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Notrufsäulen in NRW sind bald Geschichte

Notrufsäulen in NRW sind bald Geschichte

Am Niederrhein. 

Mancher Autofahrer auf der B67 an den Rheinbrücke bei Rees oder auf der B220 an der Brücke bei Emmerich mag sich fragen: „War hier nicht mal was?“ Doch bei der Kreispolizei Kleve hält man es für wahrscheinlicher, dass keiner etwas merkt. Seit Jahrzehnten standen dort Notrufsäulen am Straßenrand. Jetzt ist ihre Zeit um. Sie wurden demontiert: „Das Betriebssystem wird nicht mehr unterstützt. Ein Ersatzsystem steht nicht zur Verfügung“, teilte die Kreispolizei Kleve mit.

In drei Monaten kein Anruf

Warum auch? Für die Deutsche Telekom ist die Antwort klar: „Notrufsäulen haben sich technisch überlebt“, sagt Sprecher George-Stephen McKinney. 3300 dieser Säulen betreibt die Telekom derzeit bundesweit. Aber nur noch bis Ende dieses Jahres. Dann werden auch die letzten der Säulen verschrottet.

„Vom Säugling bis zum Greis hat statistisch jeder in Deutschland 1,4 Mobiltelefone in der Tasche“, sagt McKinney. Bei einem Notfall zücke man heute das Mobiltelefon. Das bestätigt auch die Kreispolizei Kleve: In den vergangenen drei Monaten, nachdem die Telekom den Abbau der Säulen angekündigt hatte, „haben wir keinen einzigen Anruf von einer der Notrufsäulen registriert“. Und vorher hatte man längst nicht mehr darauf geachtet.

Trotzdem: „Es geht ein Stück Sicherheit verloren“, glaubt Pierre-Enric Steiger, Präsident der Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart. Notrufsäulen waren in den vergangenen 40 Jahren ein wichtiges Mittel der Notfallhilfe in Deutschland – „und sind es noch immer“, sagt Steiger. Dem Engagement der Stiftung, die sich für Verbesserungen bei der Notfallhilfe stark macht, ist es u.a. überhaupt zu verdanken, dass etwa an den Autobahnen heute Notrufsäulen stehen. Bis in die 1970er-Jahre waren sie bloß „Autobahnbetriebstelefone“ der Straßenmeistereien.

„Der größte Teil der Notrufe kommt heute per Handy“, räumt auch Pierre-Enric Steiger ein. Mitunter würden Autofahrer sogar dann ihr Mobiltelefon nutzen, wenn sie in der Nähe eine Notrufsäule sind. Gleichwohl haben die Säulen Vorteile. Der wohl größte: Notrufsäulen sind geo-vermessen; in der jeweiligen Notrufzentrale weiß man stets präzise, wo der Anrufer ist. Anders bei Handys. Zudem sei es seit Jahren „politisch nicht gewollt“, dass die Notrufzentralen GPS-Daten von Mobiltelefonen nutzten, kritisiert Pierre-Enric Steiger. Er hat dafür kein Verständnis, zumal Peter Schaar, der frühere Datenschutzbeauftragte des Bundes, stets postuliert habe: „Am Datenschutz darf keiner sterben“.

Im Gegensatz zu den Notrufsäulen an Landstraßen, bleiben die Notruftelefone an den Autobahnen noch für mindestens vier Jahre erhalten.

Sie gehören dem Bund, der Betrieb wird ausgeschrieben: Anrufe landen vorerst bis Ende 2018 in der Notrufzentrale einer Tochterfirma des Gesamtverbands der Deutschen Versicherer. Dort hält man die Notrufsäulen für „verlässliche Helfer, die man kennt“. Noch gebe es keine Anzeichen dafür, dass sie abgeschafft würden, sagt Unternehmenssprecherin Birgit Luge-Ehrhardt.

Derzeit sind bundesweit 16.847 Notrufsäulen an den Autobahnen – „Tendenz steigend“, sagt Luge-Ehrhardt: „Mit jeder neuen Autobahn kommen neue Säulen dazu“. Mit dem Auftauchen der Handys sei die Zahl der Notrufe zwar zurückgegangen, mittlerweile sei sie jedoch „stabil“. 2013 gingen in der Hamburger Notrufzentrale etwa 118.000 Anrufe ein – darunter 72.000 reine Notrufe, zwei Drittel davon Pannen-Meldungen.

Unterdessen geht die technische Entwicklung weiter. Ab 2015 sollen Neuwagen in der EU mit dem „eCall“-System ausgerüstet sein – sozusagen eine automatische Notrufsäule in jedem Auto.

Schon jetzt setzen Modelle von BMW, Mercedes und Peugeot bei einem schweren Unfall von sich aus Notrufe ab. „Bis eCall flächendeckend funktioniert, braucht es mindestens zehn bis 15 Jahre“, sagt Pierre-Enric Steiger. Er setzt sich nun dafür ein, dass das Notrufsystem bei Mobiltelefonen jetzt verbessert wird: „Notrufe per SMS sind bis dato in Deutschland nicht erlaubt“. Dabei mache das Sinn, etwa bei Gehörlosen.

Auch die grünen Kästenhaben sich überlebt

Im Kreis Kleve werden unterdessen noch zwei weitere stationäre Notrufmöglichkeiten abgebaut; Grüne Kästen mit Drehhebel, die bisher an den Polizeidienststellen in Emmerich und Kalkar hängen. Auch sie „haben sich überlebt“, sagt Polizeisprecher Heinz Vetter. Er gesteht ein: „Bei den Notrufsäulen bei Emmerich und Rees habe ich mich erstmal gefragt: ‘wo genau stehen die dort eigentlich’?“