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Flensburg ist mehr als nur „die Stadt mit dem Plopp“

Flensburg ist mehr als nur „die Stadt mit dem Plopp“

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Foto: picture-alliance/DUMONT Bildarchiv
Wer Flensburg erkunden will, hält sich am besten an eines der Originale, von denen man hier noch viele findet. Nordischen Schnack gibt es gratis dazu.

Flensburg. 

S

sssünde“, sagt Emilie Hansen im Oluf-Samson-Gang, der früher mal das Zentrum des Rotlichtviertels war, und wo doch tatsächlich noch immer zwei Damen dafür sorgen, dass es angemessen flenst an der Förde. Frau Hansen alias Ruth Rolke, stets mit Federhut, Häkelbüdel und Paraplü unterwegs, ist Petuh-Schnackerin. Sie besüsselt mit ihren Sprüchen vorwiegend Besucher von außerhalb. Wir werden später erklären, was es mit all’ dem auf sich hat. Denn: „Nun sollen wir mal sehen und kommen endlich los!“ Von der Roten Laterne zur Roten Straße. Idyllische Gänge und Höfe zweigen von Flensburgs schönster Altstadtgasse ab: der Krusehof, der Blumenhof, der Sonnenhof. Handwerker, Galeristen, Künstler und Lebenskünstler haben sich hier angesiedelt.

Einer, der in jede dieser Kategorien passt, ist Walter Braasch. Seit 30 Jahren sorgt er als ideenreicher Rum-Treiber und Chef des urigen Gängeviertels dafür, dass dieser Mikrokosmos nahezu global bekannt wurde und trotzdem ganz flensburgisch geblieben ist. Wir kommen auf ihn zurück. Frank Petry, Geschäftsführer des Historischen Hafens, FL-Urgestein, Segler von Kindesbeinen an, U-Boot-Fahrer, Patent in der Marineschule Mürwik. Einer, der erst in Fahrt kommt, wenn jemand den Salondampfer „Alexandra“ (nur eine Schraube), Stolz aller Flensburger Maritim-Nostalgiker, zum Schwesterschiff des Hamburger Staatsdampfers „Schaarhörn“ (zwei Schrauben) erklärt. Auch über Herrn Petry wird noch zu reden sein.

Wahre Werte erfordern einen näheren Blick

Henrik Vestergaard, den wir im Restaurant Borgerforeningen treffen, dem Vereinslokal der Dänen, in dem sich auch alle anderen Flensburger wohl fühlen, ist womöglich der bekannteste Däne in der Grenzstadt: Lehrer an der Volkshochschule, Stadtführer für Dänen, Deutsche und alle anderen, Geschichtenerzähler und (fast) typischer Grenzland-Bürger. Wer mit ihm durch die Stadt zieht, kommt kaum zu Wort, denn er weiß alles über das Hin und Her dieser Stadt und ihrer Bürger. Wir werden ihn nachher noch an einen Ort begleiten, der für beide Seiten von emotionaler Bedeutung ist.

Die Herren Braasch, Petry, Vestergaard und die Dame Hansen-Rolke: Typen allesamt. Wir könnten noch ein Dutzend mehr von dieser Qualität aufzählen. Sie stehen für eine Stadt, die ihre Fans schon lange für die schönste im hohen Norden halten, für die lebendigste und vielseitigste, für eine Marke in dem Sinne, wie etwa die Berliner jemanden nennen, den sie bewundern und bestaunen. Markenkern waren über Jahrhunderte der Rum aus der Karibik und das Bier, das irgendwann als Bölkstoff in die Szene floss. Viel später kamen die Punktesammler vom Kraftfahrt-Bundesamt und Beate Uhse hinzu, Pionierin hautnaher Kontakte in Flensburg. Der Sex-Boom hat sich längst verlaufen, auch über die Punkte in Flensburg wird kaum noch gesprochen, jedenfalls nicht hier oben. Nur der Rum und das Bier mit dem Bügelverschluss werden noch landesweit mit Deutschlands nördlichster Metropole verbunden. Aber die wahren Werte, verbunden nicht nur mit der Spitzen-Lage, erfordern den näheren Blick.

Feldsteinkeller aus dem 13. Jahrhundert

Heften wir uns also an die Fersen dieser Flensburger Originale. Lassen wir uns zunächst von Frau Hansen die Welt erklären. Ruth Rolke gibt als Stadtführerin die Petuhtante, als säße sie wie einst ihre Schwestern im Geiste auf einer Förde-Fähre. Damals, lang ist’s her, besaßen nämlich die meisten Damen der lokalen Society eine Dauerkarte, eine Card passe partout, für die Schiffe der Flensburg-Ekensunder-Sonderburger Dampfschiffahrts-Gesellschaft, im Volksmund: „Vereinigte” genannt. Damit konnten sie über die Förde schippern. An Bord wurde ausgetauscht, was ihnen so im Kopf rumspöken tat, Tratsch und Tinneff vom Feinsten. Aus passe partout wurde Petuh, aus den Ticket-Besitzerinnen die Petuh-Tanten. Und die sind bis heute Kult, obwohl es sie nur noch im Kabarett oder als Stadtführerinnen gibt. Ruth Rolke (Frau Hansen) holt ihre Gäste am Kai vor der „Alex“ ab, man bummelt vom Westufer der Förde zum Nordertor. Zwischendurch Schnacks und Döntjes, Wahres und echt Wahres.

Zwei Welten: Mulitikulti in der Norderstraße mit ihren originellen Läden, einer etwas schrägen, alternativen Atmosphäre und dem Geheimnis der hängenden Schuhe. Die baumeln über der Straße, sind zur Sehenswürdigkeit geworden, und jeder hat eine andere Erklärung für das Phänomen. Und, nur 100 Meter nach Süden, über den Nordermarkt mit dem Neptunbrunnen, Wechsel in die Fußgängerzonen Große Straße und Holm: Cafés, gutbürgerliche Restaurants, Läden mit einem Hauch von Chic. Schließlich der Südermarkt zu Füßen von St. Nikolai. Gleich um die Ecke beginnt die Idylle, die Rote Straße, in der Walter Braasch den Rum zwar nicht neu erfunden, ihm aber einen zeitgemäßen Rahmen verpasst hat: Probierstube, eigene Kreationen, Fässer im Feldsteinkeller aus dem 13. Jahrhundert, ein Museum mit Filmen und Dokumenten aus der ehemaligen Kolonie Dänisch-Westindien, einer Keimzelle der Flensburger Rumkultur. Als Walter Braasch in den 70er Jahren seine Destillateur-Lehre begann, gab es noch 26 Rumfabriken an der Förde. Übrig geblieben ist neben ihm nur die Traditionsmanufaktur A.H. Johannsen, die in einem alten Kaufmannshof ebenfalls Rumsorten herstellt, einen Steinwurf entfernt von der Hafenmeile.

Höhen und Tiefen einer Grenzstadt

Dort, an der Schiffbrücke 27, hält Kapitän Frank Petry die Fäden zusammen, die die gemeinnützige Gesellschaft Historischer Hafen festzurren. Fördervereine wie die des Schifffahrtsmuseums, des Salondampfers Alex oder des Museumshafens gehören dazu – und 1700 Mitglieder, jeder zehnte ein ehrenamtlicher Helfer. Petry und seine Mitstreiter halten die Segel im Wind und die Maschinen am Laufen, mit Kompetenz und Herzblut.

Flensburg hat, wie jede Grenzstadt, Höhen und Tiefen erlebt. Der Besucher kann sie nachvollziehen, sogar geografisch. Mit Henrik Vestergaard, dem Muster-Dänen mit neuem Doppelpass, klettern wir zum Museumsberg hoch, zum Alten Friedhof und zum Idstedt-Löwen. Er erinnert in einer wie verwunschen wirkenden Parklandschaft an eine deutsch-dänische Schlacht aus dem Jahre 1850, mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Und er schaut auf eine Stadt hinunter, die längst zum Symbol eines harmonischen Miteinanders geworden ist. Auf der anderen Seite, dem Museumsberg und auch der Schiffbrücke gegenüber, ziehen sich bunte Häuser den Stadtteil Jürgensby.

Unterhalb dieses Viertels mit Blankenese-Anklang lassen wir den Besuch am alten Fischereihafen ausklingen, mit Blick auf das Westufer und die bunte Hafenmeile. Ein alter Herr setzt sich dazu, ehemaliger Seemann. Moin moin, sagt er, und reicht eine Flasche rüber: „Auf alles, was gut ist!“ Es macht Plopp, es flenst, und mehr gibt es nicht zu sagen.