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Tabakwerbeverbot in Deutschland steht auf der Kippe

Tabakwerbeverbot in Deutschland steht auf der Kippe

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1492C600476FB7E0.jpg Foto: dpa
Das Tabakwerbeverbot spaltet die CDU/CSU-Fraktion. Mit einem Brandbrief wollen Minister und Drogenbeauftragte den Gesetzentwurf retten.

Berlin. 

„LFB“ heißt ein Dokument, das die 310 Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an diesem Freitag in ihrer Post finden sollten. „LFB“ ist das im Parlament gängige Kürzel für einen „Liebe-Freunde-Brief“: ein Schreiben, mit dem sich Minister vor wegweisenden Entscheidungen schon mal an Abgeordnete wenden. Dass zwei Minister und dazu noch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung zugleich aktiv werden, kommt selten vor. Selten spaltet ein geplantes Gesetz eine Fraktion aber auch so gründlich wie das Tabakwerbeverbot die CDU/CSU.

Die neue Regelung, die Tabakwerbung auf Plakaten und Litfaßsäulen verbieten und im Kino nur noch vor Filmen ab 18 Jahren erlauben soll, hat das Bundeskabinett längst beschlossen. Im Juli sollte der Bundestag darüber abstimmen. Doch dazu kam es nicht. Auf Initiative von CDU und CSU wurde der fertige Gesetzentwurf seinerzeit von der Tagesordnung genommen. Seither liegt er auf Eis.

Tabakindustrie und Werbewirtschaft gegen Werbeverbot

Tabakindustrie und Werbewirtschaft wollen das Werbeverbot begraben. Ihre Argumente trugen eifrige Lobbyisten in die Abgeordnetenbüros: Für ein legales Produkt wie Tabak dürfe auch geworben werden; alles andere sei ein verfassungswidriger Eingriff in die Grundrechte. Und: Die Tabakwerbung sei schon genug beschnitten worden.

Solche Positionen finden prominente Unterstützer in der CDU/CSU-Fraktion – zum Entsetzen prominenter Mitglieder der Bundesregierung: Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), Ernährungsminister Christian Schmidt und die Drogenbeauftragte Marlene Mortler (beide CSU) haben den „Liebe-Freunde-Brief“ aufgesetzt. Tatsächlich ist es ein Brandbrief. Das Schreiben liegt unserer Redaktion vor.

Rund 121.000 Menschen sterben jährlich

Gröhe, Schmidt und Mortler warnen vor fatalen Folgen, die eine Ablehnung des Gesetzentwurfes hätte. Gemäßigt im Tonfall, aber erkennbar überzeugt von der Sache, nennen sie Fakten: Rund 200 Millionen Euro pro Jahr steckt die Tabakwirtschaft in eine Werbung für Produkte, an denen hierzulande rund 121.000 Menschen jährlich sterben – das sind 13,5 Prozent aller Todesfälle in Deutschland. Rund 80 Prozent aller Lungenkrebstoten erliegen den Folgen des Rauchens.

73 Millionen Euro pro Jahr investierte die Industrie zuletzt in die Tabak-Außenwerbung, auf die das Verbot zielt. Zum Vergleich: Knappe 2,4 Millionen Euro Bundesgeld fließen in die Tabakprävention. „Von einer ausgewogenen Information keine Spur“, bemängelt das Regierungstrio. „Kinder und Jugendliche können der Tabakwerbung auf Plakaten im öffentlichen Raum nicht ausweichen.“ Es gehe „nicht um einen Freiheitsverlust – im Gegenteil“, schreiben die Minister und die Drogenbeauftragte. Denn: „Verboten wird nicht das Rauchen als solches.“ Das stehe „auch in Zukunft jedem frei“.

Tabaksteuereinnahmen von 14 Milliarden Euro

Das geplante Gesetz stärke vielmehr „die Freiheit, unbeeinflusst von Werbung eine autonome Entscheidung über den Griff zur Zigarette zu treffen“. Es schütze Minderjährige. Keineswegs schade es der Wirtschaft: „Rauchen verursacht volkswirtschaftliche Kosten von 78 Milliarden Euro im Jahr, bei Tabaksteuereinnahmen von 14 Milliarden Euro.“ Der direkte Schaden für das Gesundheitssystem lag 2015 bei 25 Milliarden Euro. Indirekte Kosten – Arbeitsunfähigkeit, Pflege, Reha, frühzeitiger Tod – häuften sich auf 53 Milliarden an.

CSU-Minister Schmidt sieht sich persönlich in der Pflicht: „Wir sind das einzige Land in Europa, in dem Werbung für Tabakprodukte auf Außenflächen noch erlaubt ist“, sagt er. „Ich empfinde diesen Zustand nicht als privilegiertes Alleinstellungsmerkmal, sondern sehe uns hier klar als Schlusslicht.“ Als zuständiger Minister für gesundheitlichen Verbraucherschutz will Schmidt „das ändern – und zwar noch in dieser Legislaturperiode“.

130 Medizinprofessoren bitten um Werbungsstopp

Die Drogenbeauftragte Marlene Mortler hat „noch nicht ein wirklich nachvollziehbares Argument gegen das Verbot gehört“. Ausdrücklich warnt die CSU-Politikerin vor ideologischen Scharmützeln an dieser Stelle. „Es ist das absolut falsche Thema für wirtschaftspolitische Grundsatzdebatten.“ Gesundheitsminister Gröhe will „den Einstieg von Kindern und Jugendlichen in den Tabakkonsum verhindern“ und favorisiert diesen Weg: „Ein Verbot der Tabakwerbung ist ein wichtiger Schritt für den Gesundheitsschutz.“

Der „Liebe-Freunde-Brief“ aus der Regierungsbank ist nicht der einzige Wink in diese Richtung. Auch Ärzteverbände drängen CDU und CSU zum Handeln. So bittet die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) um Einsicht in die Notwendigkeit eines Werbungsstopps. „Wir appellieren an Ihre Verantwortung für den Schutz der Gesundheit unserer Bevölkerung“, heißt es in einem Brief, den 130 Medizinprofessoren aus ganz Deutschland unterschrieben haben – Vertreter jener Fachrichtungen, die tabakbedingte Erkrankungen am Ende heilen sollen.

Abstimmung für 8. November geplant

„Für uns ist es schwer erträglich zu sehen, dass die Politik angesichts des unendlichen Leids der Betroffenen immer noch zögert, zu handeln“, sagt DGP-Präsident Berthold Jany. Nahezu deckungsgleiche Appelle formulierten das Deutsche Krebsforschungszentrum, die Bundesärztekammer und der Marburger Bund.

Ob sie fruchten, wird sich in Kürze zeigen. Schon am 8. November könnte die Haltung zum Tabakwerbeverbot in der CDU/CSU-Fraktion zur Abstimmung stehen. Dann würde sich abzeichnen, ob der Gesetzentwurf zur ersten Lesung in den Bundestag kommt – oder zurück in die Mottenkiste.