Dem einen sind sie lieb, für die anderen kommen sie teuer: Denkmalschutz für Bauwerke aus der Wirtschaftswunderzeit erregt die Gemüter.
Ruhrgebiet.
Das soll ein Denkmal sein? Diese Fassade aus dreckigen Fliesen, wild wachsenden Büschen, Aufklebern und Vernachlässigung? Ist es aber: Die Fassade des leerstehenden Hertie-Hauses in Herne ist zwar abgezäunt, weil Teile herunterfallen könnten; unter Denkmalschutz steht sie aber. Das Kriterium: Sie ist typisch. So bauten die späten 50er-Jahre. Jetzt schauen die Konservatoren sogar auf Bauten, die sind noch zehn, 20 Jahre jünger. Übertreiben es die Denkmalschützer nicht damit?
Fast jede Stadt im Ruhrgebiet hat ihren Konfliktfall, bei dem enorme Sanierungskosten gegen Beton-Herrlichkeit in Ewigkeit stehen: Mülheim etwa will am liebsten seine Volkshochschule abreißen – einen terrassierten Fertigteilebau aus den 70ern, der auch farblich dem grünen Hang immer ähnlicher wird, an den er sich schmiegt: ein Filet-Grundstück zwischen Müga-Park und Stadthalle.
Doch gegen den Abriss machte zuerst ein Bürgerbündnis mobil, und es hat die Denkmalschützer überzeugt. „Allein der Aufgang erinnert an eine Art spanische Treppe“, schwärmt Sabina Gierschner, die Oberkonservatorin des Landschaftsverbands Rheinland, der zuständig ist für die Denkmalpflege. Sie hat das Gebäude unter vorläufigen Schutz gestellt. Die Stadt wird wohl Einspruch erheben, denn sie sieht sechs bis 16 Millionen Euro Kosten auf sich zurollen. Der rechtliche Hickhack kann Jahre dauern.
Gibt es überhaupt objektive Kriterien?
Aber die Kosten sind für den Denkmalschutz kein Kriterium, auch „Kategorien von Schönheit spielen keine Rolle“, sagt Frank Tafertshofer, Sprecher des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. „Entscheidend ist der objektiv bestimmbare Zeugniswert.“ Aber darüber kann und muss man natürlich streiten. „Ich bin mir nicht sicher, ob man überhaupt einen objektiven Kriterienkatalog finden kann“, sagt Alexander Fischer von „Architekten Fischer + Fischer“ aus Köln. „Es gibt ja nun mal Siebziger-Jahre-Gebäude, die Städte verletzt haben, die müssen da weg. Andere sehen diese Gebäude vielleicht gerade deshalb als prägend an und wollen sie erhalten.“
„Letztlich sind es Abwägungen“, pflichtet ihm Jochen König von HKS in Aachen und Vorstand der Architektenkammer NRW bei. Beide glauben, dass eine Welle von Konflikten erst noch anrollt.
Zum einen wird als Daumenregel immer die Vorgängermode als hässlich eingestuft. „Im 19. Jahrhundert hätte man viele Barockbauten am liebsten abgerissen, in den 70er-Jahren waren die Gründerzeitbauten des 19. Jahrhunderts unbeliebt“, erklärt Ulrike Heckner, Landeskonservatorin fürs Rheinland. Zum anderen sei der Bestand der 1950er- bis 70er-Jahre bisher nicht umfassend bewertet worden. „Daher kommt es gerade bei jüngeren Gebäuden vor, dass sich die Frage einer Unterschutzstellung erst stellt, wenn der Abriss droht.“
„Die Denkmalpflege müsste flexibler sein“, sagt Fischer. „Man muss Gebäude auch stärker verändern dürfen. Zum Beispiel waren Fenster in den 50er-Jahren oft filigran – das macht sie typisch. Bei einer Sanierung bestand der Denkmalschutz darauf, dass wir die gleiche Farbe und Teilung der Fenster verwenden, obwohl die Rahmen der Doppelverglasung nun aus Kunststoff waren und eben nicht mehr so filigran. Man muss nicht alles krampfhaft nachbilden.“
Die Grenzen des Vertretbaren
Und dann ist da die schiere Menge an Nachkriegsbauten. Wie viele will man eigentlich erhalten? „Anders als früher haben wir ja die Möglichkeit, Projekte virtuell zu dokumentieren“, sagt Fischer. „Das wird eine ganz große kommunikative Aufgabe, damit die Fronten sich nicht verhärten.“
Das wissen die meisten Denkmalschützer wohl. Thorsten Brokmann von der Unteren Denkmalbehörde Herne: „Denkmalschutz muss immer die Grenzen des Vertretbaren ausloten. Er darf aber von den Bürgern nicht unzumutbare Dinge verlangen, sondern muss im Dialog auch nach Kompromissen suchen. Er muss bei den Bürgern Verständnis wecken.“