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Die Gründe für den Gladbacher Niedergang

Die Gründe für den Gladbacher Niedergang

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Als zehnter Gladbach-Trainer in sieben Jahren soll der Schweizer Lucien Favre Borussia Mönchengladbach endlich die ersehnte Kontinuität bringen. Doch die Probleme sind vielfältig und teils struktureller Natur. Eine Analyse.

Essen. 

Nun soll es also Lucien Favre richten. Als zehnter Gladbach-Trainer in sieben Jahren soll der Schweizer die Borussia vor dem bitteren Gang in die zweite Liga bewahren. Und wenn das nicht gelingt, dann soll der ehemalige Hertha-Coach doch bitteschön zumindest eine Mannschaft formen, die den sofortigen Wiederaufstieg schaffen kann – so jedenfalls lautet der Wunsch der Club-Oberen.

Die Gladbacher haben dem Reflex widerstanden, einen Feuerwehrmann mit Erfahrung im Abstiegskampf zu verpflichten. Stattdessen setzen sie auf einen Systemtrainer, dem der Ruf vorauseilt, junge Mannschaften formen zu können. Aber Teambuilding braucht Zeit. Und erfordert den Mut, Spielern auch Fehler einzugestehen. Der Abstiegskampf ist dafür der denkbar ungünstigste Zeitpunkt. Obwohl es niemand der Verantwortlichen laut sagen würde, zeigt die Entscheidung für Favre also, dass der Abstieg einkalkuliert wird. Und sie zeigt auch: Die um den Nordpark vielbeschworene Kontinuität ist mehr als eine bloße Floskel; die Sehnsucht, eine Trainer-Ära einzuleiten, lebt auch nach dem Abgang des Gladbacher Urgesteins Frontzeck fort.

Die Frage aber, um die sich alles dreht, und mithin auch die Frage, die Favre möglichst schnell beantworten muss, lautet: Was sind die Gründe für den Gladbacher Niedergang?

Taktik und Personal: Im modernen Fußball gibt es keine wichtigere Position, als die des defensiven Mittelfeldspielers. Wer das Zentrum des Spielfelds kontrolliert, gibt das Spieltempo vor und diktiert das Geschehen. Der moderne Sechser lenkt das Spiel wie weiland der Zehner. Gladbach ist auf der Doppelsechs mit Thorben Marx und Michael Bradley in die Saison gestartet. Marx war immer ein solider Arbeiter, aber eben auch nicht mehr. Und Bradley ist bis zu seiner Ausleihe an Aston Villa ein unerfülltes Versprechen geblieben. Jetzt heißen die beiden Sechser Roman Neustädter und Michael Fink. Fällt einer von beiden aus, muss Harvard Nordtveit einspringen. Neustädter hat vor der Winterpause keine große Rolle innerhalb der Mannschaft gespielt. Fink und Nordtveit sind in der Winterpause gekommen. Wenn ein Verein mitten in der Saison die wichtigste Position komplett neu besetzt, ist irgend etwas falsch gelaufen.

Die Einkaufspolitik: Womit wir beim zweiten großen Problem, der Einkaufspolitik, wären. Ein Blick in die jüngere Club-Historie stellt der Scouting-Abteilung – und letztlich auch dem Management – ein vernichtendes Zeugnis aus. Guten Transfers wie Marco Reus oder Dante stehen viel zu viele Reinfälle gegenüber. Raul Bobadilla, Marek Heinz, Kahe (bei dessen Andenken sich den meisten Gladbach-Fans noch immer die Fußnägel aufrollen) oder Federico Insua sind nur die schillerndsten Namen einer langen Liste der Gescheiterten. Selbst die glühendsten Gladbach-Anhänger werden Probleme haben, sich an alle Neuverpflichtungen der letzten Jahre zu erinnern. Warum sollten sie das auch können? Die meisten Transfers haben zu wenig bis nichts geleistet. Neidisch schaut der Gladbach-Fan nach Frankfurt (Gekas), Hannover (Ya Konan) oder Freiburg (Cissé). Dort schaffen es strukturell vergleichbare Vereine, sich für überschaubares Geld eine Lebensversicherung in Form eines Torjägers zu sichern. Wer war eigentlich der letzte Gladbacher Torjäger?

Der fehlende Leitwolf: Aber es fehlt nicht nur ein Torjäger, sondern auch ein Leitwolf. Kapitän Filip Daems ist zwar – siehe Thorben Marx – ein unermüdlicher Kämpfer, aber fußballerisch einfach zu limitiert, um dem Team den Weg weisen zu können. Gleiches lässt sich über den sehr um Führung bemühten Tobias Levels sagen. Dante und Roel Brouwers wären potenziell geeignet, sind aber in dieser Saison fast immer verletzt. Und Marco Reus ist zwar fußballerisch top, muss mit seinen 21 Jahren aber erst in die Rolle eines Leitwolfes hinein wachsen (Dass er sie dann noch bei Gladbach ausfüllen wird, glauben im Falle eines Borussia-Abstiegs nur die größten Optimisten). Die Verantwortlichen haben das Führungs-Vakuum erkannt und als Problem identifiziert. Auch deshalb haben sie im Winter Martin Stranzl und Mike Hanke geholt. Aber – siehe Einkaufspolitik: Wenn ein Verein mitten in der Saison Führungsspieler holen muss, weil es keine im Kader gibt, ist irgend etwas falsch gelaufen.

Die Verletzten: Die Borussia ist in dieser Saison von fast schon unheimlichem Verletzungspech geplagt. Unter anderem die vorige Saison noch souveränen Innenverteidiger Dante und Brouwers sind große Teile der Saison ausgefallen – auch deshalb hat Gladbach in 22 Spielen sagenhafte 56 Gegentore angesammelt.

Die Disziplin: Ebenso rekordverdächtig wie die 56 Gegentore sind die sieben Platzverweise in 22 Spielen. Durchschnittlich beendet die Mannschaft also fast jedes dritte Spiel in Unterzahl. Ist es da verwunderlich, dass die Gladbacher Führungen so gut wie nie über die Zeit zu retten vermögen? Sicher: Nicht jeder Platzverweis – siehe de Camargo gegen St. Pauli – war gerechtfertigt; oft war Schiedsrichterpech dabei. Aber: Wer sich – siehe de Camargo gegen St. Pauli – im Abstiegskampf immer wieder in Situationen verwickeln lässt, die für den Schiedsrichter zumindest den Anschein einer Tätlichkeit abgeben, ist nicht clever genug und schadet seiner Mannschaft.

Die fehlende Heimstärke: Waren die Gladbacher in vergangenen Zeiten auswärts harmlos wie die Mäuse, haben sie in dieser Saison von elf Spielen zu Hause noch keinen Dreier einfahren können. Das kann man wohl getrost als Heimkomplex bezeichnen.

Man sieht: In Gladbach hapert es an allen Ecken und Enden. Und viele der Probleme sind so tiefgreifend, das es wohl länger als bis zum Saisonende dauern wird, sie zu beheben. Übrigens: Gladbachs zweite Mannschaft spielt eine tolle Saison in der Regionalliga West. Vielleicht besinnt sich die Gladbacher Borussia ja und geht in der nächsten Saison denselben Weg wie die Namensvetter aus Dortmund: Indem sie eine junge Mannschaft aufbaut mit Spielern, die sich wirklich mit dem Verein identifizieren.