Nach dem Putsch-Versuch in der Türkei ist im Ruhrgebiet die Stimmung zwischen Erdogan-Fans und Anhängern der Gülen-Bewegung aufgeladen.
Ruhrgebiet.
In den Tagen nach dem Putsch splitterten Scheiben, wurde geschimpft, gewarnt, gedroht; nun scheint es ruhiger geworden unter den Türken im Ruhrgebiet. Eine trügerische Ruhe, womöglich: Viele sind in den Sommerferien in der (alten) Heimat, mancher, wie Ahmet Altunay in Gladbeck, fürchtet ihre Rückkehr. „Die Situation in den Familien ist emotional so aufgeladen, dass auch die Kinder davon betroffen sein können.“ Neulich erst hörte der 45-Jährige: „Pass bloß auf, ich kann dich melden!“
Nun gehört Altunay zur Gülen-Bewegung, die der türkische Präsident Erdogan für die Schuldige hält am Umsturzversuch. Seit jenem 16. Juli hagelt es Kündigungen in seiner Bildungseinrichtung „Primus“. Türkische, aber auch deutsche Lehrkräfte wollen lieber nicht mehr für eine Gülen-Schule arbeiten. „Sie haben Angst“, sagt Altunay. Erdogan oder Gülen – es ist eine neue Front, die sich durch die türkische Community zieht. Aleviten – Sunniten – Kurden: Homogen war die Gruppe der Viertelmillion im Revier nie. Bei Demonstrationen stand man sich auch auf deutschen Straßen oft feindlich gegenüber. Meist aber arrangierte man sich. Ihr Türkisch-Sein war das, was alle verband, fast war es eine Währung: Einen früheren türkischen Lebensmittelhändler, der in seiner Heimat ein Linker war, interessierte wenig, wer in Gelsenkirchen in seinen Laden kam – sie waren Kunden, Herkunft egal. Man kannte sich, man traf sich, man ging miteinander um. Und sprach über Fußball, lieber nicht über Politik, so erzählen es viele, die seit Jahrzehnten hier leben.
„Ein Telefon zum Verpfeifen“
Jetzt aber gibt es eine neue Vorsicht: „Bloß nicht provozieren, zurückhalten“, sagt Ahmet Altunay. „Die Leute haben Angst, auf die Straße zu gehen“, sagt Serdar Ablak, der in Essen mehreren Gülen-Vereinen vorsteht. „Mindestens verbal wird man angegangen.“ Ablaks Mutter ist kürzlich gewarnt worden: „Die kommen und durchsuchen deine Wohnung.“ Ein Angestellter der Lebensmittelbranche im westlichen Ruhrgebiet berichtet von Waren, die aus den Regalen genommen würden – weil sie angeblich von Firmen hergestellt wurden, die Erdogan-Feinden zugerechnet werden.
Auch das Gerücht, es gebe eine „Denunziations-Hotline“, ist wohl keines. „Ein Telefon zum Verpfeifen“, nennt es ein 41-Jähriger aus Oberhausen. „Erdogan-Anhänger“, erzählt der Türke, der keiner der Seiten zuneigt, „brüsten sich damit, jemanden angeschwärzt zu haben. Die Leute sind auf der Lauer.“ Man melde jeden, hieß es tatsächlich in einem Facebook-Post, der auch im Ruhrgebiet kursierte, der „für die Fetö-Terrororganisation in (…) Terrornestern Geld sammelt“. Fetö ist ein anderer Name für die Gülen-Bewegung. Man bewege sich „auf heißen Kohlen“, sagt der Oberhausener, der nie gedacht hätte, „dass ich mal meinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will: Wem darf ich was sagen? Eine Sch. . .Situation“.
Denn es trifft eben nicht nur Vertreter von Gülen oder ihre Einrichtungen, die in Essen oder Gelsenkirchen mit Gewalt angegriffen wurden. Es trifft auch Leute wie Hasan Tuncer. „Vaterlandsverräter“ und „Terrorist“, den man „amputieren“ solle, schimpfte man den Studenten, der für das „Bündnis für Bildung“ im Rat der Stadt Mülheim sitzt. Dabei hatte er „nur“ eine Analyse über den Putsch auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Zu Erdogan-kritisch, fanden andere Türkeistämmige, die der 26-Jährige inzwischen blockieren ließ. „In einer Mail schrieb man mir, dass man mich beim türkischen Außenministerium gemeldet habe und dass ich mich auf meine nächste Türkei-Reise freuen solle.“
Tuncer hat Anzeige erstattet. Aber „ich lasse mich nicht mundtot machen“. Er will nicht aufgeben, will weiterhin Menschen seine Meinung erklären. Bloß, der Hass auf ihn sei immer noch groß in der türkischen Community, erzählen ihm besorgte Freunde.
„Kein politischer Raum in der Mitte“
Zwar sagt der Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien, Prof. Haci Halil Uslucan, das Gewaltpotenzial unter den Türken in Deutschland sei „eher gering“ Aber: Die latenten Spannungen könnten „schnell aktiviert werden. Ein politischer Raum in der Mitte ist einfach nicht da“.
Übrigens auch nicht für gemäßigte Stimmen. Die Duisburgerin Pelin Cingöz findet, man könne mit Türken in Deutschland derzeit „nicht vernünftig diskutieren“. Sie, die noch nie Angst hatte, ihre Meinung zu sagen, hat beinahe aufgegeben, ihre Kritik an Erdogan in die Debatte zu werfen. „Es kommen immer nur die gleichen Argumente.“ Passiert es ihr doch, dass sie in sozialen Netzwerken mitredet, kommt die 32-Jährige „sofort in eine Schublade“: Terroristin, PKK-Anhängerin oder, schlimmer noch: „mehr Deutsche als Türkin“. Was für viele gleichbedeutend sei mit „gegen die Türkei“.
Die Stimmung aus Ankara, sagt der Mülheimer Hasan Tuncer, habe es geschafft, die Türken im Ruhrgebiet in all ihren Facetten in nur noch zwei Lager zu spalten: „Man ist entweder pro oder contra.
Das
blockiert unsere Integration. Und es kann fatal ausgehen.“