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Unglücksstelle der Costa Concordia wird zum Topreiseziel

Unglücksstelle der Costa Concordia wird zum Topreiseziel

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Wenige Monate nach dem Costa-Concordia-Unglück ist das Wrack zum Top-Ausflugsziel für Touristen geworden. Die Bewohner der Insel Giglio sind verärgert, sie fordern die schnellstmögliche Bergung des Wracks. Doch wann die Costa Concordia geborgen wird, ist offen.

Giglio. 

Schon vor Ankunft im Hafen von Giglio werden die ersten nervös. Sie besetzen die besten Plätze auf der Fähre, schrauben ihre Teleobjektive auf die Kameras, zücken die Feldstecher. Dabei bleibt dem Fährschiff Giuseppe Rum doch gar nichts anderes übrig, als aufreizend nah um die Costa Concordia herumzusteuern. Schließlich liegt der umgekippte Dampfer wie ein gestrandeter Wal genau vor der Hafeneinfahrt.

Das größte jemals auf ein Riff gelaufene Schiff zum Greifen nah: Für die Touristen in der Toskana ist die havarierte Costa Concordia zum Top-Ausflugsziel geworden. Vor allem an Wochenenden kommen etwa tausend Gäste mehr als sonst, schätzt Elio Mauro von der Fährgesellschaft. Für Fährlinien, Cafés und Souvenirverkäufer entlang der Promenade ist das ein gutes Geschäft.

Postkarten beschlagnahmt

Die Einwohner von Giglio dagegen sind es leid. Gegen die Menschen, die sich zum Familienfoto mit dem Schiffswrack in Pose werfen, lässt sich wenig tun. Der Bürgermeister hat immerhin Schilder anbringen lassen, dass die verehrten Gäste doch bitte den Respekt vor den Opfern der Tragödie und ihren Familien nicht vergessen mögen. Und die hastig auf den Markt geworfenen Postkarten mit dem Bild des Wracks ließ er verärgert beschlagnahmen.

Costa-Concordia-UnglückFür die Hilfe in der Nacht des 13. Januar, als 4200 Schiffbrüchige von nicht mal 500 Insulanern aufgenommen und mit trockener Kleidung ausgestattet wurden, nehmen Bürgermeister und Pfarrer europaweit Ehrungen entgegen. Die Dankesschreiben an der Kirchentür hat Don Lorenzo Pasquotti aber mittlerweile weggeräumt.

„Die Gaffer brauche ich nicht“

Das kleine Hotel Demo liegt direkt gegenüber der Unglücksstelle. Der Hotelstrand ist gesperrt. Auf der Hotelterrasse hatte das Fernsehen monatelang ein improvisiertes Studio betrieben. Hotelmanager Claudio sagt: „Derzeit können wir nicht klagen, normalerweise hätten wir erst Ostern aufgemacht.“ Dieses Jahr ist er bereits seit Januar ausgebucht. Erst von den Schiffbrüchigen, dann von Journalisten. Und jetzt hat ein Bergungsunternehmen das ganze Hotel für seine Mitarbeiter gebucht.

Wie lange es noch dauert, bis die Concordia weggeschleppt wird, ist offen – bis zu einem Jahr kann es sich noch ziehen. Das bestätigten Zivilschutz-Kommandant Franco Gabrielli und Tourismusminister Piero Gnudi. Der wirbt für Urlaub auf der Insel: Giglio sei doch mehr als die Costa Concordia. Was Politiker halt so sagen.

Andererseits: Wenn man in die entgegengesetzte Richtung des Wracks geht, dann ist Giglio Porto fast wie früher. Da sitzen die Ortshonoratioren beim Kartenspiel vor dem Cafè. Ein paar Meter weiter kocht Claudio Bossini in der Osteria La Paloma seine „cucina spontanea“ und knurrt zwischen seinen Kochlöffeln hervor: „Die Gaffer brauche ich nicht. Die trinken ja nicht mal einen Kaffee, bevor sie wieder fahren.“

Oldtimer-Motorradhoch oben auf der Burg

Mit jeder Kehre, die sich der kleine blaue Inselbus hinaufschraubt vom Hafenort zum bildhübschen Burgdorf Giglio Castello, wird der Schiffskadaver vor der Hafeneinfahrt unwirklicher. Ganz oben wohnt Elisabetta Nanni. Sie ist Vizevorsitzende des örtlichen Verkehrsvereins und vermietet selbst vier Zimmer. Doch was heißt hier Zimmer? Ihr gehört ein Teil der alten Burg, der höchste bewohnte Punkt von Giglio. Und eines der Gästezimmer war im neunten Jahrhundert eine Mönchszelle. Im Burggarten unter Kirsch- und Feigenbäumen hat sie sich mit einem Oldtimer-Motorrad und anderer Kunst eingerichtet. Die blumenumrankte Bastion gestattet einen aufsehenerregenden Tiefblick auf die Küste und – ja, man muss es sagen – auch auf das Wrack.

Aber Nanni mag gar nicht mehr hinsehen. „Es muss weg. Es gehört da nicht hin.“ Sie empfiehlt ihren Gästen lieber die Badebucht Campese an der Westseite und die verschwiegenen Tauchgründe um den einsamen Leuchtturm. Nach dem Frühstück macht sie Lust auf eine Tour über die Mountainbike- und Wanderwege zu den wilden Weinbergen des Ansonica-Weins, der nur auf der Insel wächst. Aber vor allem vermittelt sie ihren Gästen dieses spezielle Inselgefühl. „Man braucht zwei oder drei Tage, um die Festlandshektik loszuwerden“, weiß sie. Und: „Hoffen Sie mit uns, dass dieses schreckliche Schiff so schnell wie möglich wegkommt.“