Veröffentlicht inReise

Auf den Spuren des Lebkuchens das französische Elsass entdecken

Auf den Spuren des Lebkuchens im französischen Elsass

Gertwiller Winter.jpg
Pfefferkuchen, Printen und Co. gehören zur Weihnachtszeit einfach dazu. Gertwiller, ein kleines Dorf im Elsass, gilt als Geburtsstätte der französischen Lebkuchen. Noch heute verströmen Bäckereien den Duft von klassischen Weihnachtsgewürzen durch das ganze Dorf und locken die Touristen in Scharen.

Essen. 

Hunderttausende Touristen kommen alljährlich ins Elsass, um die großen Weihnachtsmärkte in Straßburg oder Colmar zu besuchen. Aber der schönste Ort, um sich auf das heilige Fest einzustimmen, ist das Lebkuchendorf Gertwiller. Von dort haben Pfefferkuchen, Printen und Co. ihren Siegeszug durch Frankreich angetreten. Noch heute stammen neun von zehn französischen Lebkuchen aus dem kleinen elsässischen Ort.

Große Weinpressen aus Holz und kleine Brunnen malen ein idyllisches Bild in die engen Gassen und der Wind trägt Kardamom-Duft, herbe Orangennoten und scharfen Ingwer vor sich her. Wer sich durch Gertwiller schnuppert, landet irgendwann am Knusperhäuschen von Lips Lebkuchen: Nüsse und Rosinen kleben an der Wand, die Fensterläden lächeln in Spekulatius-Optik und die Dachrinnen in bunten Zuckerstangen-Farben möchte man am liebsten anknabbern. Die Hexe aus Hänsel und Gretel würde vor Neid platzen.

„Willkommen im Labkueche Hiesel“, hat Michel Hartiger auf die Fassade gepinselt. Jeden Tag steht er an der Rührschüssel, stanzt Figuren aus dem Teig, bemalt und verpackt Nikoläuse, Zimtsterne, Honigbrot und Lebkuchen. Fast hundert Produkte hat der 61-Jährige im Angebot. Er verwendet weder Butter noch Eier, beschränkt sich auf Honig, Zucker, Mehl, Zimt und die fünf gängigsten Gewürze. Das war schon im 18. Jahrhundert so, als die Firma gegründet wurde. „Die Menschen lieben den Geschmack aus ihrer Kindheit“, ist er überzeugt.

Jährlich 70 Tonnen Lebkuchen

Ganz wichtig ist Hartiger die Handarbeit. In der Backstube, die jeder Besucher des Geschäfts und des angegliederten Museums betreten darf, walzt ein Mitarbeiter gerade Teig, einer sticht XXL-Herzen aus, zwei Frauen schaben Printen vom Blech und stapeln sie auf einer Pritsche. Arbeitserleichterung bieten nur ein Förderband, das sich in den Ofen schlängelt, und eine automatische Waschanlage für die Bleche.

Das Geschäft läuft gut, 70 Tonnen Lebkuchen streut Hartiger jährlich unters Volk – selbst im Sommer purzeln Nikoläuse in ihre Verpackungen. Aber in der Vorweihnachtszeit rennen ihm die Touristen die Bude ein. Kegelvereine machen ihren Ausflug nach Gertwiller, Oldtimer-Clubs fahren mit dem Bentley vor, ein Ehepaar lässt sich die Ware mit dem Sackkarren zum Wagen bringen. „Es muss ja bis Ostern reichen.“

Irgendwann ging die Arbeit aus

Obwohl der Laden brummt, wird Hartiger nachdenklich, als er durch seine mit Tannenbäumen und Engeln zugekleisterten Schaufenster blickt. Im 19. Jahrhundert pusteten neun Gertwiller Betriebe den Duft von „pain d’èpices“ (Gewürzbrot) in die Elsässer Luft. Hartiger musste noch seinen Metzger-Beruf aufgeben, weil händeringend nach Lebkuchenbäckern gesucht wurde. Irgendwann gingen nicht mehr die Arbeiter aus, sondern die Arbeit. Hartiger hielt durch und profitiert nun vom neuen Hunger nach Weihnachtsgebäck aus der guten alten Zeit.

Davon profitiert auch ein modernes Museum am Ortsende von Gertwiller. Ein Lebkuchen-Männchen führt die Besucher virtuell durch die Räume. In der Hochglanzküche kann man auf Bildschirmen Rezepte abrufen, im Kinderzimmer begegnen einem Hänsel und Gretel, während im Geschenkeraum künstlicher Schnee auf Plastik-Tannen rieselt.

Gebaut wurde das Museum von der Firma Fortwenger, deren Produktionshallen gleich daneben stehen. Gerard Risch hat aus der kleinen Lebkuchen-Bäckerei seiner Schwiegereltern einen Konzern mit 60 Mitarbeitern geformt. Die vollautomatischen Backlinien spucken bis zu vier Tonnen Pfefferkuchen oder Würzbrot pro Tag aus. Der monatliche Umsatz beträgt mehr als eine Million Euro und demnächst soll auch noch ein Weihnachts-Disneyland auf der gegenüberliegenden Straßenseite entstehen. Von Januar bis Dezember werden Kinder dann mit den Weihnachtskarussells fahren, während die Eltern Plastiktannenbäume und Schneekugeln kaufen. In Gertwiller ist sowieso das ganze Jahr Weihnachten.