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Wie die Deutschen die Gratistoilette abschafften und wie sie sie jetzt wieder suchen

Gratistoiletten kann man in Deutschland inzwischen suchen

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Bahnhoftoiletten in Recklinghausen Foto: WAZ Foto-Pool, Joachim Kleine-Büning
Der 19. November ist Welttoilettentag. An ihm wird an die lebensbedrohlichen Hygienemängel in Entwicklungsländern erinnert. Dass in Deutschland die öffentliche Gratistoilette selten geworden ist, ist da eher eine Randnotiz. Zumal viele Deutsche Smartphones haben.

Berlin/Essen. 

Für mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung sind Toiletten so gut wie unerreichbar. Anfang des Jahrtausends hat man daher den Welttoilettentag ins Leben gerufen, um unser Bewusstsein für dieses Problem zu schärfen. Mehr als 2,6 Milliarden Menschen leben ohne ausreichenden Zugang zu Toiletten – mit verheerenden gesundheitlichen Folgen. „Wir müssen“, erklärte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, „sanitäre Anlagen für alle zu einem Hauptziel der weltweiten Entwicklung machen.“ In diesem Jahr ist der Welttoilettentag erstmals ein offizieller Termin der Vereinten Nationen.

In Deutschland ist der Zugang zu sanitären Anlagen weißgott gewährleistet, aber ein Trend lässt sich doch beobachten: Seit Mitte der 90er-Jahre gibt es immer weniger öffentliche Toiletten, die gratis zu nutzen sind. Wer wenig Geld hat oder wenig Hemmungen, der verrichtet sein Geschäft daher schon mal in dunklen Ecken. Keine Gefahr für Leib und Leben geht davon aus, aber ein Ärgernis ist es wohl doch.

Von der No-Go-Area zur Wohlfühloase: die Bahnhofstoilette

Der Inbegriff der schäbigen Bedürfnisanstalt war früher die Bahnhofstoilette. Doch das ist Vergangenheit. Seit ihrer Privatisierung 1994 trennte sich die Bahn auch von den kostenlosen Toiletten in ihren Bahnhöfen. Sie werden heute alle von externen Unternehmen betrieben, die selbst die Eintrittspreise festlegen.

Für manche Bahnhofstoilette begann damit der Aufstieg von der No-Go-Area zur vollbeschrankten Wohlfühloase, zu der man nur mit dem nötigen Kleingeld vorgelassen wird. Den Einwand, dass das manche Männer zum Wildpinkeln verführt, weist die Bahn zurück. Mancher Fahrgast ist aber schon unangenehm überrascht worden, wenn er im Bahnhof einen Aufzug betrat.

Abschied von einer kommunalen Aufgabe: die Städte Essen und Dortmund

In Essen beschloss 1993 der Rat die Schließung aller städtischen Toilettenhäuschen – aus Geldmangel und weil die Bereitstellung von Toiletten „keine kommunale Pflichtaufgabe“ sei. Seither sind Besucher auf Restaurants (oft gegen einen Beitrag) und städtische Einrichtungen wie zum Beispiel die Büchereien angewiesen. Wer das Rathaus trotzdem in der Verantwortung sieht, kann das zeigen: Die Rathaustoilette steht während der Amtszeiten auch für Besuche von draußen offen.

Auch Dortmund hat sich vor vielen Jahren vom Betrieb eigener öffentlicher Toiletten zurückgezogen. Die Stadt verweist heute darauf, dass auf ihrem Gebiet 14 Toilettenhäuschen des Anbieters Wall stehen – vollelektronisch, aber auch vollkommerziell mit einer Benutzungsgebühr von 50 Cent. Die öffentlichen Bedürfnisanstalten zu unterhalten – das war eine Herkulesaufgabe, der man in der Stadtverwaltung nicht nachtrauert: Ein Sprecher erinnert ohne jede Wehmut an zerbrochene Keramik, abgerissene Wasserhähne und verstopfte Toiletten.

Inzwischen fast überall: der kommerzielle Anbieter Wall

Wie in Dortmund, so hat das Werbe-Unternehmen Wall noch in 34 weiteren deutschen Städten das öffentliche Sanitärwesen übernommen. Darunter ist auch der Firmenstandort selbst: Berlin steckte bis 1998 jährlich 30 Millionen Mark in den Unterhalt seiner Bedürfnisanstalten, dann beauftragte der Senat Wall mit der Sache.

Das Unternehmen betreibt heute nach eigenen Angaben fast 250 gebührenpflichtige Toilettenhäuschen in Berlin. Wer sie benutzt, mag dabei den malerischen „Café Achteck“ aus der Kaiserzeit nachtrauern, aber bei Gehbehinderten liegen die modernen Kisten wahrscheinlich vorne.

Kein Witz und keine Zukunftsmusik: das Smartphone mit Klo-Funktion

Auf das Verschwinden der Gratistoilette aus dem öffentlichen Raum reagierte die Informationsgesellschaft mit der Entwicklung von Suchmaschinen. Es sind Internetportale wie „www.gratispinkeln.de“ oder Smartphone-Applikationen wie „Toiletten Finder“ und „loo2go“ („loo“ ist der feine englische Ausdruck für Toilette). Alle diese Dienste beantworten heute diskret zwei wichtige Fragen: Wo kann man, wenn man muss? Und will man überhaupt, wo man darf? Denn wie bei Hotels und Büchern fließen auch bei Toiletten die Bewertungen anderer Nutzer mit ein.

So zeigt zum Beispiel die Applikation von „Loo2go“ 25 Toiletten im Umkreis von 20 Gehminuten rund um unsere Redaktion an der Essener Friedrichstraße. Zu jeder Toilette gibt es Noten. Die Toilette im U-Bahnhof des Essener Hauptbahnhofes etwa ist schon von elf Besuchern bewertet worden. Nicht alle Kunden waren zufrieden, andere Örtchen erzielten deutlich bessere Noten als 4,6. Trotz des Eintrittspreises von 70 Cent. Oder wegen?

Hinaus in die Welt mit frepee.org: Der Dienst funktioniert auch im Ausland

Das Internetportal „www.gratispinkeln.de“ hat einen internationalen Ableger. Er heißt „www.freepee.org„. Wer eine frei zugängliche Toilette zum Beispiel auf dem indischen Subkontinent sucht, der wird hier fündig: Das Nationale Eisenbahnmuseum in Neu-Delhi hat nämlich eine, ein Besucher bewertete sie als „ziemlich sauber“. Leider ist sie auch die einzige angezeigte Toilette in ganz Indien. Am Welttoilettentag will man hoffen, dass das eine Unzulänglichkeit des Webdienstes ist, nicht des Landes.