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Im Herbst trennt sich bei Läufern die Spreu vom Weizen

Im Herbst trennt sich bei Läufern die Spreu vom Weizen

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Der Dortmunder Rombergpark im Herbst. Foto: Stefan Reinke
Nichts hält unseren Laufblogger auf. Er trotzt dem Regen und dem Sturm. Denn wer das Herbstwetter übersteht, der kommt auch durch den Winter.

Dortmund. 

Unablässig trommelt der Regen ans Fenster, während ich auf der Arbeit sitze und mit bangen Ahnungen an die abendliche Trainingseinheit denke. Zum Regen gesellen sich Windböen, es wird so richtig ungemütlich. Bestes Wetter, um mit einem Friesentee und einer Waffel mit heißen Kirschen das Leben zu genießen – drinnen.

Aber ich will ja laufen und bin außerdem mit meiner neuen Trainingspartnerin verabredet. Wir haben uns Treppenläufe am Phoenixsee vorgenommen. Dort steht so ein Berg oder Hügel, der im Behördensprech die schöne Bezeichnung „Landschaftsbauwerk“ trägt, weil er nun mal nicht von der Eiszeit, sondern von Baggern an diese Stelle gesetzt wurde. Das Landschaftsgbauwerk ist über Serpentinen sowie diverse Treppen besteigbar.

Vorfreude auf einen Treppenlauf

Während das Licht schwindet, der Regen schwillt und die Temperatur sinkt, beschleicht mich allmählich so etwas wie Vorfreude. Denn ich weiß: Nach einer harten Einheit mit Treppen, Treppen und noch mehr Treppen werde ich mich so gut fühlen, dass mir der Regen überhaupt nichts mehr anhaben wird. Also: Ab zum See und laufen!

Wir parken gleich hinter dem Landschaftbauwerk und starten sogleich, den Regen heftigst ignorierend zu unserer Aufwärmrunde. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich mit Kapuze laufe oder ohne. Mit Haube auf dem Kopf macht der Wind Lärm und erschwert die Unterhaltung mit der Laufpartnerin, ohne Regenschutz werde ich nass. Nach wenigen Hundert Metern werden Regen und Wind stärker und nehmen mir die Entscheidung ab, weil der Regen nun eher von vorne denn von oben kommt. Also Kapuze weg.

Lauf-ABC im Regen

Wir plaudern, laufen und sind sehr stolz darauf, dass wir es wirklich tun. Auf dem letzten Kilometer der Einlaufrunde verschärfen wir das Tempo und deuten ein Lauf-ABC ein, zumindest den Teil mit Knie-Hebelauf und Anfersen. Ich übernehme kurz die Leitung und führe uns schon einmal ein paar Warmup-Treppen hoch und locker wieder runter. Dann naht der Berg und wir legen los.

Mit stetig schneller werdendem Tempo laufen wir auf der Serpentine, die sich vom Fuß des Hügels bis zur Spitze schlängelt. Der Regen hat etwas nachgelassen, es ist stockdunkel. Wir laufen, keuchen, schnaufen. Der Weg zieht sich. Noch eine Kehre, noch eine – oben! Kurze Verschnaufpause und dann geht’s sofort weiter. Wir sind ja nicht zum Pausieren hier, und außerdem gibt es nur eine Sache, die sich überflüssiger anfühlt als im Regen zu laufen: im Regen herumstehen. Also laufen. Treppen.

Mit schnellen Tritten auf der Himmelsleiter

Wir traben langsam zu der auf der Rückseite des Landschaftsbauwerks liegenden Treppe, die ich liebevoll Himmelsleiter nenne, weil sie ziemlich steil bis ins Nichts zu reichen scheint. 200 Stufen hat sie, bei einer vorherigen Trainingseinheit eigenfüßig gezählt. Auf dem Weg nach unten lockern wir noch einmal die Beinmuskulatur und prüfen, ob die Stahlstufen nicht vielleicht zu rutschig sind. Sie sind in Ordnung.

Am Fuß der Treppe geht mein Blick kurz nach oben, dann schaue ich aber doch lieber auf meine Füße und nehme die erste Stufe ins Visier. Los geht’s! Mit schnellen Schritten rennen wir auf der Treppe nach oben. Meine Oberschenkel spielen gut mit, so gut sogar, dass ich für einen kurzen Moment den Ehrgeiz verspüre, diesen Durchgang als Wettrennen zu betrachten. Meine Partnerin – 30 Kilo leichter und 20 Jahre jünger als ich – setzt sich etwas ab und hat alsbald zwei bis drei Stufen Vorsprung.

Ein geheimer Wettkampf ganz für mich alleine

Als ich das Gefühl habe, die Hälfte erreicht zu haben, schaue ich nach oben und sehe, wie weit es noch ist. Ein Drittel habe ich, nicht die Hälfte. Weiter! Die Knie heben sich in einem festen Rhythmus, die Konzentration ist hoch, mein Blick fixiert die Stufen. Ein Fehltritt könnte übel enden. Aus dem Augenwinkel sehe ich die Laufschuhe der Trainingspartnerin schräg vor mir. Dann passiert’s: Sie rutscht auf einer Stufe kurz weg, verliert den Rhythmus und ich überhole sie zwei Stufen vor dem Gipfel noch. Erschöpft pusten wir durch, ich genieße den Regen auf meinem Kopf.

Den Weg nach unten nutzen wir wieder, um die Beine auszuschütteln. Zwei Durchgänge laufen wir noch, beide Male „gewinnt“ sie. Meine Oberschenkel brennen auf diese angenehme Weise, die nur jemand kennt, der Sport macht. Nach dem dritten Durchgang traben wir über das kleine Plateau auf dem Berg und nehmen uns eine weitere Treppe vor. Die hat 150 Stufen und besteht eigentlich aus zwei Treppen mit unterschiedlich breiten Stufen. Man muss also mitten im Lauf die Schrittlänge variieren.

Nach einem Durchgang beschließen wir, Feierabend zu machen. Gemütlich traben wir auf der Serpentine nach unten zum Parkplatz zurück. Übung beendet, Blut mit Endorphinen geflutet. Läufe im Herbst sind geil!

Der Herbst hat goldene Seiten

Sind sie wirklich! Denn manchmal hat der Herbst ja auch goldene Seiten mit raschelndem Laub und strahlender Sonne. Bei diesen Bedingungen habe ich einen kurzen Trail-Ausflug auf die Reit- und Mountainbike-Wege im Wald hinterm Haus unternommen. Was für ein herrlicher Lauf! Die Luft war klar und kalt, auf den Blättern glitzerte der gefrorene Reif im Sonnenlicht. Bei solchen Bedingungen ist der Herbst schöner als es der Sommer je sein könnte.

Und selbst bei der Novemberauflage des Ruhrklippenlaufs war das Wetter auf der Seite meiner Laufgruppe. Der glitschige Boden auf dem Ruhrhöhenweg verlangte zwar viel Konzentration, dafür wurden wir mit akzeptablen Temperaturen und einem kaum wahrnehmbaren Nieselregen belohnt.

Jeder Herbstlauf ist ein kleiner Triumph

So langsam naht allerdings der Winter. Wer weiß, vielleicht bringt der ja sogar wieder Schnee. Für mich steht jedenfalls fest, dass Herbstläufe die optimale Vorbereitung sind, um später mit erschwerten Bedingungen zurecht zu kommen. Wer auf matschigem Waldboden oder glitschigem Laub laufen kann, hat seine Konzentration so gestärkt, um auch auf Eis oder Schnee mit sicherem Tritt unterwegs zu sein. Da trennt sich die läuferische Spreu vom Weizen. Schönes Wetter kann jeder. Außerdem machen Herbstläufe selbstbewusst, weil jeder bewältigte Lauf bei suboptimalen Bedingungen ein kleiner Triumph über den inneren Schweinehund ist.