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Rudi Assauer: „Aussem Pott gehe ich nicht weg“

Rudi Assauer: „Aussem Pott gehe ich nicht weg“

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Rudi Assauer war ein Urgestein des NRW-Fußballs. Und der erste Beitrag, den unsere Online-Redaktion veröffentlichte, war ein Interview mit ihm.

Gelsenkirchen. 

Rudi Assauer kannte beide Seiten des Fußballs. In den Sechzigerjahren spielte er für Borussia Dortmund, gewann in dieser Zeit den DFB-Pokal und den Europapokal der Pokalsieger. 1981 wurde er Manager beim FC Schalke 04 und erlebte Auf- und Abstiege. Nach Entlassung und Wiedereinstellung machte Assauer den FC Schalke vom Skandalverein zum Champions League-Teilnehmer. Am 17. Mai 2006 trat Aussauer nach internen Querelen von seinem Managerposten zurück. Zum Start unseres Online-Portals gab er uns dieses Interview:

Herr Assauer, Sie kommen gebürtig aus dem Saarland. Fühlen Sie sich dennoch als ein Kind des Ruhrgebiets?

Assauer: Ich bin im Saarland zwar zur Welt gekommen, aber meine Mutter hat mich dort quasi im Galopp verloren (lacht). Sie ist Saarländerin und im Ruhrgebiet war die Situation damals nicht gerade rosig. Da sie wusste, dass es Zwillinge gibt, hat man ihr geraten, einen ruhigeren Ort zu finden. Drei, vier Wochen später waren wir wieder im Ruhrgebiet.

Wie war die Kindheit im Revier?

In Herten-Süd, wo ich groß geworden bin, haben die Bergleute gewohnt. Die ganze Region war auf Zeche Ewald zu Hause. Ich bin direkt am Katzenbusch aufgewachsen. Da wohnten die Malocher. Deswegen bin ich auch nie aufs Gymnasium gegangen. Oben in Herten-Nord, bei den besseren Leuten, da wurde kein Fußball gespielt. Die haben Volleyball gespielt oder vielleicht mal Handball. Bei uns ist nur gepöhlt worden. Unsere Wohnung war direkt gegenüber der Schule. Wenn die Schule anfing, musste ich nur über die Straße gehen.

Zum Glück war meine Zwillingsschwester sehr eifrig, da konnte ich gut abschreiben. Wenn die Schule zu Ende war, fand eine halbe Stunde später das erste Pflichtspiel statt. Das waren Straßenkämpfe – Augustastraße gegen Herner Straße. Lederbälle hatten wir nicht, wir spielten mit einem Stoffball. Als nach über einem Jahr einer einen Lederball zu Weihnachten bekommen hatte, war das die Sensation. Ein Vater hatte aus Holz zwei Tore gezimmert, und wir haben dann gespielt, bis es dunkel wurde. Zu Hause gab’s dann eine Tracht Prügel, weil wir von oben bis unten verdreckt waren.

Fußball hat also von Anfang an eine große Rolle gespielt.

Es gab nichts anderes. Meine Eltern hatten auch kein großes Vermögen. Der Alte hat gearbeitet und ist nach der Arbeit in die Kneipe gegangen – Bier und Korn. Wir haben Fußball gespielt.

Ihren ersten Vertrag haben Sie mit 18 bei der SpVgg. Herten unterschrieben.

Da war ich von Anfang an. Ich habe bei der Spielvereinigung alle Jugendmannschaften durchlaufen. Damals gab’s ja noch keine Pampersliga, aber ich habe in allen Schülermannschaften gespielt. Als jungem Burschen haben sie mir dann einen Vertrag gegeben. Herten spielte damals in der zweiten Liga. Ich war dann so genannter Vertragsspieler und bekam im Monat 50 Mark. Das Geld musste ich natürlich zu Hause auf den Tisch legen. Für jedes gewonnene Spiel gab es 10 Mark, für jedes Unentschieden 5 Mark.

Was war das für ein Gefühl, fürs Fußballspielen Geld zu bekommen?

Das war egal. Es ging mir nur ums Fußball spielen. Ich war ja damals auch noch in der Lehre als Stahlbauschlosser und das Geld musste ich natürlich auch abgeben. Das war normal.

An eine Karriere als Fußballer war noch nicht zu denken?

Nein. Ans Geldverdienen habe ich nicht gedacht. Es hat einfach Spaß gemacht. Damals gab es ja auch andere Bedingungen. Die Obergrenze bei der Bezahlung lag bei 1200 Mark, sogar für Nationalspieler. Mehr durfte keiner verdienen, auch wenn unter der Hand bei den großen Vereinen mehr gezahlt wurde. Man konnte damals den Verein zwar wechseln, aber dann ist man für ein Jahr gesperrt worden. Ich hatte dann gedacht, ich mache die zwei Jahre noch durch und wechsele dann mit 20. Andere aus meinem Jahrgang, wie Wolfgang Overath waren gewechselt und konnten ein Jahr lang nur trainieren. Die Profis damals waren ja auch nur Semi-Profis. Die hatten alle noch einen Beruf. Timo Konietzka hat bei der Stadt Dortmund immer die Gaslaternen ausgemacht.

Was waren Sie für ein Spielertyp?

Es hat dazu gereicht, dass ich immer gespielt habe. Ich war aber nie Nationalspieler, auch wenn ich zweimal dran war. In unserem Jahrgang waren so viele Spieler, die später auch in der Nationalmannschaft sehr erfolgreich gespielt haben. Ich hatte schon Respekt vor den großen Spielern, als ich mit 19, 20 Jahren in Dortmund angefangen hatte. Als ich dort ankam, saß der große Heini Kwiatkowski in der Kabine und ich habe den voller Ehrfurcht mit „Guten Tag, Herr Kwiatkowski begrüßt“. Da waren alle die großen Spieler – Tilkowski, Redder, Paul, Kurrat, Emmerich, Libuda, Siggi Held kam mit mir. Das war ne Riesen-Truppe.

Sie wurden dann auch gleich Pokalsieger und Europacup-Sieger…

…ich war damals der jüngste Spieler auf dem Platz beim Finale in Glasgow. Das war das erste Mal, dass eine deutsche Mannschaft einen europäischen Wettbewerb gewann.

Haben Sie gemerkt, dass dieser Titelgewinn etwas für die Region bedeutete?

Ich habe Fußball gespielt. Da habe ich mir nicht großartig Gedanken über die Region gemacht. Besonders war es natürlich, weil wir eben die erste deutsche Mannschaft waren. Glücklicherweise habe ich mitspielen dürfen. In Glasgow hatte es so gegossen, der Boden war weich und tief, und du bist gerannt wie ein Bekloppter. Nach 60 Minuten hatte ich Wadenkrämpfe – oh Gott, oh Gott. Aber ich musste durchspielen, weil man ja noch nicht auswechseln durfte. Das war schon ne schöne Zeit (lacht).

Das Geld kam dann ja trotzdem bald ins Spiel. Sie wechselten 1970 von Dortmund nach Bremen. Nur weil es dem BVB finanziell sehr schlecht ging, oder weil Sie weg wollten?

Ich wollte nicht wechseln, auch weil ich gerade geheiratet hatte. Dann hatte der BVB aber finanzielle Probleme und mein Vertrag lief aus, wie auch der von Emma (Lothar Emmerich, Anm. d. Red.). Die brauchten Geld, und deshalb haben sie mich verkauft. Dann bin ich nach Bremen gegangen. 150.000 Mark haben die für mich bekommen. Das war ne Menge Geld.

Gab es auch andere Angebote?

Ja, der Wuppertaler SV war an mir interessiert. München 60 auch. Aber dann wurde es eben Bremen. Auch das war ne schöne Zeit. Wir hatten zwar mehr unten als oben gespielt, aber es war schön.

„Es fiel schwer, die Heimat zu verlassen“ 

Wie schwer war es, die Heimat zu verlassen?

Das war nicht so einfach. Meine Frau kam aus Dortmund. Ich hatte immer gedacht, „aussem Pott gehste eh nicht weg“. Das war schon eine große Umstellung. Aber letztendlich hat die Station Bremen sehr viel Spaß bereitet. Ich habe regelmäßig gespielt und bin dann ja auch am Ende der Laufbahn nahtlos auf den Managerposten gewechselt. Samstags habe ich noch gespielt, stand auffem Platz und danach musste ich noch ins Büro und dachte, „Okay, jetzt biste Fußball-Manager. Was machste jetzt? Jetzt gucken wir erstmal dumm aus der Wäsche.“ Mein Ziehvater Dr. Böhmert (damaliger Präsident von Werder, Anm d. Red.) hatte mir gesagt, dass ich fürs Fußballspielen langsam zu alt werde. In der Geschäftsstelle wäre ich wertvoller für Bremen.

Sie sagten, Sie wollten eigentlich im Pott bleiben. Warum?

Ich hatte meine ganze Jugend hier verbracht. Meine Freunde, die Leute, mit denen ich in Dortmund gespielt habe, waren alle hier. Aber wie gesagt, Bremen war eine sehr schöne Zeit. Auch wenn Fußball dort nicht so der absolute Renner war. Wenn du da ein Loch gegraben, Wasser reingelassen und ein Bötchen draufgesetzt hast, sind die Leute lieber dort hin gegangen. Im Ruhrgebiet gab’s nichts anderes als Fußball. Als ich da oben hingegangen bin, kamen maximal 15 bis 20.000 Zuschauer ins Stadion. In der Roten Erde war die Hütte immer gerammelt voll.

Sind Sie als Kind auch ins Stadion gegangen?

Mit meinem alten Herrn bin ich mit dem Fahrrad am Kanal entlang nach Gelsenkirchen gefahren. Irgendwo am Stadion gab es immer ein Loch im Zaun, wo ich dann durchgefitscht bin. Wenn es ganz eng wurde, dann haste dich auf irgendwelche Bierkästen gestellt oder bist auf einen Baum geklettert. Da gab es immer was. In der Glückauf Kampfbahn haben die Zuschauer sogar während des Spiels auf der Torlatte gesessen. Das war im Stadion Rote Erde in Dortmund genau so. Wie all die Leute es geschafft haben, ins Stadion zu kommen – keine Ahnung.

Sie sind dann Manager geworden. Ausgerechnet jemand aus der Malochergegend. Wie hat sich das angefühlt, plötzlich im Fußball mit Geld hantieren zu müssen?

Das war eine große Umstellung. Ich hatte aber schon in Dortmund eine Banklehre gemacht. Ja, und dann saß ich da am Montagmorgen in Bremen und dachte: „Watt machse jetzt?“ Das hat sich weiter entwickelt. Ich hatte Werbemaßnahmen eingeführt, die es bis dato noch nicht gab. In der Pause hab ich die Tore genutzt und da Jalousien mit Werbung drangehängt. In Anderlecht hatte ich gesehen, dass dort die Tribünenblöcke eigene Namen hatten. Das habe ich mir abgeguckt. In Bremen gab es die Haupttribüne mit der „Gauleiterloge“ und die Gegentribüne. Wir wollten das Stadion eh umbauen und haben uns das als Vorbild genommen. Bayern München hatte zu der Zeit das neu gebaute Olympiastadion, Gelsenkirchen bekam das Parkstadion. In Bremen mussten wir nachziehen.

Bremen ist aufgestiegen, warum sind Sie dennoch zum Zweitligisten Schalke 04 gegangen?

Ganz einfach: Weil ich hier 70.000 Leute im Stadion hatte. Hier wird Fußball gelebt.

Übertrug sich denn die Ruhrgebietsmentalität bei Schalke auch auf den Platz?

Ja, natürlich. Zumindest bei den Spielern, die aus dem Großraum Ruhrgebiet kamen. Die Bedeutung des Fußballs war eine ganz andere. Hier saßen die Kinder im Stadion auf den Schultern der Väter. Das haste in Bremen kaum gesehen. Da sind die Frauen samstags mit den Kindern zur Nordsee gefahren.

Und dann kam ein Fußball-Manager ins Ruhrgebiet. In Dortmund gab es große Proteste als dort Anfang der 80er Dieter Tippenhauer Manager wurde. Die Leute sagten, so etwas brauche man nicht. Ging es Ihnen auf Schalke ähnlich?

Im Gegenteil. Ich bin ja aus Bremen weggegangen, weil im Pott Fußball gelebt wurde. Ich habe lieber mit Schalke in der zweiten Liga vor 50.000 gespielt als in Bremen in der ersten Liga vor 20.000. Wir hatten dann ja auch den Aufstieg geschafft und sind dann im nächsten Jahr in der Relegation gegen Uerdingen wieder abgestiegen.

Was halten Sie von der Wiedereinführung der Relegation?

Es ist sicherlich ein zusätzlicher Anreiz, dass man Ende der Saison noch mal ein Endspiel hat und eine verkorkste Saison vielleicht noch retten kann. Ich denke da gar nicht so an die Vermarktung. Sportlich ist es sehr interessant.

Apropos Vermarktung: Der Kommerz hält immer weiter Einzug in den Fußball. Wo würden Sie die Grenze ziehen?

Jeder Verein muss eine eigene Philosophie haben. Wenn er die nicht hat, ist es schwierig, langfristig Erfolg zu haben und sich einen Namen zu machen. Wenn du keine Philosophie hast, wie der Verein am Ende dastehen soll, bekommst du Probleme. Ich weiß gar nicht, was alleine die Marke Schalke heute wert ist. Ich glaube nicht, dass das je einer bezahlen kann. Borussia Dortmund ist auch eine Marke. Es gibt nur wenige Vereine, die diesen Status erreichen. Auf Schalke ist das ja sehr gut aufgegangen. Das liegt natürlich an der Nachkriegszeit. Da sind die Spieler wie Szepan und Kuzorra zu Freundschaftsspielen nach England gefahren und haben da gegen die Profis gewonnen. Das war ne Sensation für den ganzen europäischen Fußball. So kann man auch nur erklären, dass es in ganz Deutschland Schalke-Fans gibt. Weil die in einer Scheiß-Zeit oben waren. Da haben sich die Leute dran ergötzt. Das ist dann übertragen worden vom Vater auf den Sohn, auf den Enkel…

Gazprom war auf Schalke gewöhnungsbedürftig 

Sie wissen nicht, welchen Geldwert die Marke Schalke hat. Gazprom hat nun aber eine gewisse Summe auf den Tisch gelegt. Der Deal wird von der Öffentlichkeit kritisch beäugt. Wie sehen Sie das?

In England fragen sie auch nicht danach, wenn ein großer Sponsor kommt. Abramowitsch bei Chelsea oder Fly Emirates bei Arsenal. Da fragt auch keiner, was dahinter steckt. Hauptsache, der Verein spielt guten Fußball. Auf Schalke war Gazprom sicherlich gewöhungsbedürftig.

So lange der Verein autark ist und alles alleine entscheiden kann, ist das in Ordnung. Wir haben hier in Deutschland einfach nicht die Einnahmen, die die anderen Ligen haben. In vielen Gebieten sind wir führend: im Stadionbau oder im Marketing. Kein Land der Welt hat so viele Top-Stadien. Aber im Ausland haben die einfach oft einen da, der sagt: „Ich leg dir jetzt hier soundso viele Millionen hin und Tschüss.“

In Deutschland spricht die Lizenzordnung dagegen.

Es wird aber auch der Tag des Herrn kommen, wenn der deutsche Fußball immer mehr hinterher hinkt, dann wird auch da ein Umdenken stattfinden. Wir sind nicht so blauäugig zu sagen, der deutsche Fußball habe einen riesigen Stellenwert. Das war einmal. Da hatten sie alle Angst vor Deutschland. In der Nationalmannschaft geht’s noch, aber im Vereinsfußball kacken wir immer mehr ab. Da stehen jetzt Länder vom Balkan vor uns, weil da Leute mit viel Geld irgendeinen Verein unterstützen. Otto Rehhagel hat immer gesagt, Geld schießt keine Tore. Falsch. Geld schießt doch Tore.

Es ist aber auch gefährlich, viel Geld in die Hand zu nehmen und dann zu hoffen, dass es Tore schießt. Das hat man zuletzt in Dortmund gesehen.

Wenn du einen gewachsenen Verein mit Tradition hast, solltest du eigentlich nicht in Schwierigkeiten kommen. Entweder du machst mit und bleibst oben, oder du machst nicht mit und musst akzeptieren, dass du unten stehst oder mal absteigst. Wenn ich überlege, was Real Madrid mit seinem eigenen Pay-TV an Kohle verdient… Das gibt’s in Deutschland nicht. In England investieren Leute in den Fußball, die plötzlich ihre Liebe zu einem Verein entdecken. Da sagst du doch nicht nein, wenn du im Konzert der Großen mithalten willst und jemand mit dem Geldkoffer kommt. Klar, an einem guten Tag kannst du auch ohne Geld mal jeden schlagen: Form schlägt Klasse. Aber nicht auf lange Sicht. Der BVB ist da ja auch mal einen heißen Schlitten gefahren.

Der Schlitten drohte aber aus der Kurve zu fliegen. Wie haben sie das verfolgt?

Ich dachte immer, die werden wohl schlau genug sein und wissen, was sie tun…

… waren sie wohl nicht.

… tja. Das ist immer so. Das hatten wir hier auf Schalke – etwa unter Günter Eichberg – auch das eine oder andere Mal, dass Leute mit einem ganz heißen Ritt versucht haben, Schalke 04 erfolgreich zu machen. Da dachteste auch, wenn die Kiste schief geht, dann Halleluja.

Wie vermitteln Sie es Fans von kleinen Vereinen wie Duisburg oder Bochum, dass Dortmund und Schalke mit Verbindlichkeiten in dreistelliger Millionenhöhe die Lizenz bekommen, während andere vermeintlich seriös wirtschaften?

Auch der DFB ist nicht so blauäugig, irgendwelche Unterlagen einfach durchzuwinken, nur weil’s Dortmund oder Schalke ist. Nein, nein. Da wirst du genau so hart in die Zange genommen, wie jeder andere auch. Aber das Potential, so einen Verein in relativ kurzer Zeit zu retten, ist immer da. Du hast aufgrund des Namens einfach eine ganz andere wirtschaftliche Rückendeckung.

Ist es nicht dennoch seltsam, dass die Lizenz hauptsächlich davon abhängt, dass ein Verein den Spielbetrieb aufrecht erhalten kann und nicht davon, wie seriös gewirtschaftet wird?

Wir wollen in Deutschland konkurrenzfähig bleiben. Wenn du kein Risiko eingehst, dann kackst du völlig ab. Dann stehen wir da, wo heute Belgien ist, das mal ein großes Fußballland war. Oder Holland. Die brauchen doch gar keine Meisterschaft mehr auszuspielen mit ihren drei großen Vereinen.

Wie weit darf die Öffnung für Investoren gehen, wenn es auch um die Identität eines Vereins geht?

Die darf nicht verloren gehen. Das muss man von vornherein klarstellen. Dann muss man zur Not auch auf Geld verzichten. Die Identität des Vereins darf nicht angreifbar sein. Unser Publikum achtet schon darauf, ob ein Sponsor Einfluss bei uns hat. Das muss auch so sein. Es sei denn, es gibt neue Regeln, neue Formen, die der DFB vorgibt und sagt, jeder kann machen, was er will.

Und dann könnte auch das „G“ im Schalke-Logo durchs Gazprom „G“ ersetzt werden?

Vereine mit großer Tradition werden sich unheimlich schwer tun, so einen Gang zu gehen. So lange es eine Möglichkeit gibt, es auf andere Art und Weise hinzukriegen, muss man den Weg gehen. Es sei denn, dass es hier einmal eine Erlaubnis gibt. Das müssen die Verbände regeln, ob das machbar ist oder nicht. In England, Spanien oder Italien sind die Vereine ja jetzt auch abhängig von Personen, die dahinter stehen. Die beiden Mailänder Vereine spielen manchmal vor 20.000 Zuschauern. Die gehen doch kaputt, wenn die kein Geld kriegen. Aber Juventus Turin zum Beispiel wird nie kaputt gehen, so lange das Werk dahinter steht. Die lassen die „alte Dame“ doch nicht fallen. Das wird aber dort auch so gelebt. Das ist in Fleisch und Blut übergangen. Die nehmen das gar nicht wahr.

„Schalke 04 ist mit Gelsenkirchen verwachsen“ 

DerWesten: Ist ein Fußballverein Dienstleister, Wirtschaftsunternehmen oder Sportverein?

Rudi Assauer: Die ganze Erste und Zweite Liga sind riesige Wirtschaftsunternehmen. Wenn du mit diesen Summen handelst, bist du ein sehr guter Mittelständler. Schalke 04 hat einen Etat von 120 bis 150 Millionen und Schalke hat in Gelsenkirchen wie kein zweites Unternehmen für Arbeitsplätze gesorgt. Wo soll das denn hergekommen sein? Der Name Schalke 04 ist ja direkt verwachsen mit Gelsenkirchen.

Wirtschaftsunternehmen benötigen Geld. Was halten Sie vom Comeback von Leo Kirch?

Das ist ein offener Wettbewerb. Die Liga sagt, sie hat alles durchgeprüft und die Bürgschaft sei in Ordnung. Gut, dann machen. Je mehr, umso besser. Desto größer sind die Möglichkeiten der Vereine, das Geld so anzulegen, dass man ne gute Truppe hat und darüber hinaus auch eine gescheite Infrastruktur. Normalerweise müsste sich Deutschland da angleichen an Klubs im Ausland, die in etwa auf der gleichen Linie liegen wie Schalke 04 oder die anderen der Liga. Real Madrid aber hat einen eigenen Sender. Die hauen die ganze Kohle da rein. Die kaufen sich nen großen Jet und fliegen durch die Gegend. Und wenn kein Geld mehr da ist, dann haben die einen Kreis von zehn Leuten, die sagen: „Kommt, nehmt das Geld, auf Wiedersehen.“ Das haben wir in Deutschland nicht, dieses Mäzenatentum. Wir haben keinen Steilmann mehr.

Wobei gerade Steilmann in Wattenscheid oder Jean Löhring bei Fortuna Köln zeigen, dass Mäzenatentum nicht förderlich sein muss, wenn ein ganzer Verein an einer Person hängt.

Man darf aber nicht vergessen, was Klaus Steilmann aus diesem Verein gemacht hat. Das hat der ganz alleine gemacht. Ich finde es mehr als traurig, was die da aus ihm gemacht haben. Das ist nicht nur strittig, da muss man wirklich drüber nachdenken.

Das klingt nach der viel beschworenen Ruhrpottsolidarität.

Klar. Ohne jetzt die anderen Landstriche in Deutschland wegzudenken, je mehr Vereine in der Liga aus dem Westen kommen, desto schöner ist es doch. Desto mehr Lokalkämpfe gibt es. Etwas Schöneres gibt es doch gar nicht. Wir haben jetzt Dortmund, Duisburg, Schalke, Bochum. Rot-Weiss Essen ist prädestiniert dafür. Das ist die sechstgrößte Stadt in Deutschland. Früher Rot-Weiß Oberhausen und Wuppertal SV. Eine Liga, in der sechs oder acht Vereine aus dem Ruhrgebiet kommen, wäre doch klasse. Da haste die Hütten immer voll.

Von Seiten der Fans werden die kleineren Reviervereine oft belächelt. Dortmunder und Schalker sagen, Spiele gegen Bochum oder Duisburg seien keine Derbys.

Ja. Aber die Bochumer oder Duisburger freuen sich doch auf gut Deutsch gesagt „nen Pinn innen Arsch“, dass sie Dortmund und Schalke haben. Duisburg kriegt einmal in der Saison die Hütte voll – wenn der FC Schalke kommt. Dortmund und Schalke haben natürlich eine andere Historie als Bochum und Duisburg, die Spiele sind schon etwas anderes. Es ist zehn Jahre her, da hat Franz Beckenbauer gesagt, das Herz des Fußballs schlägt im Ruhrgebiet. Ich frage mich auch immer, warum so ein Verein wie Essen nicht hochkommt. Mit dem Fanpotential. Die gehen immer rauf und runter. Das wird irgendwann langweilig.

Schwierig ist es, die Position zwischen Dortmund und Schalke zu finden. Bochum und Essen haben ja quasi kein Umland. Die Fans kommen zu 90 Prozent aus der Stadt und einigen wenigen angrenzenden Orten.

Das ist natürlich ein Problem. Die heutige Jugend neigt aber dazu, schnell jemanden zu glorifizieren. Das macht sie natürlich nur, wenn Erfolg da ist. Bochum müsste zwei, drei, vier Jahre erfolgreich spielen. Du musst Erfolg haben, damit die Leute in der Schule stolz erzählen können, dass sie Bochumer sind. Du brauchst Anerkennung.

Müssen die kleinen Vereine dann auch andere Wege gehen, wie etwa Bochum mit seinem Leitbild?

Ja, oder in Duisburg… Walter Hellmich macht da gute Arbeit. Er sollte sich nur weniger um den Sport kümmern. Aber auch da entsteht etwas. Wenn ich überlege, was die Duiburger früher für Einnahmen hatten, da haste dich kaputtgelacht. Heute können die zumindest im unteren Mittelfeld der Tabelle mithalten.

Wenn Walter Hellmich sich weniger um den Sport kümmern soll, wäre das doch ein Job für Sie…

Nein, nein, nein (lacht). Wir sind seit Jahren befreundet. Er hatte ja einen Großteil der Arbeiten an der Arena getragen und ist führend im Stadionbau.

Noch einmal zur Ruhrgebietssolidarität: Nach der verpassten Meisterschaft 2007 wurde aus dem Schalker Lager sehr laut nach Ruhrgebietssolidarität gerufen. Gibt es die überhaupt?

Wo wollen Sie die Solidarität anbinden? An den Vorstand? Mir ist es lieber, eine Mannschaft aus dem Westen wird Meister als eine aus dem Süden. Ich kann damit leben. Das wertet den Fußball im Revier auf. Auch wenn ich zu 100 Prozent Schalker bin, ist es mir doch lieber, wenn der BVB Meister wird als eine Mannschaft von außerhalb. Das muss man anerkennen. Da bin ich stolz.

Die Fans sehen das anders. Die Dortmunder schickten ein Flugzeug mit dem Transparent „Ein Leben lang, keine Schale in der Hand“ nach Gelsenkirchen.

Ja, blöd war es, als sich das nach der letzten Saison so hochgeschaukelt hat. Ich fand das so abartig. Das war unnütz wie ein Kropf. Statt Gelassenheit zu zeigen, haben die Schalker Offiziellen überreagiert. Die hätten noch hundert Flugzeuge schicken können. Da muss ich gelassen sein. Im Nachhinein hätte man viel früher die heiße Luft da rausnehmen müssen. Es gab ja schon Anzeichen, dass das Ding explodiert. Wir haben zehn Jahre lang mit dem BVB daran gearbeitet, dass die Fans sich nicht jedes Mal an die Köppe gehen. Das hat zehn Jahre funktioniert. Als wir den UEFA-Cup gewonnen haben und der BVB eine Woche später die Champions League, da habe ich mich gefreut. Unter Fans ist das was anderes. Aber unter den Verantwortlichen finde ich es nicht gut, wenn man sich für den Gegner des Rivalen freut. Ich jubele doch nicht, wenn Juventus gegen Dortmund ein Tor schießt. Da muss ich über den Tellerrand gucken können. Oben in der Führung muss man sich einig sein. Es hat lange kein Schäferhund mehr einem Spieler in den Arsch gebissen und auf der anderen Seite sind lange keine Löwen mehr auf die Laufbahn geführt worden. Die Leute, die in den Vereinen so reagieren kommen nicht aus dem Sport. Die wissen nicht, dass es Sieg und Niederlage gibt. Die haben keine Lockerheit, sind verbissen, verbiestert. Du kannst so viel Geld haben und wirst trotzdem nie Deutscher Meister.

Würde der 100-prozentige Schalker Rudi Assauer denn einem Revierrivalen helfen?

Helfen ja. Aber nicht dort arbeiten. Ich helfe ja jetzt auch in beratender Funktion dem Wuppertaler SV, weil ich mit dem Friedhelm Runge befreundet bin. Der steckt da wahnsinnig viel Geld in der Verein. Na gut, der hat Spaß daran. Dann sage ich immer, lass ihm doch das Räppelchen (lacht).

Sie widmen sich lieber Ihrer Schauspiel-Karriere….

Das war auch so eine einmalige Sache (lacht). Ich mag den Kerl, der dieses Theater betreibt. Dem habe ich geholfen, dass er seine Hütte voll kriegt. Ich war vor ein paar Wochen da und habe mir „Dinner for One“ auf Ruhrgebiet-Platt angesehen. Weltklasse! Ich habe mir das zweimal an einem Abend angesehen und Tränen gelacht.

Was machen Sie denn als Fußballmanager im „Unruhestand“?

Unruhestand? Ich würde gerne versuchen, jungen Spielern zu helfen. 70 Prozent der heutigen Spielerberater sind Verbrecher. Sehr dubiose Typen. Die denken nur daran, wie sie aus einem jungen Spieler viel Geld rausholen können. Da müsste man mal einen Pflock einschlagen.

Was würden Sie jungen Spielern sagen?

Ganz einfach, man muss offen ansprechen: „Junge, du kannst gut Fußball spielen, aber weiter als Zweite Liga kommst du nicht. Wir können dich da und da hinbringen. Aber in die Erste Liga wirst du’s nicht schaffen.“ Die Berater sagen dem Nachwuchs: „In drei Jahren bist du Nationalspieler.“ Nach der Wiedervereinigung haben die Berater den Spielern empfohlen, im Osten zu investieren. Das ist alles in die Hose gegangen. Das Geld ist weg.

Dann kann man von Ihnen demnächst also wieder im „Kicker“ lesen und nicht nur in der „Gala“?

Nein. Das kannst du auch im Stillen machen. Du musst den Jungs nur die Wahrheit sagen und erklären, wie das Leben funktioniert. Du musst einem Spieler sagen können: nach ganz oben, das wird nix. Ich würde zum Beispiel am liebsten den Manuel Neuer anrufen, dass er zu mir nach Hause kommt und ich ihm sagen kann, dass er sich jetzt nicht unter Druck setzen darf. Der war so verbiestert. Der hat so einen Ehrgeiz und müsste aber viel lockerer sein. Und jetzt kriegt er auch noch auf die Glocke. Aber er hat Grips in der Birne und ist nicht abgehoben.

Jedenfalls werden Sie nicht wie andere Schalker nach Gran Canaria ziehen?

Nee, mich kriegen se hier nicht mehr weg. Ich bleibe im Westen.

Herr Assauer, vielen Dank für das Gespräch.