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„Science Slam“ sucht den unterhaltsamsten Wissenschaftler

„Science Slam“ sucht den unterhaltsamsten Wissenschaftler

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Foto: Kai kitschenberg
Beim „Science Slam“ können Wissenschaftler ihre Arbeit unterhaltsam präsentieren. Die Deutsche Meisterschaft im Konzerthaus Dortmund ist ausverkauft.

Dortmund. 

„Die dümmsten Bauern haben die größten Kartoffeln?“ ist schon mal kein ganz schlechter Vortragstitel, wenn es eigentlich um die Sinnsuche eines theoretischen Physikers geht. Oben auf der Bühne steht Martin Schrön, schleudert zu klein geratene Kartoffeln ins entzückte Publikum („Die wuchsen mit eigenem Mist“) und erzählt, warum eine gesunde Mischung aus Astrophysik-Studium und gießen, gießen, gießen zu größeren Kartoffeln führen kann.

Am Ende des Vortrags hat er seinen Einstiegssatz („Bisher war’s lustig, jetzt kommt Physik“) widerlegt, am Ende des Abends ist der Mann aus Leipzig Deutscher Meister geworden. Nein, nicht mit besonders großen Kartoffeln.

Sie haben zehn Minuten Zeit

Sondern mit dem witzigsten Vortrag. Gehalten auf dem Finale im „Science Slam“. Das ist ein Wettbewerb, bei dem vor allem jüngere Wissenschaftler oder fortgeschrittene Studenten mit launigen Kurzvorträgen gegeneinander antreten – „Quarks und Co“, nur viel, viel lustiger und auf offener Bühne, und am Ende entscheidet das Applausometer. Über den besten Doktor Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bühne zu lieben.

Sie haben zehn Minuten Zeit, Herzklopfen und ein Publikum wie sonst nie: Vergleichsweise Ahnungslose auf dem jeweiligen Gebiet sitzen vor ihnen, Laien, die lachen und zugleich was lernen wollen. Von diesem Dortmunder Abend im ausverkauften Konzerthaus nehmen die etwa mit, dass man Herzrasen nicht mähen kann, wie der Marburger Mediziner Johannes von Borstel umstandslos beweist.

„Das Herzblut zeigen, das darin steckt“

„Es geht darum, die eigene Arbeit zu zeigen und das Herzblut, das darin steckt“, sagt Sabine Hornung hinter der Bühne. Die Frau ist Archäologin und als solche auf Partys immer zwei Fragen ausgesetzt: der nach Dinosauriern und der nach Schätzen, die sie doch bestimmt schon mal fand? Aber beide spielen in der Archäologie eine ausgesprochen untergeordnete Rolle – anders als Ton, Steine, Scherben, wie gleich zu sehen sein wird.

Denn jetzt steht die Mainzerin in Leder auf der Bühne, angezogen wie Lara Croft, Pistole in der Rechten; „Ein Quantum Erde“ ist ihr Thema. Und damit die Frage, ob die Reste einer Festung im Hunsrück aus den Jahren um 50 vor Christus barbarisch oder römisch waren. „Archäologie ist die hohe Kunst, im Dreck zu buddeln und Dinge zu sehen, die nicht mehr da sind.“ Und da haben sie auf der Basis allgemeiner Lebenserfahrung – „Wo viele Kerle sind, ist viel Alkohol“ – Scherben gesucht und Scherben gefunden. Von Weinamphoren römischer Herkunft. Julius Caesar war in Hermeskeil!

Ein neues Gesicht von Wissenschaft

„Science Slam“ ist in Deutschland entwickelt worden, nicht ganz überraschend von einem Verständlichkeitsforscher. Alexander Dreppec wollte der Wissenschaft ein neues, unterhaltsames und verständliches Gesicht geben und bat 2006 in Darmstadt erstmals mehrere Kollegen auf die Bühne. Heute gibt es jährlich um die 60 organisierte Abende in ganz Deutschland, auch in allen Unistädten des Ruhrgebiets, oft im Umfeld von Hochschulen oder Verlagen. Im August 2013 wurde das Format gar nach Amerika exportiert: nach New York. Schafft Science Slam es da, schafft er es überall.

Die etablierte Wissenschaft stand dem erst, sagen wir, zurückhaltend gegenüber, es gab das Vorurteil, die Vorträge seien eventuell etwas unterkomplex. Aber das hat sich gebessert: „Letztes Jahr wurde ich für die Weihnachtsfeier bei unserem Max-Planck-Institut gebeten, so einen Vortrag zu halten, das war das Schlimmste überhaupt“, sagt der Neurowissenschaftler Dong-Seon Chang aus Tübingen. Dann haben sie es aber doch gemocht.

Alles ist erlaubt:außer Langeweile

Wie auch nicht? Alles ist ja erlaubt: Da spielen Teilnehmer Klavier, sie werfen Asterix-und-Obelix-Bilder an die Wand oder verpixelte Fotos aus japanischen Tentakelerwachsenenfilmen, sie schießen spielerisch ins Publikum oder lassen filmisch einen Verschwörungstheoretiker zu Wort kommen. Der erklärt zur allgemeinen Überraschung, natürlich sei es Blödsinn, dass Hitler 1945 mit einem Ufo entkommen sei – vielmehr habe er bis 1964 als Schichtleiter in einem argentinischen VW-Werk gearbeitet.

Kurzum, sie geben dem Affen Traubenzucker und binden das Publikum ein: „Ihr seid echt gute Neurinos!“ Oder, um nochmal Frau Hornung zu zitieren: „Fodio, ergo sum.“

„Ich grabe, also bin ich.“