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Belgiens Trainer Marc Wilmots wird schon angezählt

Belgiens Trainer Marc Wilmots wird schon angezählt

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Auf Schalke eine Legende: Marc Wilmots. Foto: Getty Images
Die verdiente 0:2-Niederlage gegen Italien hat bei Belgien eine Grundsatzdebatte entfacht – im Zentrum der Kritik steht Trainer Marc Wilmots.

Paris. 

Auf dem Trainingsgelände des französischen Erstligisten Girondins Bordeaux, das die Einheimischen „Le Haillan“ nennen, hat der Rasen keine schlechten Wachstumsbedingungen. Luftzirkulation oder Lichteinfall werden nicht beeinträchtigt. Dennoch tuckert über die Spielfelder ein Traktor, auf dem ein Arbeiter im weißen Schutzanzug mitsamt Atemmaske sitzt. Der kleine Traktor zieht einen Behälter, mit dem eine offenbar nicht ungefährliche Chemikalie verspritzt wird. Wirklich vertrauenswürdig scheint das nicht zu sein, aber es taugt als Sinnbild.

Tribunal statt Pressekonferenz

Denn ist nicht wenige Meter weiter im Medienzentrum der belgischen Nationalmannschaft das Arbeitsklima bereits vergiftet? Wenn Marc Wilmots mit streng zurückgekämmtem Haupthaar und entschlossenem Blick den Zeltbau mit den weinroten Plastikstühlen und dem feuerroten Kunstfaserteppich betritt, dann schlägt ihm unverhohlen Skepsis, ja, Abneigung entgegen. Pressekonferenzen ähneln nach der 0:2-Auftaktniederlage gegen Italien einem Tribunal. Und viele Urteile sind gefällt, bevor der Weltranglistenzweite überhaupt in Bordeaux sein zweites Gruppenspiel gegen Irland (Samstag, 15 Uhr) bestritten hat.

Die viel gelesene Zeitung „Het Laatste Nieuws“ breitet die Einschätzung der irischen Stürmerlegende Tony Cascarino aus, der Salz in Wunden streut: „Die Belgier haben die Spieler, um das Turnier zu gewinnen, aber nicht den Trainer.“

„La Dernière Heure“, das französischsprachige Boulevardblatt, urteilt: Wilmots hätte seine Taktik im Italien-Spiel in der Halbzeit anpassen können, aber er hat nichts geändert. „C’est une imposture.“ Das ist Betrug, heißt es hier.

Das Wochenmagazin „Sport“ zitiert einen geheimen Informant aus Mannschaftkreisen, der über die „stereotype“ Spielweise lästert. Und Torwart Thibaut Courtois steuert ja die Aussage bei, die Squadra Azzurra habe die belgische Elf beim 0:2 auch noch „taktisch deklassiert“.

Noch ist keine Turnierwoche vergangen, da toben deswegen Grundsatzdebatten mit scharfzüngigen Vorwürfen. Und der belgische Nationaltrainer steht – im Gegensatz zum Kollegen Joachim Löw – täglich Rede und Antwort. Doch unter den fast 150 Vertretern von Fernsehen, Radio und Zeitungen scheint zumindest der flämische Teil mittendrin, sich gedanklich von Wilmots zu verabschieden. Das „Kampfschwein“ hat für sich entschieden, nun in den Kampfmodus zu schalten, der dem einen oder anderen Hochbegabten aus seinem illustren Ensemble gegen die Iren sicherlich gut tun würde.

Der 47-Jährige führt die Gegenrede in durchaus angefressener, mitunter sogar aggressiver Tonart. „Nach dem einen Spiel soll meine Arbeit plötzlich nichts mehr wert sein? Das ist mir ein wenig zu einfach!“ Er habe nicht vier Jahre lang gearbeitet, „um alles über den Haufen zu werden“.

Mehr Wundertüte denn Mitfavorit

Doch der Eindruck bleibt: Trotz Vertrags bis 2018 könnte diese Euro das Ende der Wilmots-Ära bedeuten. Und vielleicht hat der ehemalige Schalker Bundesligaprofi ja nicht zufällig nun ausgeplaudert, dass sich seine Ausstiegsklausel seit dem 30. Mai auf eine Million Euro reduziert habe. Die Nachricht fördert das Zutrauen in seine Arbeit nicht. Im Gegenteil.

Wie die komplizierte Geschichte für ein nicht geeintes Land ausgeht, ist noch nicht abzusehen. Der Turniermodus verzeiht einerseits anfängliche Fehler, andererseits sind die Belgier wohl weniger Mitfavorit denn mehr Wundertüte geworden. Unberechenbar wie das Wetter in der Hauptstadt der Region Aquitaine. Doch wenn der Starkregen allzu heftig wird, lugt kurz danach doch die Sonne wieder hervor. Vielleicht zählt ja dieses Zeichen, das von „Le Haillan“ ausgeht.