saß dafür fast fünf Jahre im Gefängnis. Nur ein Jahr nach seiner Freilassung hatte er zwei türkischstämmige Jugendliche auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt halbtot geprügelt . „Wir halten die Freilassung für die falsche Entscheidung“, teilte die zuständige Staatsanwaltschaft mit und legte Beschwerde ein.
Beratungsstelle: Gericht vernachlässt Opferschutz
Die Opfer werden noch heute von der Dortmunder Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, Back up, betreut. Ein Sprecher reagierte empört auf die Entscheidung vom Freitag: „Aus Sicht der Opfer ist die Freilassung ein unerhörter Vorgang, der zweifelsfrei eine Bedrohung für sie darstellt.“ Man vermisse den Opferschutz, den das Gericht sträflich vernachlässige.
Januar 2011: Ein Dortmunder Neonazi musste Anfang des Jahres eine hohe Strafe für ein gesungenes, verbotenes Lied zahlen. Das Dortmunder Gericht kam zu dem Urteil, dass der Angeklagte am 6. September 2008 auf einer Demo an der Straße Am Bertoldshof in Körne das Horst-Wessel-Lied gesungen habe. Der 26-Jährige musste nun 1040 Euro Strafe zahlen.
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Februar 2011: Eine Große Anfrage der Linken im Landtag NRW gab auch über die Dortmunder Szene Auskünfte. Die Zahl der in Dortmund aktiven Autonomen Nationalisten wurde mit 30 angegeben. Das treffe, so die Linke, vielleicht schon allein auf Dorstfeld zu. Allein die Überfälle auf die Hirsch-Q hätten gezeigt, dass die Zahl weitaus größer sein müsse.
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Februar/März: 3. Frühjahrsputz des Bündnisses gegen Rechts in Dorstfeld und Umgebung. Es wurden...
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...erste „Antikriegstag-Aufkleber“ etwa am „Blauen Haus“ und an einer Ampel...
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...gegenüber des ehemaligen Nazi-Treffs „Donnerschlag“ entfernt.
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Ostern 2011: Die rechtsradikale "Borussenfront" wollte am Karfreitag in einem städtischen Haus (Rheinische Straße 135) feiern, aus dem heraus ein rechter Internethandel betrieben wird. Die Immobilie gehört seit Anfang 2011 der Stadt. Der Verwaltung dürfte die kritische Nutzung des Ladenlokals bekannt sein, so Kerstin Wiedemann, Sprecherin der Antifaschistischen Union Dortmunds. Die Borussenfront...
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...war in den 1980er-Jahren eine Hooligangruppe, die sich außerhalb des Stadions prügelte. Die Stadt hatte keine Erkenntnisse über die geplante Karfreitagsparty.
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Wie jedes Jahr am Karfreitag wurde in Dortmund der Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gedacht. Am 22.04.2011 fanden sich bei der 51. Veranstaltung mehere hundert Menschen auf der Wiese vor dem Mahnmal zu einer Gedenkfeier ein.Schon zu Jahresbeginn hatten sich der Förderverein "Gedenkstätte Steinwache" und das "Internationale Rombergpark-Komitee" zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen die rechte Szene vorzugehen.
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Juli 2011: Eine Gruppe von Antifaschisten ist in Wellinghofen von Neo-Nazis angegriffen worden. Nach Angaben der Opfer stürmten vier vermummte Rechte aus einem Bulli heraus. Mit Baseballschlägern und großen Messern. "Wir bringen euch um!", sollen sie gerufen haben.
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5. Juni 2011: Das Antifa-Bündnis übt Kritik an der Dortmunder Staatsanwaltschaft. Die Behörde würde wegen des Überfalls auf die Hirsch-Q unzureichend ermitteln. Oberstaatsanwältin Ina Holznagel widerspricht. Man führe die Ermittlungen allerdings so, dass sie auch zum Beweis führen „Wir müssen Richter überzeugen können.“
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Ein Samstag Mitte Juni: Personen der rechten Sszene beleidigten in der U-Bahn-Linie U44 ausländische Frauen. Zirka 10 Personen bedrängten die Frauen.
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August 2011: Ein 24-jähriger Mann wurde im Kreuzviertel von einem Unbekannten zusammengeschlagen. Als er auf dem Boden lag, traten ein oder mehrere Personen auf ihn ein. Ein T-Shirt des Dortmunders hatte eine antifaschischste Parole.
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Anschläge und Überfälle von Neonazis häuften sich im Vorfeld der Demo am 3. September. Einem Mitglied der Piratenpartei wurden die Reifen zerstochen. Auf dem Wagen wurde ein Hakenkreuz geschmiert und der Schriftzug „NW DO“ (Nationaler Widerstand). Der betroffene Politiker kritisierte Polizeipräsident Hans Schulze, der immer wieder behaupte, Dortmund habe kein Nazi-Problem.
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Die Polizei spricht von linken Demonstranten, die sie mit Pfefferspray angegriffen hätten.
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Linken-Politiker Ralf Michalowsky sprach hingegen „von einem friedlichen, aber lautstarken Protest“ im linken Lager.
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Im Dortmunder Polizeipräsidium wurde eine achtköpfige Ermittlungskommission „Antikriegstag“ gegründet, um die Vorkommnisse aufzukären.
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November 2011: Nach einem brutalen Übergriff auf Jugendliche türkischer Herkunft auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt, an dem auch der Dortmunder Neonazi Sven K. beteiligt gewesen sein soll, nahm die Polizei die beiden anderen Hauptverdächtigen fest. Sie sollen zur Skinhead-Front Dorstefeld gehören.
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Außerdem erging ein Haftbefehl gegen Sven K. Der hatte 2005 mit einem Messer in der U-Bahn-Haltestelle Kampstraße den Punker Thomas „Schmuddel“ Schulz erstochen. Das Landgericht 2005 hatte ihn zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt, aus der er vorzeitig im September 2010 entlassen worden war.
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November/Dezember 2011: Auf Basis der Analyse des Professors Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld ist der "Aktionsplan gegen Rechts" im November vom Rat verabschiedet worden.Eine Opferberatung nimmt 2012 ihre Arbeit auf. Es ist eine aufsuchende Opferberatung; die Mitarbeiterin wird überall dort hingehen, wo Menschen Opfer der Neonazis geworden sind. Kontakt zu "Back Up": 0172/1045432 oder via E-Mail unter contact@back-up-nrw.org.
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Rolf Wagemann vom Weißen Ring in Dortmund sprach hingegen von „einer bitteren Pille“, die man in einem Rechtsstaat schlucken müsse. Die Stadt Dortmund, die zuletzt vehement gegen Neonazis mobil machte, wolle „keine Richterschelte“ begehen, sondern das Verfahren abwarten. Man sei aber „sehr erschrocken“ über die Freilassung, sagte ein Sprecher.
Keine Wiederholungstat
Roland Büchel, Sprecher des Landgerichtes Dortmund, sprach von einer „sehr, sehr anspruchsvollen, aber nachvollziehbaren Entscheidung“. So sei Wiederholungsgefahr nur gegeben, wenn die Tat wiederholt in der Vita des Angeklagten auftauche. Der Totschlag aus dem Jahr 2005 sei, so perfide das auch klingen mag, eben keine schwere Körperverletzung. Handlungsspielraum hätten die Richter in diesen Fällen nicht: „Sie dürfen nicht dem Gedanken folgen: Der Gesetzgeber hat dies sicher anders gemeint.“ Rechtsexperten gehen von einer Lücke im Gesetz aus.
Pikant: Schon im Herbst 2010 wurde Sven K., der als Jugendlicher mehrfach als Schläger auffiel und als Leitwolf der Neonazi-Szene gilt, vorzeitig aus der Haft entlassen. Ein Gutachter hatte damals geschrieben, neue Taten seien nicht zu erwarten.