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Deutschlands jüngster Olympiasieger

Deutschlands jüngster Olympiasieger

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Foto: WAZ FotoPool

Dülmen. 

Es war der 3. September 1960, als Gelsenkirchener Kinder und Jugendliche in der Schule saßen und paukten. Einer nicht: der 13-jährige Klaus Zerta. Er lag im Boot, im Zweier des Rudervereins Gelsenkirchen, und steuerte dieses bei den Olympischen Spielen in Rom auf dem Albaner See zur Gold-Medaille – mit den inzwischen verstorbenen Bernhard Knubel und Heinz Renneberg so­wie Trainer Heinz Kawald. Et­was mehr als eine Sekunde vor der Sowjetunion und fast sechs Sekunden vor den USA.

Zu Besuch in Dülmen, in Buldern, um genau zu sein. „Wir wussten, dass wir was ganz Großes erreicht haben“, sagt Klaus Zerta. „Aber richtig zu mir gekommen bin ich auf dem Bootssteg, als die Fahne hochging und die Hymne er­klang.“ Es folgten viele, viele Momente, in denen Klaus Zerta klar wurde, dass er Olympiasieger ist. Als zum Beispiel die erwachsenen Heinz Ren­neberg und Bernhard Knubel, damals 32 beziehungsweise 22, den Triumph nicht nur mit einem Bierchen feierten. „Ich kriegte kein Bier“, sagt er. Als die Bahnhofstraße bei der Rückkehr nach Gelsenkirchen so voll war, als hätte der FC Schalke 04 zwei Jahre nach der siebten die achte Meisterschaft geholt. Oder, als er zu­rück in seiner Schule Im Lanferbruch in Sutum war und „ich für alle die Rarität war“.

„Für einen 13-Jährigen ist das alles sehr aufregend“, sagt Klaus Zerta, der mit dem Ra­sierapparat, der nach dem Gold-Rennen auf seinem Bett lag, nicht so viel anfangen konnte. In Rom sei er hin- und hergereicht worden, er musste sich mit italienischen Polizisten fotografieren lassen und auch mit Kunstturnerinnen aus den USA. Klar: Im Olympischen Dorf war Party-Stimmung. „Das war wunderbar“, sagt der 64-Jährige, der der jüngste na­mentlich bekannte Olympiasieger aller Zeiten ist – und da­ran wird sich auch nichts mehr ändern, da es inzwischen ein Mindestalter gibt, um starten zu dürfen: 14.

Der Weg zu diesem Wunderbaren war allerdings einer mit Komplikationen. Und das Trio des RV Gelsenkirchen hatte insofern Glück, als auch das zweitplatzierte Boot der Meisterschaften der Bundesrepublik Deutschland in die Ausscheidung mit den beiden besten DDR-Booten für das ge­samtdeutsche Team durfte. Zu Platz eins hatte es nicht ge­reicht, weil beim Nachbarboot die Steuerleine gerissen war. „Da mussten wir einen Bogen fahren“, sagt Klaus Zerta, „und hatten keine Chance mehr, dranzukommen.“

Aber dann: Sieg in der Qualifikation in Duisburg – verbunden mit der Nominierung für die Olympischen Spiele und viel Hektik. Aus dem Boot in die benachbarte Halle. Ein Maßband wurde angelegt. Einkleiden für Rom. Und wenn sich Klaus Zerta die Bilder in seinem Olympia-Fotoalbum an­schaut, muss er bei jenem, das ihn mit Hut beim Abflug am Düsseldorfer Flughafen zeigt, lachen. „Hätte ich keine Ohren“, sagt er, „hätte ich im Dunkeln gestanden.“

Bauleiter bei Degussa

In Rom: Sieg im Vorlauf in 7:31,64 Minuten, nach dem dem deutschen Trio klar war, dass es klappen kann, und Sieg im olympischen Finale in 7:29,14 Minuten. Mit einem Vier-Kilo-Sandsack, weil er nicht das Mindestgewicht von 50 Kilo auf die Waage ge­bracht hatte, lag Klaus Zerta, etwa 1,60 Meter groß, hinten im Boot, während alle anderen Steuermänner – da­mals klassisch – vorne saßen. Und er hatte eine Stopp-Uhr in der Hand. 15 Sekunden lang die Schläge zählen. „Und dann mal vier“, sagt er und schmunzelt. „Mit 13 kann man das ja schon.“ Es wurde ein Rennen nach Plan. „Wir hatten das Glück, dass wir vom Start bis zum Ziel vorne gelegen ha­ben“, sagt Klaus Zerta, der bis zum Jahr 2004 Bauleiter bei Degussa war, ehe er in den Vorruhestand gegangen ist.

Über einige Sprüche, was er denn da im Boot eigentlich ge­macht, ob er ein Buch ge­lesen habe, amüsiert sich Klaus Zerta heute noch. „Der Zweier ist das schwierigste Boot zu steuern“, sagt er. „Der Vierer wiegt mehr, und der Achter ist wie ein Kreuzer.“ Und weil der Albaner See nun mal ein großer See ist, galt es am 3. September 1960 auch, gegen größere Wellen zu kämpfen. „Der Zweier“, sagt er, „fängt an zu schaukeln. Man wird nass.“

Mehr als 50 Jahre liegt dieser Triumph inzwischen zurück. Und Klaus Zerta kann diese 14 Tage Rom immer noch ge­nießen. „Ich habe meinen Spaß gehabt“, sagt der heute 1,90 Meter große Mann, der nach den Deutschen Meisterschaften 1966 als Ru­derer aufgehört hat und über die Umwege Badminton und Squash zu einem leidenschaftlichen Tennis-Spieler geworden ist. Er habe sich über das Silberne Lorbeerblatt gefreut, das ihm der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke überreicht hat. Er habe Helmut Kohl kennengelernt. Und er habe auch so manche Vorteile gehabt.

Nur vermarkten konnte beziehungsweise durfte er seinen Olympiasieg 1960 nicht, weil es strenge Richtlinien gab. „Noch nicht mal die Gold-Medaille ist aus Gold. Silber vergoldet“, sagt Klaus Zerta. Eine Gold-Medaille wäre wider die Statuten zu teuer gewesen. Und so durfte er auch das An­gebot eines Elektrokonzerns nicht annehmen und sich nicht für Werbezwecke neben Mixer, Staubsauger und Waschmaschinen stellen. Er erinnert an Leichtathlet Ar­min Hary, der in Rom über 100 Meter und mit der 100-Meter-Staffel Gold gewonnen und dann für Porsche geworben hat. „Er hätte“, sagt Klaus Zerta, „seine Medaillen fast wieder abgeben müssen.“ Ist es denn nicht schade, dass die Sportler damals nicht so profitierten wie die heute? „Ach“, sagt Klaus Zerta. „Wenn ich et­was nicht ändern kann, muss ich mich nicht ärgern.“

Was hat er denn eigentlich am 3. September 2010, dem 50. Jahrestag des Olympiasieges, ge­macht? Klaus Zerta weiß es nicht. Es ist auch nicht so, dass er jedes Jahr an diesem Tag feiert. Er genießt aber, dass er wie seine Wegbegleiter von damals nicht vergessen worden ist. Zuletzt haben sie sich im Juni auf Einladung des Na­tionalen Olympischen Komitees für ein Wochenende in München getroffen: die Me­daillen-Gewinner der Spiele von Squaw Valley und Rom, unter anderem die Eiskunstläufer Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler sowie die Leichtathleten Martin Lauer und Armin Hary.

Autogramm-Post

Seine Besuche in seiner Ge­burtsstadt Gelsenkirchen sind seltener geworden. „Wenn ich aber da bin, mache ich meistens eine Rundfahrt“, sagt der Bismarcker, der dann auch das Grab seines Vaters in Sutum besucht. Seine Mutter hat Klaus Zerta in seiner Nähe, die 88-Jährige lebt in einem Altenheim in Buldern. Und wenn er nicht gerade Tennis spielt oder sich Ruder-Wettbewerbe im Fernsehen anschaut, hat er ein Hobby, das mit Sport überhaupt nichts zu tun hat: die Malerei. „Ich habe auch schon mal Bilder verkauft“, sagt er, um dann noch etwas zu erzählen, das ihn nach wie vor überrascht: „Ich bekomme immer noch Autogramm-Post.“ 50 Jahre nach dem Triumph bei den Olympischen Spielen.