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Urlaub ohne Strom und Warmwasser auf der Baumoosalm

Urlaub ohne Strom und Warmwasser auf der Baumoosalm

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Auf der Baumoosalm südlich des Chiemsees muss man ohne moderne Kommunikationsmittel, Strom oder warmem Wasser den Tag meistern.

Essen. 

Nichts. Kein Strom, kein warmes Wasser, kein Schalter, auf den man drücken kann. Und auch sonst wenig von dem, was unser Leben normalerweise angenehm macht. Wir sind auf der Baumoosalm südlich des Chiemsees, ziemlich genau 1250 Meter über dem Meeresspiegel und der Norddeutschen Tiefebene, unserer Heimat. Geeske, meine 14-jährige Tochter, ist freiwillig mitgekommen. Vier Tage ohne Handy, Fernseher und Musik. Ihr erster Eindruck: „Es riecht nach Weihnachten.“

Und nun? Eigentlich müssen wir nicht viel tun, nur irgendwie den Tag meistern. Also Holz hacken, Brot backen und die Zutaten für die nächste Mahlzeit besorgen. Dabei hilft uns Alois Sonnenhuber, unser Gastgeber. „Lasst uns Schwammerl sammeln.“ Zwei Stunden grasen wir die Hänge und Wälder ab. Die Ausbeute: zwei Steinpilze, ein Hexenröhrling und viele Edelreizker – das Abendbrot ist gesichert.

Die Hütte ist 250 Jahre alt

Im Esszimmer bollert der Holzofen. Es wird dunkel. Alois entzündet rund 100 Kerzen und Teelichter mit extra langen Sicherheitszündhölzern. Fast eine halbe Stunde ist er dafür im Haus unterwegs. Geeske will noch duschen, ein Abenteuer für sich. Erst muss das Wasser auf dem Ofen erhitzt werden. Dann wird es mit einem Seilzug in einen Kübel über der Dusche befördert. Zehn Liter müssen reichen.

Später dann – Geeske liegt bereits im Bett und schaut durch das Dachfenster in den Sternenhimmel – holt Alois zwei Flaschen Bier aus seinem Felsenkeller, soviel Konzession an die Welt da draußen muss sein. Er ist jetzt 55. Fast 20 Jahre hat er in der IT-Branche gearbeitet, zuletzt in führender Position. Die Hütte kennt er bereits länger. Über 250 Jahre ist sie alt. Bis vor drei Jahren war es noch eine klassische Almhütte mit kleiner Küche und großer Stallung. Fast alles hat Alois selbst gemacht, wie es sich für einen gelernten Schreiner gehört. Sogar eine Sauna hat er eingebaut. Alt und urig ja, aber auch Komfort – mit bequemen Betten.

Am nächsten Morgen. Die Dielen knarren, Alois heizt ein. Wir blicken aus dem Dachfenster ins Tal, oder besser: in Richtung Tal. Ein paar Baumspitzen ragen aus einer dicken Wolkendecke hervor. Langsam arbeiten sich die Wolken den Berg hoch, verschlingen die Alm, hüllen uns ein. Kleine Welt.

Besuch kommt. Ursula Grießer, eine Biologin, hat ihre „Bibel“ dabei, ein Buch über essbare Wildpflanzen. Die Vogelmiere zum Beispiel, ein Wildgemüse, das komplett mit Stiel verzehrt werden kann und leicht nussig schmeckt.

Urlaubstagebuch wieder in Mode

Vor allem aber sammeln wir Brennnesseln, denn die sind reich an Magnesium, Kalium, Eisen und diversen Vitaminen, sagt Ursula. Gemeinsam mit Geeske bereitet sie einen Salat aus Brennnesseln, Öl, Zwiebeln und Salz. Wäre die Jahreszeit günstiger, würde sie am nächsten Morgen noch eine Vogelstimmentour anbieten. So aber können wir ausschlafen. Geeske schreibt noch schnell ein paar Zeilen in ihr Urlaubstagebuch. WhatsApp war gestern.

Der dritte Tag. Die Wolken haben sich verzogen. Ich versuche, faul zu sein. Ein verstohlener Blick aufs Handy. Es hat einen schwachen Empfang, aber nicht mehr lange, dann ist der Akku leer. Und Aufladen geht nicht. Besser gar nicht erst anfangen mit diesem Selbstbetrug.

Wenn Alois von seiner Alm erzählt, fällt über kurz oder lang das Wort von der „guten Energie“. Die will er weitergeben. Manchmal kommen gestandene Manager zu ihm und bereiten Gänseblümchensalat. Auch ohne Rucksack bringt jeder sein „Packerl“ mit hoch, sagt Alois, große und kleine Sorgen. Er hat sich weitergebildet und unter anderem eine Ausbildung zum „Lebensspiegel-Anwender“ gemacht. Sein Ziel: innere Anklagen bewusst machen und auflösen. Das bietet er an – kein Muss.

Der vierte Tag. Mit einer Kuhglocke weckt uns Alois morgens gegen Vier zur „Sonnenaufgangstour“, einem Klassiker in seinem Angebot. Die Sonne wartet nicht, in drei Stunden müssen wir oben auf dem Gipfel des Brünnsteins sein, einem der bekanntesten Berge in der Region. Also: Katzenwäsche, kurzes Frühstück, und los. Ein fast meditatives Wandern im Schein unserer Stirnlampen. Kurz vor Sieben erreichen wir den Gipfel. Das Inntal können wir unter der geschlossenen Wolkendecke nur erahnen – egal. Geeske hockt vor einer kleinen Kapelle in 1619 Metern Höhe und beißt in einen Apfel, rundum zufrieden mit sich und der Welt.

PS: Als wir Silvester zusammensitzen, frage ich, was im abgelaufenen Jahr richtig gut war. Die Alm, sagt Geeske. Ihr Handy hat sie seither seltener in der Hand.