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Marketing-Flop – Warum fast niemand „Metropole Ruhr“ sagt

Marketing-Flop – Warum fast niemand „Metropole Ruhr“ sagt

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Foto: Lars Heidrich
  • Marketing-Experten wollten einst den Begriff von der „Metropolregion Ruhr“ prägen
  • Doch der Begriff kam nie im Volk an
  • „Ruhrgebiet“ und „Pott“ lassen sich kaum verdrängen

Essen. 

Er steht in Broschüren, in Briefköpfen, an Autobahnbrücken, auch auf Pressekonferenzen wird er oft genannt: der Begriff „Metropole Ruhr“. Der Regionalverband Ruhr (RVR) nutzt ihn routiniert. Als wäre es der allgemein anerkannte Name der Region. Den meisten Bürgern kommt das Wort aber befremdlich vor. Es klingt wie „Diplomatensprech“, von oben verordnet. Der normale Ruhrgebietsmensch nimmt die „Metropole Ruhr“ nicht in den Mund. Er sagt einfach „Ruhrgebiet“.

„Ruhrgebiet, das ist in der Bevölkerung verankert. Da kommt man nicht gegen an“, sagt Professor Stefan Goch. Der Sozialwissenschaftler forscht am Institut für Stadtgeschichte in Gelsenkirchen und lehrt an der Ruhr-Uni Bochum. Laut Goch besteht das Problem vor allem darin, dass die Region keinen historisch gewachsenen Namen habe, auf den sie sich beziehen könnte. „Westfalen“ ist so ein gewachsener historischer Name.

„Marketing muss auch draußen bei den Menschen ankommen“

Stattdessen haben die Ruhr-Region und ihre Organisationen ihre Namen so oft gewechselt wie Bergleute ihre Kluft: „Rheinisch-Westfälisches Industriegebiet“, „Siedlungsverband Ruhrgebiet“, „Kommunalverband Ruhrgebiet“, jetzt „Regionalverband Ruhrgebiet“. Und die Menschen? Sagen immer noch Kohlenpott oder kurz Revier. „Metropole Ruhr“ war 2005 eine Wortschöpfung aus dem Regionalmarketing. „Aber Marketing muss auch draußen bei den Menschen ankommen“, sagt Goch.

„Metropole Ruhr“ ist etwa ab 2007, im Vorfeld des Kulturhauptstadt-Jahres 2010, von Regionalmarketing-Experten, Wirtschaftsförderern und dem RVR offensiv verbreitet worden. „Mit dem Event ,Ruhr 2010’ sollte eine Korrektur des Ruhrgebietsbildes nach außen erfolgen“, erklärt der Literatur- und Medienwissenschaftler Thomas Ernst. „Der als veraltet angesehene Begriff ‚Pott’ sollte durch die innovative und kulturell interessante ‚Metropole’ ersetzt werden.“

Der Germanist Steffen Hessler, der an der Ruhr-Uni Bochum eine Forschungseinheit zur gesprochenen Sprache des Ruhrgebiets leitet, hält nichts von dieser Marketing-Idee. Von oben verordnete Begriffe würden fast nie von der Bevölkerung angenommen. Sie könnten sogar Trotzreaktionen hervorrufen. Der vermeintlich veraltete Ausdruck „Ruhrpott“ genieße mehr Sympathie als „Metropole“.

Sprachökonomische Katastrophe

Der Marketing-Begriff „Metropole Ruhr“ hat es wohl auch deshalb schwer, weil er nicht griffig genug ist. Er hat fünf Silben, „Ruhrgebiet“ nur drei, „Ruhrpott“ nur zwei und „Pott“ sogar nur eine Silbe. Sprachökonomisch ist die „Metropole Ruhr“ also eine Katastrophe. „Falls Begriffe für Sprecher zu lang sind, verwenden sie Reparaturstrategien“, erklärt Hessler. Bei „Nordrhein-Westfalen“ sei das ähnlich. Viele sagen lieber NRW. Hessler: „Vereinfacht gesagt ist ,Metropole Ruhr’ zu lang, um erfolgreich in den Sprachgebrauch zu gelangen.“

Der Regionalforscher Klaus Peter Strohmeier sieht dies ähnlich. „,Metropole Ruhr’ ist eine PR-Aktion. Ein untauglicher Versuch, nicht ohne Tragikomik.“ Einige Eliten hätten viel Hoffnung in diese Wortschöpfung gelegt. Aber das Ruhrgebiet, sagt Strohmeier, habe immer noch viel Provinzielles. „Es ist vielfach immer noch das Revier der 1000 Dörfer.“ Viele Bürger identifizierten sich vor allem mit ihrem lokalen Umfeld, nur die Jüngeren zunehmend mit der Region.

Stefan Goch sagt, der Begriff „Ruhrgebiet“ werde vor allem im Kern des Ballungsraums genutzt. „Hier gibt es ein breiteres Ruhrgebiets-Bewusstsein. Essen, Bochum und Mülheim haben räumlich gesehen auch keine andere Möglichkeit.“ Ausfransungen gäbe es an den Rändern: Recklinghausen fühle sich als Teil des südlichen Münsterlands, Wesel liegt am Niederrhein, Duisburg orientiere sich oft an der Rheinschiene, Dortmund ist „Westfalenmetropole“, und Hagen nennt sich „Tor zum Sauerland“.

Metropole Ruhr als Bedrohung für Bürgermeister

„Metropole Ruhr“ sei der Versuch, dem Revier eine Klammer zu geben, sagt Klaus Peter Strohmeier. „Ob das funktioniert, bezweifle ich.“ Strohmeier beobachtet wie Stefan Goch viele Verflechtungen der Städte mit dem nicht zum Revier gehörenden Umland. Der Begriff Ruhrgebiet sei vielleicht nicht schön, so Strohmeier. Aber Metropole sei „eine Umdrehung zu viel“

Stefan Goch glaubt, dass die „Metropole Ruhr“ in den Rathäusern unpopulär ist. „Die Oberbürgermeister befürchten, in einer ,Metropole Ruhr’ zu Bezirksbürgermeistern degradiert zu werden.“

So groß wie eine Weltstadt

Und was sagen die Freunde des Begriffs „Metropole Ruhr“? Sie glauben, dass er Ordnung in die „Sprachverwirrung zwischen Ruhrgebiet, Ruhrrevier, Ruhrstadt, Städteregion Ruhr und Städtebund Ruhr“ bringt. Und dass das Wort „Ruhrgebiet“ eine „längst nicht mehr existierende Realität“ der alten Industrieregion bezeichnet. Schließlich könne man zwar darüber streiten, ob „Metropole Ruhr“ ein sympathischer Begriff ist. Aber das Ruhrgebiet sei nun mal eine Art Metropole: ein riesiges Gebilde aus Städten, deren Grenzen oft unsichtbar sind. Eine urbane Region, so groß wie eine Weltstadt