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Rikscha: Haben Vietnams Fahrradtaxis ausgedient?

Rikscha: Haben Vietnams Fahrradtaxis ausgedient?

Rikscha
Tran Viet Dac, der seit 25 Jahren Fahrradrikschas durch die Altstadt von Hanoi fährt, wartet auf Kundschaft für sein Cyclo. Foto: Carola Frentzen/dpa
In Kolonialzeiten waren Fahrradrikschas in Vietnam das populärste Verkehrsmittel. Heute gibt es in der Millionenstadt Hanoi nur noch 100 Stück.

Hanoi. 

In der malerischen Altstadt von Hanoi tummeln sich Heerscharen von Motorrädern, manchmal beladen mit ganzen Familien oder dem halben Hausrat.

Das Leben in Vietnams Hauptstadt pulsiert, Autos hupen, Touristenbusse bahnen sich mühsam ihren Weg entlang des blauen Hoan Kiem Lake. Wer mit Tran Viet Dac unterwegs ist, entdeckt hingegen den Charme der Langsamkeit: Eine Tour mit seiner Fahrradrikscha ist wie ein Sprung in eine längst vergangene Zeit.

Für die Fahrer ist es Schwerstarbeit

Der 65-Jährige tritt ordentlich in die Pedale, obwohl das Thermometer 36 Grad zeigt und die Luftfeuchtigkeit fast den Atem nimmt. In gemächlichem Tempo ziehen die Bäume auf den breiten Alleen und die verschachtelten, bunten Häuser in den engen Gassen vorbei. Für Tran Viet Dac bedeutet jeder Kunde hingegen nicht nur Geld, sondern auch Schwerstarbeit – speziell in der heißen Regenzeit von Mai bis September. Als sein betagtes Dreirad schließlich zum Stillstand kommt, ist der zierliche Mann schweißgebadet.

«Ich mache das nun schon seit einem Vierteljahrhundert», erzählt er. Am mühsamsten sei der Antritt. Wenn die Rikscha einmal rolle, dann sei alles gut. Sein nasses Hemd verrät dennoch, wie anstrengend der Job ist. Zwei oder drei Jahre will er noch strampeln, dann plant er, für den wohlverdienten Ruhestand in sein Heimatdorf 100 Kilometer nördlich von Hanoi zurückzukehren.

Die «Cyclos», wie die zweisitzigen Vehikel hier heißen, sind alt und haben weder eine Gangschaltung noch sonstige Hilfsmittel, die den Fahrer entlasten würden. Mit den ultramodernen Dreirad-Taxis, die heutzutage in Berlin, Paris oder London verkehren, haben sie wenig gemein. Manche ältere Semester stöhnen unterwegs so laut, dass es Ausländern manchmal fast unangenehm ist, sich so chauffieren zu lassen – auch wenn die geschichtsträchtige Spritztour an sich großen Spaß macht.

Es werden immer weniger

Obwohl das Land mittlerweile im Zuge der Corona-Pandemie wieder ganz unkomplizierte Einreiseregeln hat, sind internationale Touristen in Hanoi noch rar. Die Rikschas haben dennoch sporadisch Kundschaft: Reisende aus dem weit entfernten Ho Chi Minh City (früher: Saigon), wo die Cyclos schon länger ausgedient haben, nutzen ihren Besuch gern für eine Fahrt mit dem Nostalgiegefährt.

«Es gibt zwei Gründe, warum die Leute unsere Rikschas lieben», sagt Nguyen Huu Thu, Chef der Firma «Huy Phong Company», die 50 – und somit die Hälfte – der noch verkehrenden Modelle managt. «Zum einen ist es ein sehr langsames und zudem umweltfreundliches Fortbewegungsmittel – wie gemacht, um Fotos zu schießen. Zum anderen können die Fahrgäste so das frühere Leben in Hanoi auferstehen lassen und in die Vergangenheit eintauchen.»

Dennoch: Die Gefährte werden immer rarer. Vor 20 Jahren seien noch mindestens 300 Rikschas durch die quirlige Altstadt gefahren, erzählt Nguyen Duc Manh, der ein Team von Fahrern betreut. Jetzt sei gerade noch ein Drittel davon übrig. «Das hat natürlich vor allem damit zu tun, dass die Zahl anderer, schnellerer Transportmittel so explodiert ist», sagt der 60-Jährige. Aber es sei auch immer schwerer, junge Männer für den Beruf zu begeistern. «Die Arbeit ist strapaziös, die meisten wollen heute andere Jobs machen.»

Laufrikscha war selbst für Kolonialherren zu brutal

Auch die Pandemie hat den Berufsstand nicht gerade populärer gemacht. Wegen der Lockdowns waren die Lenker monatelang ohne Verdienst. Viele haben ihre gesamten Ersparnisse aufgebraucht und mussten in ihre Dörfer auf dem Land zurückkehren, wo das Leben günstiger ist als in der Hauptstadt. So auch Tran Viet Dac, der erst seit Mitte März wieder in Hanoi in die Pedale tritt. Aber so richtig rund läuft das Geschäft noch nicht. «An guten Tagen habe ich bis zu zehn Fahrten, an schlechten keine einzige», erzählt er.

Alle sechs Monate gibt es eine Art Cyclo-TÜV. Über die zuständigen Betreiberfirmen wird aber nicht nur die Fahrtüchtigkeit der Stahlrösser, sondern auch die Gesundheit der Fahrer gecheckt. «Es ist wichtig, dass die Fahrradrikschas sicher und sauber sind, aber auch, dass die Lenker fit genug sind, um sie zu steuern», sagt Unternehmenschef Nguyen Huu Thu.

Die in Japan erfundenen Rikschas wurden Historikern zufolge 1883 in Vietnam eingeführt. Damals handelte es sich noch um handgezogene Modelle – eine später fast überall als unmenschlich anerkannte Transportmethode. In den ersten Jahren nutzten vor allem europäische Kolonialherren und -damen im damaligen Französisch-Indochina die Laufrikschas. Aber selbst die fanden diese Art der Personenbeförderung irgendwann zu brutal. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzten sich deshalb immer mehr die mit Pedalen betriebenen Versionen durch. Laufrikschas werden heute übrigens noch immer im indischen Kalkutta benutzt.

Wo also steuert Hanois verbleibende Cyclo-Flotte hin? «Das pittoreske Old Quarter ist groß, hat aber auch viele winzige Gassen – für Autos zu klein, aber für Fahrradrikschas gerade richtig», meint Huu Thu. Er ist überzeugt, dass der Tourismus in der seit 1999 zum Weltkulturerbe der Unesco gehörenden Altstadt bald wieder voll durchstarten wird – und vor allem Deutsche, Franzosen und Australier das Geschäft ankurbeln werden. Um den Zauber richtig zu genießen, gehöre eine Tour mit einem der berühmten Dreiräder einfach dazu. Und was sagt Cyclo-Fahrer Tran Viet Dac? Er lacht voller Optimismus: «Ich habe keinen Zweifel, unsere Fahrradrikschas wird es auch in 100 Jahren noch geben.» (dpa)