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Wie „Reichsbürger“ Justiz und Behörden in NRW ausbremsen

Wie „Reichsbürger“ Justiz und Behörden in NRW ausbremsen

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Foto: dpa
Die Reichsbürger und ähnliche Gruppen erkennen den deutschen Staat nicht an – und belästigen Justiz und Behörden in NRW mit absurden Forderungen.

Essen. 

Eigentlich war es ein ganz normaler Fall. Doch trotzdem erzählt man sich am Amtsgericht in Duisburg-Hamborn auch drei Monate nach der Verhandlung noch die Geschichte von dem Mann, der seine Telefonrechnung nicht bezahlt hat. Das liegt daran, dass er der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ angehört.

Zu den Reichsbürgern und ähnlichen Gruppierungen gehören Menschen, die davon überzeugt sind, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat ist. Der Verfassungsschutz beobachtet einige Anhänger dieser Szene, die sie dem rechtsextremen Spektrum zuordnen, schon seit einiger Zeit. Viele der Reichsbürger halten Deutschland für eine Firma, sprechen häufig von der „Deutschland GmbH“. Der letzte legitimierte Staat auf deutschem Boden war ihnen zufolge das deutsche Kaiserreich: Deshalb der Name „Reichsbürger“. Dementsprechend trat der Mann auch vor dem Amtsgericht in Hamborn auf. „Er wollte die Legitimation von Richter und Gericht nicht anerkennen“, sagt Michael Meyer, Geschäftsführer des Amtsgerichts.

„Kaum ein Richter, der noch nicht mit Reichsbürgern zu tun hatte“

Weil der Mann sich als Reichsbürger fühlte, konnte oder wollte er dem Gericht auch keinen gültigen Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland vorlegen. Gleiches galt für den Mann, den er statt eines Anwalts als rechtlichen Vertreter mitbrachte. Er gehörte ebenfalls zur Reichsbürger-Szene. „Beide konnten sich nicht ausweisen. Folglich konnten sie ihre Sache auch vor Gericht nicht verteidigen.“ Mittlerweile wurde der Mann rechtskräftig verurteilt.

Solche Fälle sind in NRW längst keine Ausnahme mehr. „Es gibt wohl kaum einen Richter in NRW, der noch nicht mit Reichsbürgern oder ähnlichen Gruppierungen zu tun hatte“, sagt Marcus Strunk, Sprecher des NRW-Justizministeriums: „Diese Leute wollen die deutsche Rechtsprechung nicht anerkennen.“ Dadurch weiteten sich Bagatellverfahren für Justiz und Behörden häufig zu Papierkriegen aus, so Strunk. Bisweilen würden Beschuldigte auch Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Richter oder Staatsanwälte einlegen.

Fantasiegerichtsstände im „Freistaat Preußen“

„Es kommt immer wieder vor, dass diese Leute mit ihren Beschwerden durch die Instanzen ziehen“, sagt Strunk – teilweise stellen die Reichsbürger dabei absurde Forderungen: „Es kommt schon vor, dass ein Strafbefehl von wenigen Hundert Euro mit einer irrsinnigen Schadenersatzforderung in Millionenhöhe beantwortet wird.“ Mitunter werden dabei Fantasiegerichtsstände mit Adressen im „Freistaat Preußen“ angegegeben.

[kein Linktext vorhanden]Es habe sogar schon Fälle gegeben, bei denen beschuldigte Reichsbürger oder Anhänger ähnlicher Gruppierungen Kameras in Gerichtssäle geschmuggelt hätten: „Wir haben da schon viel erlebt. Selbst in Brillen versteckte Kameras“, sagt Strunk. Mit ihren Aufnahmen wollen die Beschuldigten die angebliche Ungerechtigkeit der Justiz offen legen. Doch selbst wenn ein rechtskräftiges Urteil gefällt wird, haben die Behörden weiterhin Ärger.

„Diese Leute treten Gerichtsvollziehern gegenüber meistens sehr resolut auf“, sagt Ministeriums-Sprecher Strunk. In Berlin etwa waren jüngst Reichsbürger auf eine Gerichtsvollzieherin losgegangen, die einem Lokalinhaber den Gashahn abdrehen wollte, weil er seine Rechnungen schon lange nicht mehr gezahlt hatte. Als später die Polizei eintraf, skandierten die Reichsbürger Sätze wie „BRD ist eine Firma“ und beschimpften die Polizeibeamten als Nazis.

Umgedrehtes Nummernschild als Protest gegen alles und jeden

Auch an anderen Amtsgerichten, unter anderem in Oberhausen, Düsseldorf, Kleve und Wuppertal, sind die Reichsbürger bekannt. „Vereinzelt in Strafsachen und mehr noch in Ordnungswidrigkeitenverfahren gehen bei uns Schreiben nach Zustellungen von Anklagen, Strafbefehlen oder Ladungen ein“, sagt Richterin Carmen Schlosser vom Amtsgericht Wuppertal. In diesen Schreiben werde dann die Legitimität der Justiz sowie die Geltung der Gesetze bestritten. „Die Richter werden auch aufgefordert, sich mittels Ernennungsurkunde auszuweisen. Ich weise die Absender dann darauf hin, dass eine derartige Ausweispflicht nicht besteht und weitere Fragen in den mündlichen Verhandlungen geklärt werden können“, so Schlosser. Zu den Verhandlungen würden die Reichsbürger in Ordnungswidrigkeitenverfahren allerdings regelmäßig nicht erscheinen.

In Essen fiel zuletzt sogar ein Autofahrer auf, der aus Protest gegen den Staat sein Autokennzeichen auf den Kopf gedreht hatte. Auf diese Weise wolle er unmissverständlich zeigen, dass er diese „Politik und Un-Rechtsprechung nicht hinnehmen“ werde, teilte er auf Facebook mit. Sein Argument: In keinem Gesetz stehe, dass man das Nummernschild nicht umdrehen dürfe. Immer wieder argumentieren BRD-Leugner mit scheinbaren juristischen Spitzfindigkeiten, übersehen aber meist wichtige Details. So auch in diesem Fall.

„Preuße“ wollte sich Kalaschnikow besorgen

„Das ist eine Ordnungswidrigkeit“, sagt ein Sprecher der Essener Polizei. Paragraph 10 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung sowie Paragraph 23 der Straßenverkehrsordnung schreiben genau vor, wie so ein Nummernschild angebracht werden muss. Fakt ist: Es muss stets gut lesbar sein, was auf ein umgedrehtes Kennzeichen schlichtweg nicht zutrifft. Manche Reichsbürger fallen allerdings wegen weit schwerwiegenderer Vergehen auf.

Anfang des Jahres etablierte sich eine Gruppe des sogenannten „Freistaat Preußen“ im ostwestfälischen Kreis Höxter. Sie versahen ihre Autos mit eigenen Kennzeichen, brachten am Briefkasten ihres mehrere Hektar großen Grundstücks den Hinweis „Das Betreten von Personal der BRD-Deutschland/Germany […] ist verboten und löst die internationale Strafverfolgung in jeglicher Konsequenz nach Genfer Konventionsrecht und Haager Landkriegsordnung aus.“ Nachdem sie Hinweise bekommen hatte, dass einer der Anwohner offenbar versuche, sich eine AK-47 zu kaufen, schritt die Polizei ein. Mit einer Einsatzhundertschaft durchkämmte sie das Anwesen. Seitdem hat sich die Situation laut der Kreispolizei Höxter beruhigt.